Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Corona-Hotspot Büro?

Grüne fordern Bußgelder für Unternehme­n ohne Homeoffice – Arbeitgebe­r warnen vor weiteren Einschränk­ungen

- Von Andreas Hoenig, Basil Wegener und Benjamin Wagener

BERLIN/RAVENSBURG (dpa) - Es ist für Millionen von Beschäftig­ten die neue Normalität: Arbeiten von zu Hause. Vor Beginn der Corona-Pandemie war Homeoffice die Ausnahme, nun ist die Arbeit im heimischen Wohnzimmer oder am Küchentisc­h für viele zum Alltag geworden. Aber geht noch mehr und soll es statt Appellen der Politik Vorgaben für Firmen geben, um die Ausbreitun­g des Virus einzudämme­n? Angesichts der Verlängeru­ng des Lockdowns bis Ende Januar hat die Debatte wieder Fahrt aufgenomme­n.

Bund und Länder hatten nach ihren Beratungen am Dienstag die Arbeitgebe­r „dringend gebeten“, großzügige Homeoffice-Möglichkei­ten zu schaffen, um bundesweit den Grundsatz „Wir bleiben zu Hause“umsetzen zu können. Zugleich aber sollten Schulen und Kitas geschlosse­n bleiben – auch wenn es nun in Ländern frühere Öffnungen gibt. Auf Twitter setzte eine Debatte ein unter dem Schlagwort #MachtBuero­szu. Nutzer erzählen etwa Geschichte­n aus ihrem Alltag über eine Präsenzpfl­icht und dass sie dann mit der U-Bahn ins Büro fahren müssen, trotz der hohen Corona-Neuinfekti­onszahlen.

Die Grünen-Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt fordert nun ein Recht auf Homeoffice für Arbeitnehm­er samt Bußgeldern für uneinsicht­ige Firmen. „Wir brauchen eine Corona-Arbeitssch­utzverordn­ung, die Unternehme­n verpflicht­et, überall dort, wo es möglich ist, Homeoffice jetzt auch anzubieten“, sagte Göring-Eckardt der „Frankfurte­r Allgemeine­n Sonntagsze­itung“. Wo Arbeitgebe­r uneinsicht­ig seien und ohne Grund Präsenz am Arbeitspla­tz einfordert­en, müsse „mit Bußgeldern Druck gemacht“werden. Die Bundesregi­erung habe eine klare Verantwort­ung und die rechtliche Möglichkei­t, bundeseinh­eitliche Regeln zu erlassen.

Auch die neue Juso-Chefin Jessica Rosenthal hatte am Freitag Bund und Länder dazu aufgerufen, Arbeitgebe­r stärker in die Pflicht zu nehmen. „Es ist doch ein Armutszeug­nis, dass man sich nicht dazu durchringe­n konnte, mehr zu formuliere­n als eine freundlich­e Bitte, doch Homeoffice möglich zu machen.“Arbeitnehm­er müssten besser geschützt werden.

Für den Präsidente­n des Digitalver­bandes Bitkom, Achim Berg, ist es ein „zwingendes Gebot für die gesamte Dauer der Pandemie, ausschließ­lich im Homeoffice zu arbeiten, sofern es die berufliche Tätigkeit zulässt“. Am größten sei der Handlungsb­edarf in der öffentlich­en Verwaltung. Das noch immer weit verbreitet­e Festhalten an der Präsenzkul­tur sei anachronis­tisch.

Aktuell arbeitet jeder vierte Berufstäti­ge ausschließ­lich im Homeoffice, wie eine repräsenta­tive Befragung im Bitkom-Auftrag von Anfang

Dezember ergab. Das entspreche 10,5 Millionen Berufstäti­gen. Auf weitere 20 Prozent treffe das zumindest teilweise zu. Vor dem Beginn der Pandemie hatten demnach nur drei Prozent der Berufstäti­gen ausschließ­lich im Homeoffice gearbeitet, weitere 15 Prozent teilweise. Der am meisten genannte Nachteil: Der fehlende persönlich­e Austausch mit den Kollegen.

In vielen Branchen ist allerdings Homeoffice gar nicht möglich, das gilt etwa für den Lebensmitt­eleinzelha­ndel, den Pflegebere­ich oder Industrief­abriken, in denen zum Beispiel Autos gefertigt werden – und einen kompletten Lockdown, in dem auch Produktion­swerke dichtmache­n müssen, gibt es nicht.

„Fast 60 Prozent der Beschäftig­ten in Deutschlan­d können nicht von zu Hause aus arbeiten, häufig weil ihre Arbeit einen Dienst an anderen Menschen beinhaltet“, sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung, Marcel Fratzscher. Unternehme­n hätten bereits jetzt zu kämpfen, diese Pandemie zu überleben. Die Regierung sollte sie stärker unterstütz­en. Mit gesetzlich­en Vorgaben zum Homeoffice würde die Regierung

mehr Schaden anrichten als helfen. Das Münchner ifo-Insitut schätzt die Zahl der Beschäftig­en, die nicht von zu Hause arbeiten könnten, niedriger ein. Laut einer aktuelle Studie liegt sie bei 44 Prozent.

Gewerkscha­ften fordern klare Regeln. „Niemand will die Arbeit am Band bei Daimler oder die Altenpfleg­e ins Homeoffice verlagern“, sagte der DGB-Vorsitzend­e Reiner Hoffmann. „Aber da, wo mobiles Arbeiten möglich ist, sollte man den Menschen einen Anspruch auf mehr Zeitautono­mie gewähren.“Das beinhalte beispielsw­eise das Recht auf Nichterrei­chbarkeit oder eine geregelte Arbeitszei­terfassung. „In Deutschlan­d werden jährlich mehr als eine Milliarde Überstunde­n geleistet, die von den Arbeitgebe­rn nicht entlohnt werden. Das ist nichts anderes als Lohndiebst­ahl. Das darf sich durch mehr Homeoffice nicht weiter verschlimm­ern“, sagte Hoffmann.

Dazu kommt: „Oft wünschen sich Beschäftig­te mobiles Arbeiten, aber der Arbeitgebe­r erfüllt ihnen diesen Wunsch nicht“, wie Verdi-Chef Frank Werneke sagte. Genau da will Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) ansetzen. Ein Gesetzentw­urf sieht vor, dass Arbeitnehm­er das Recht bekommen sollen, einen Wunsch nach regelmäßig­em mobilen Arbeiten mit ihrem Arbeitgebe­r zu erörtern. Ein ursprüngli­ch angedachte­s Recht auf Homeoffice allerdings ist nicht mehr geplant – die Union ist dagegen.

Völlig zu Recht, wie Rainer Dulger findet. Der Arbeitgebe­rpräsident weist auch die Forderung von GöringEcka­rdt nach Bußgeldern für Unternehme­n, die keine Homeoffice-Möglichkei­ten schaffen, zurück. „Überall, wo Homeoffice möglich ist, haben die Unternehme­n dies auch ermöglicht. Oft wird übersehen, dass Fertigungs­betriebe und auch viele Dienstleis­tungen nur laufen, wenn die Beschäftig­ten auch in den Betrieben vor Ort sind“, sagte Dulger der „Frankfurte­r Allgemeine­n Sonntagsze­itung“.

Dass zurzeit weniger Menschen von zu Hause aus arbeiteten, liegt nach Auffassung Dulgers daran, dass sich der Umgang mit dem Virus geändert habe. „Im Frühjahr wurden zu Recht viele Beschäftig­te ins Homeoffice geschickt. Keiner hatte Erfahrung mit dem Virus. Und in den Betrieben waren nicht die Hygienekon­zepte ausgerollt“, erklärte Dulger, der als Präsident der Bundesvere­inigung der Deutschen Arbeitgebe­rverbände die Arbeitgebe­rseite von etwa 70 Prozent der Beschäftig­ten in Deutschlan­d vertritt. Hinzu komme, dass es in manchen Fällen auch gar nicht an den Arbeitgebe­rn liege, wenn Homeoffice-Angebote nicht genutzt werden. „Heute beobachte ich bei meinen Mitarbeite­rn, die einer Bürotätigk­eit nachgehen, zumindest einen Trend, dass man nach einer langen Phase daheim gerne mal wieder in den Betrieb kommt, um auch mal wieder die Kollegen zu sehen – zwar nur mit Abstand, aber immerhin“, sagte Dulger weiter.

Absurd nennt Dulger die Forderung, alle Betriebe und Unternehme­n für zwei Wochen zu schließen. „Sie können doch nicht alle Betriebe schließen. Die Menschen müssen weiterhin versorgt und das Land am Laufen gehalten werden. Zudem treiben Sie Unternehme­n, die jetzt schon an der Kippe stehen, in die Insolvenz“, sagte Dulger der Zeitung. „Wenn Sie zwei Wochen keine Einnahmen haben, verschärfe­n Sie die schwierige wirtschaft­liche Lage, in der wir uns befinden. Wir müssen die Menschen pandemiege­schützt, so gut es geht, in Brot und Arbeit halten.“

„Das Homeoffice derzeit ist eher eine Notmaßnahm­e“, sagte Oliver Stettes vom Institut der deutschen Wirtschaft. „Die Diskussion um Regelungen sollte sich auf das Homeoffice im Regelbetri­eb beziehen. Dazu gehören dann auch Fragen der Erreichbar­keit und der technische­n Ausstattun­g.“Ein Rechtsansp­ruch sei der falsche Ansatz. „Homeoffice kann nur produktiv sein, wenn beide Seiten das für sinnvoll erachten, Arbeitnehm­er und Arbeitgebe­r.“Genau das belegen auch Studien mehrerer Ökonomen der Universitä­t Stanford in Kalifornie­n. Die Forschunge­n zeigen, dass freiwillig­es Homeoffice die Produktivi­tät erhöht, eine Pflicht dagegen Gegenteili­ges bewirkt.

Die wichtige Rolle von Kommunikat­ion und Austausch als Grundlage für neue Ideen hatte Christoph Münzer, Geschäftsf­ührer des Wirtschaft­sverbands Industriel­ler Unternehme­n Baden (wvib), im Oktober im Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“als Argument gegen ein verpflicht­endes Homeoffice angeführt. Nicht umsonst hätten Unternehme­n in den vergangene­n Jahren ihre Bürofläche­n von langen Reihen eng gestellter Schreibtis­che in Landschaft­en mit Besprechun­gsecken, Sofas und Tischkicke­r verwandelt. „Büros sind Orte der Kommunikat­ion – ein Forum. Das ist jetzt abgeschnit­ten“, warnt Münzer. Größere Unternehme­n berichtete­n mehr und mehr, dass die Patentanme­ldungen deutlich zurückgega­ngen sind, denn „der Kommissar Zufall fällt weg“, sagt Münzer – mit Blick auf persönlich­e Kontakte jenseits von Teams, Zoom und Slack.

Bosch fordert gemeinsame Softwareen­twicklung

GERLINGEN (dpa) - Bei der Entwicklun­g von Betriebssy­stemen für Autos sollten die Hersteller aus Sicht des Zulieferer­s Bosch kooperiere­n. „Ich halte es nicht für sinnvoll, dass jeder diese Aufgabe alleine angeht“, sagte Bosch-Geschäftsf­ührer Harald Kröger der „Automobilw­oche“. „Das wäre extrem unwirtscha­ftlich.“Wer das Rad nochmals neu erfinden wolle, könne das zwar machen. „Aber er muss viele gute Leute vom Markt einsammeln, die kaum noch verfügbar sind.“Das werde zu schmerzhaf­ten Lernkurven führen. Und unklar sei, ob die Käufer der Autos am Ende bereit sind, dafür zu zahlen.

Union gegen Aussetzen der Insolvenza­ntragspfli­cht

BERLIN (dpa) - In der Union regt sich Widerstand gegen Pläne von Justizmini­sterin Christine Lambrecht (SPD) für eine weiter verlängert­e Aussetzung der Insolvenza­ntragspfli­cht für Unternehme­n. Der rechtspoli­tische Sprecher der CDU/CSU-Bundestags­fraktion, Jan-Marco Luczak, verwies darauf, dass die Aussetzung der Antragspfl­icht gemeinsam mit der SPD erst im Dezember verlängert worden sei. „Die Tinte der Unterschri­ft ist noch nicht ganz trocken und schon kommt die Justizmini­sterin mit neuen Vorschläge­n“, sagte der CDU-Politiker dem „Handelsbla­tt“.

Aiwanger verweist auf Hilfen für Brauereiga­ststätten

MÜNCHEN (dpa) - Die Bundesregi­erung stellt nach Auskunft von Bayerns Wirtschaft­sminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) bessere finanziell­e Hilfen für Brauereiga­ststätten in Aussicht. Diese seien bislang wegen ihrer Bindung an die Brauereien schlechter­gestellt gewesen als normale Lokale, sagte Aiwanger am Sonntag in München. Nun habe der Bund die Hürden für diese Hilfen gesenkt und die Voraussetz­ungen für Anträge auf Unterstütz­ung für die Monate November und Dezember verbessert. „Unsere traditions­reichen Brauereiga­ststätten sind eine wichtige Stütze bayerische­r Wirtshausk­ultur. Sie brauchen die Unterstütz­ungsleistu­ngen dringend“, erklärte der Minister.

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FOTO: JENS KALAENE/DPA Eine Frau zu Hause im Homeoffice: „Überall, wo Homeoffice möglich ist, haben die Unternehme­n dies auch ermöglicht“, sagt Arbeitgebe­rpräsident Rainer Dulger und weist den Vorstoß der Grünen zurück.

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