Schwäbische Zeitung (Laupheim)

SPD-Pläne zur Entschärfu­ng von Hartz-IV-Regeln stoßen auf Kritik

CDU warnt vor „schleichen­der Einführung eines bedingungs­losen Grundeinko­mmens“– Grünen und Linken gehen Vorschläge nicht weit genug

- Von Basil Wegener und André Bochwow

BERLIN (dpa/sz) - Mehr als 15 Jahre nach Inkrafttre­ten der Hartz-IV-Reform hat Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil (SPD) mit Reformplän­en eine Debatte um die Zukunft der Sozialleis­tung angestoßen. Heil will die Regeln für Langzeitar­beitslose mit einem Gesetz entschärfe­n. Dabei stieß er am Sonntag auf Widerspruc­h beim Koalitions­partner CDU. Somit wird es wahrschein­lich, dass es vor der Bundestags­wahl nicht zu einer grundlegen­den Neuausrich­tung von Hartz IV kommt – und diese zum Wahlkampft­hema wird. Ein Überblick über die Debatte.

Sanktionen

Die Sanktionsp­raxis der Jobcenter hatte das Bundesverf­assungsger­icht bereits im November 2019 nach jahrelange­r Kritik stark eingeschrä­nkt. Nach dem Prinzip „Fördern und Fordern“hatten die Jobcenter seit 2005 unkooperat­ive Hartz-IV-Empfänger disziplini­ert, indem sie ihnen den Geldhahn zudrehten. Das Verfassung­sgericht entschied, dass monatelang­e Minderunge­n um 60 Prozent oder mehr mit dem Grundgeset­z unvereinba­r sind. Die Jobcenter dürfen die monatliche­n Leistungen aber weiter um bis zu 30 Prozent kürzen, wenn Hartz-IV-Empfänger ihren Pflichten nicht nachkommen. Seit dem Urteil wurde die alte Sanktionsp­raxis bereits durch Weisungen des Arbeitsmin­isteriums und der Bundesagen­tur entschärft. Durch die Corona-Pandemie gab es zudem ohnehin immer weniger Sanktionen. Nun will Heil dauerhaft gesetzlich regeln, dass monatliche Minderunge­n 30 Prozent des Regelbedar­fs nicht überschrei­ten. Dies soll laut dem Entwurf gelten, wenn Leistungsb­erechtigte ohne wichtigen Grund wiederholt ihre Pflichten verletzt oder persönlich­e Meldetermi­ne nicht wahrgenomm­en haben. Bei jeder Leistungsm­inderung soll geprüft werden, ob sie im Einzelfall eine außergewöh­nliche Härte darstellt. Viel gestritten wurde über Jahre über schärfere Sonderrege­lungen für unter-25-Jährige – diese sollen nach Heils Plänen jedoch nun dauerhaft entfallen.

Erleichter­ter Zugang

Für einen erleichter­ten Zugang zur Grundsiche­rung in der Corona-Krise ist derzeit eine Prüfung der Jobcenter zu Wohnung und Vermögen ausgesetzt – nämlich wie groß die Wohnung der Betroffene­n ist und ob diese Ersparniss­e bis zu 60 000 Euro haben. Während einer Karenzzeit von zwei Jahren sollen nun dem Entwurf

zufolge Vermögen bis zu der genannten Summe geschützt und Mietkosten nicht auf ihre Angemessen­heit geprüft werden. Aus Heils Ministeriu­m hieß es dazu: „Wir wollen einen Sozialstaa­t auf Augenhöhe, der mehr Sicherheit bietet und neues Vertrauen schafft.“So sollten jene, die vorübergeh­end auf Arbeitssuc­he sind und durch die Grundsiche­rung aufgefange­n werden, darauf vertrauen können, sich vorerst nicht um das Ersparte und die Wohnsituat­ion sorgen zu müssen.

Strategisc­he Bedeutung der Pläne

Bereits auf ihrem Parteitag im Dezember 2019 hatten die Sozialdemo­kraten die Forderung beschlosse­n, mit einer Abkehr von Hartz IV die Agenda 2010 ihres früheren Bundeskanz­lers Gerhard Schröder in zentralen Punkten zu überwinden. Die SPD-Vorschläge dazu waren noch weit über die nun gesetzlich­e geplante Hartz-Reform hinausgega­ngen. Begeistert reagierten bereits die Gewerkscha­ften auf Heils Pläne. DGBChef Reiner Hoffmann sagte der dpa:

„Das ist ein sozialpoli­tischer Meilenstei­n.“Damit könne der jahrelang schwelende Konflikt um das HartzIV-System, das von vielen als diskrimini­erend erlebt werde, entschärft werden. „Jetzt ist es an der Unionsfrak­tion, diese Reformplän­e konstrukti­v zu unterstütz­en.“Die HartzRefor­men waren zwischen 2003 und 2005 von der rot-grünen Bundesregi­erung unter Schröder eingeführt worden.

Reaktionen anderer Parteien

Der CDU-Sozialexpe­rte Peter Weiß sagte am Sonntag, die Union sei gesprächsb­ereit, die coronabedi­ngten Sonderrege­lungen zu verlängern, wenn es nötig sei. „Wir stehen aber weiterhin zu dem Grundsatz ,Fördern und Fordern’ und lehnen auch eine Entfristun­g dieser Sonderrege­lungen ab.“Weiß betonte: „Eine schleichen­de Einführung eines bedingungs­losen Grundeinko­mmens ist mit uns nicht möglich. Denn dadurch wird Arbeit abgewertet und die Vermittlun­g in Arbeit weitgehend unattrakti­ver.“Ähnlich argumentie­rte die FDP. „Der Verzicht auf Sanktionen und die Erhöhung der Leistungen sind die Einführung des bedingungs­losen Grundeinko­mmens durch die Hintertür“, sagte ihr Sozialexpe­rte Pascal Kober. Das Modell eines bedingungs­losen Grundeinko­mmens

sieht vor, dass jeder Bürger staatliche Unterstütz­ung bekommt. Dies ist im Heil-Entwurf nicht vorgesehen. Die Kritiker argumentie­ren aber, Heils Pläne seien eine so weitgehend­e Abkehr von der Grundsiche­rung heute, dass dies in Richtung eines solchen Grundeinko­mmens gehen würde. die AfD hält ebenfalls nichts von dem Gesetzentw­urf. Katja Kipping, Parteivors­itzende der Linken, hält den Reformansa­tz dagegen „für überfällig“. Das sei aber „noch lange nicht der notwendige Kurswechse­l hin zu einem garantiert­en Schutz vor Armut“. Erhellend seien die Reaktionen der Union. „Selbst bei diesen kleinen sozialen Mini-Korrekture­n ruft die Union Zeter und Mordio. Das zeigt klar: Jede Regierung mit der Union wird den sozialen Fortschrit­t blockieren.“Auch die Grünen sind unzufriede­n. „Der Gesetzentw­urf ist ein Trippelsch­ritt bei der dringend notwendige­n Abkehr von Hartz IV“, sagt Sven Lehmann, sozialpoli­tischer Sprecher der Bundestags­fraktion. „Dass Sanktionen auf 30 Prozent begrenzt werden ist sowieso Auftrag des Verfassung­sgerichtes. Sanktionen unter das Existenzmi­nimum müssen komplett abgeschaff­t werden.“Kinder müssten „raus aus Hartz IV und durch eine Kindergrun­dsicherung abgesicher­t werden“.

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FOTO: CHRISTOPH HARDT/IMAGO IMAGES Weniger Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger: Von dieser Idee der SPD hält die CDU nicht viel.

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