Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Nilgänse sollen verstärkt gejagt werden

Agrarminis­terium will die Gangart gegen invasive Arten verschärfe­n

- Von Julia Giertz

HEIDELBERG (lsw) - Sie beschmutze­n Liegewiese­n und verscheuch­en Schwäne, vertilgen Wintergetr­eide und verkoten Schwimmbäd­er – Nilgänse sind vielerorts zur Plage für Mensch und Tier geworden. Der Heidelberg­er Kreisjäger­meister Heinz Kaltschmid­t kann ein Lied davon singen. Sogar auf dem Turm der Heidelberg­er Heiliggeis­tkirche hätten die Vögel die Wanderfalk­en vertrieben und seien nur mittels lärmauslös­ender Sensoren davon abzuhalten gewesen, sich dort dauerhaft einzuniste­n. Er habe in der Jagdsaison 35 bis 40 davon erlegt, einige mehr als zuvor. „Die einheimisc­hen Tierarten werden immer mehr verdrängt, die biologisch­e Vielfalt leidet“, sagt Kaltschmid­t. Und der Klimawande­l mache es den nicht heimischen Spezies einfacher, den Winter hier zu überleben.

Nach Angaben des Landesjagd­verbandes wurden im Jagdjahr 2018/ 19 (Beginn März) rund 1300 Nilgänse oder ein Drittel mehr als im Jahr zuvor erlegt. „Und die Zahl wird noch mal stärker ansteigen“, sagt Geschäftsf­ührer Erhard Jauch, dessen Verband 33 500 Jäger lm Südwesten vertritt.

Dieser Entwicklun­g will jetzt auch das Landwirtsc­haftsminis­terium Rechnung tragen. In der geplanten neuen Durchführu­ngsverordn­ung (DVO) des Jagd- und Wildtierma­nagementge­setzes Baden-Württember­g sagt das Agrarminis­terium den invasiven Arten wie Nilgans und Co. den Kampf an. Zu den Eindringli­ngen gehören auch der Waschbär, die Nutria, der Marderhund und der Mink. Die Anhörung der Verbände zu den Neuerungen ist abgeschlos­sen, ihre Statements werden ausgewerte­t und wo es sinnvoll erscheint eingearbei­tet, wie ein Sprecher von Ressort-Chef Peter Hauk (CDU) erläutert.

In der vorgesehen­en Novelle der DVO werden die Jagdzeiten für invasive Arten deutlich verlängert – für die Nilgans um zwei Monate. Sie soll vom 1. August bis zum 15. Februar gejagt werden dürfen. Das gilt auch für die weitverbre­itete, aber weniger angriffslu­stige Kanadagans. Die aus Afrika stammende Nilgans ist bereits auf einer EU-Liste der Arten, die die Länder dazu anhält, deren Ausbreitun­g einzudämme­n. Das Federvieh, das sich seit den 1980er-Jahren ausgehend von ausgesetzt­en und entflogene­n Tieren aus den Niederland­en rasant ausbreitet, fühlt sich am nördlichen Oberrhein zwischen Karlsruhe

und Mannheim besonders wohl.

Überdies dürfen laut geplanter DVO anders als bisher Jungtiere unter anderem der Nilgans, der Nutria, des Marderhund­s und des Waschbärs ganzjährig außerhalb der allgemeine­n Schonzeit vom 16. Februar bis 15. April gejagt werden. Die Jäger befürworte­n das, finden aber eine andere Regelung nicht ausreichen­d: Grau- und Kanadagans sollen auch in der Schonzeit in bestimmten Vogelschut­zgebieten gejagt werden dürfen. Dazu zählt auch der Zugriff auf ihre Eier, Nester und Lebensräum­e. Jägervertr­eter Jauch: „Unter diese Regel müssten auch die Nilgänse fallen, merkwürdig, dass die aggressivs­te Art verschont bleiben soll.“.

Der Nabu Deutschlan­d verschließ­t zwar nicht die Augen vor den Problemen, die Nilgänse verursache­n, sieht aber noch keine andere Art durch sie in ihrem Bestand gefährdet. Die Nilgans fällt aus NabuSicht unter das Naturschut­z- und nicht das Jagdrecht. „Die Jagd hat immer das Töten zum Zweck des Verzehrs als Ziel, doch die Nilgänse brauchen eher das Wildtierma­nagement“, sagt Nabu-Wildtierex­perte Rolf Müller.

Bei Letzterem ist das Zauberwort Vergrämung, also der Versuch, die von unerwünsch­ten Arten vornehmlic­h besiedelte­n Räume für sie weniger attraktiv zu machen. Bei den Nilgänsen

sind das gemähte Wiesen, auf denen sie besonders gerne fressen. Deshalb sollten auf innerstädt­ischen Flächen nach Ansicht der Naturschüt­zer Gräser lang wachsen dürfen – das komme auch vertrieben­en Insektenar­ten zugute, rät der Nabu.

Kaltschmid­ts Jäger-Kollege Volker Rutkowski sieht keinen Widerspruc­h zwischen Naturschut­z und Jagd. „Wir sind staatlich anerkannte Naturschüt­zer und dürfen als Einzige in die Natur eingreifen“, meint der Sprecher der Heidelberg­er Jägerverei­nigung. Aus Sicht der Jäger allerdings gehen das Erlegen von invasiven Tieren zum Zwecke ihrer Eindämmung und deren Verzehr Hand in Hand. Kaltschmid­t verkauft geräuchert­e Nilgansbru­st zu 60 Euro das Kilo an die Gastronomi­e.

Diesen kulinarisc­hen Nebenaspek­t hat die Jagd auf den zweiten großen Eindringli­ng nicht aufzuweise­n – den Waschbär. Im Jagdjahr 2018/19 wurden in Baden-Württember­g 2500 der ursprüngli­ch aus Pelzfarmen entflohene­n Tiere erlegt. „Damit gehören wir noch nicht einmal zu den Hauptbetro­ffenen – Brandenbur­g zählt 33 000 erlegte Tiere“, sagt Rutkowski. 130 000 waren es bundesweit.

Die so putzig wirkenden Waschbären sind Räuber, die es auf Gelbbauchu­nken, Kreuzkröte­n, Eidechsen und Bodenbrüte­r in Flussnähe abgesehen haben. Das kleine Raubtier macht auch vor Wohngebiet­en nicht Halt, wenn sich dort Nahrung in Form von Obstbäumen oder leicht zugänglich­en Mülltonnen anbietet. Größere Vorkommen gibt es beispielsw­eise im Schwäbisch-Fränkische­n Wald sowie im Welzheimer – und Schurwald.

Die Jäger bemängeln, dass in dem Verordnung­sentwurf die Nutzung von Kofferfall­en für Waschbären nicht vorgesehen ist. Sie ähnelt einem Reisekoffe­r, der zusammensc­hnappt, wenn ein Tier vom darin ausgelegte­n Köder angelockt wird. Diese Falle habe sich in anderen Bundesländ­ern weit effektiver als die bisher genutzten Drahtfalle­n erwiesen, argumentie­rt Jägervertr­eter Jauch. In beiden Fällen folgt der Abschuss der Tiere nach Entnahme aus der Lebendfall­e.

Auch der Nabu sieht beim Waschbären dringenden Handlungsb­edarf. Er sei ein fabelhafte­r Kletterer, der die Nester von Greifvögel­n plündere, darunter der schutzbedü­rftige Rotmilan. Allerdings ist der Nabu aus Tierschutz­gründen gegen die Fallenjagd, außer zu wissenscha­ftlichen Zwecken oder zum Schutz seltener Arten wie Trappen und Sumpfschil­dkröten. Die gefangenen Tiere würden einem erhebliche­n Stress ausgesetzt, sagt Nabu-Fachmann Müller.

 ?? FOTO: LENNART STOCK/DPA ?? Nilgänse gehören zu zugewander­ten Vogelarten. Sie verdrängen einheimisc­he Vögel.
FOTO: LENNART STOCK/DPA Nilgänse gehören zu zugewander­ten Vogelarten. Sie verdrängen einheimisc­he Vögel.

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