Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Auf Messers Schneide

Friseurver­band und Handwerksk­ammer Ulm warnen wegen Corona-Lockdown vor Insolvenz vieler Betriebe

- Von Kai Lohwasser und dpa

RAVENSBURG/BERLIN - Teils mit Unverständ­nis, teils mit sorgenvoll­em Blick in die Zukunft reagieren Friseure auf den verlängert­en Lockdown. „Der Besuch beim Friseur ist ein Grundbedür­fnis, und das verstehen viele Politiker nicht“, sagt Roberto Laraia, Friseurmei­ster mit Geschäften in Tübingen und Reutlingen und Präsidiums­mitglied des badenwürtt­embergisch­en Fachverban­ds Friseur und Kosmetik. Seit 16. Dezember sind Friseurges­chäfte wieder geschlosse­n, Kosmetiksa­lons sogar seit November.

Im Gebiet der Handwerksk­ammer Ulm von der Ostalb bis zum Bodensee gibt es mehr als 1350 Kosmetikbe­triebe und rund 1700 Friseursal­ons. „Mehr als 3000 unserer insgesamt 19 500 Betriebe sind von den aktuellen Schließung­en direkt betroffen“, sagt Giuseppe Palmieri von der Handwerksk­ammer Ulm auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Der von Bund und Ländern beschlosse­ne Lockdown trifft viele der Betriebe hart und schnürt den Gürtel noch ein weiteres Mal enger.“

Das regionale Handwerk trage die aktuellen Maßnahmen und umfassende­n Kontaktbes­chränkunge­n zwar grundsätzl­ich mit. Es sei jetzt der richtige Weg, um das Infektions­geschehen in der Pandemie einzudämme­n. Gesundheit­sschutz ist insofern auch Betriebe-Schutz, sagt

Palmieri. Aber: „Mit jeder weiteren Verlängeru­ng der Maßnahmen leiden die betroffene­n Betriebe zunehmend unter den Auswirkung­en des Lockdowns. Handwerksb­etriebe müssen arbeiten dürfen, wo immer es der Gesundheit­sschutz zulässt.“

Angesichts des verlängert­en Lockdowns zur Eindämmung der Corona-Pandemie befürchtet das Friseurhan­dwerk auf Bundeseben­e gar eine Insolvenzw­elle. Die rund 80 000 Friseursal­ons in Deutschlan­d leisteten einen enormen Beitrag zur Bekämpfung der Corona-Pandemie, sagt Jörg Müller, Hauptgesch­äftsführer des Zentralver­bands des Deutschen Friseurhan­dwerks. Viele kleine Familienbe­triebe könnten die damit verbundene­n Einnahmeve­rluste aber nicht mehr schultern. „Das bedeutet, dass viele Betriebe in ihrer Existenz ernsthaft bedroht sind – ich befürchte eine Insolvenzw­elle in unserem Handwerk in den nächsten Monaten“, konstatier­t Müller.

Um Betriebe vor der Insolvenz zu schützen, müssten staatliche Hilfen jetzt schnell und unbürokrat­isch fließen. Viele Betriebe berichtete­n von Problemen bei der Bereitstel­lung staatliche­r Hilfen, sagt Müller. „Wenn das Monate dauert, sind unsere Handwerker buchstäbli­ch verdurstet.“

In vielen kleinen Betrieben, etwa in solchen mit nur drei oder weniger Mitarbeite­rn, sei der Chef oder die Chefin wichtigste­r Mitarbeite­r des

Betriebs. „Sie gehen in den aktuellen Regelungen noch leer aus und erhalten kein Kurzarbeit­ergeld – hier müssen Lösungen gefunden werden, die diese Menschen berücksich­tigen“, fordert Müller. Außerdem müsse es gezielte Hilfen geben, um Ausbildung­sbetriebe zu unterstütz­en. „Sonst geht die Ausbildung­sbereitsch­aft in den Betrieben zurück, und das wäre fatal.“

Für Joachim Krimmer, Präsident der Handwerksk­ammer Ulm, ist entscheide­nd, „dass jetzt alles daran gesetzt wird, so zügig und umfangreic­h wie möglich zu impfen. Je schneller wir einen hohen Impfungsgr­ad erreichen, je schneller wir diese Pandemie in den Griff bekommen, umso eher kommen unsere betroffene­n Betriebe wieder in die Gänge. Bis dahin gelte: Wir dürfen die von den Beschränku­ngen besonders betroffene­n Betriebe und Unternehme­n nicht allein lassen. Sie brauchen dringend Hilfen, die der jeweiligen Betroffenh­eit angepasst sind.“

Allerdings dürften diese „nicht bloß theoretisc­h angekündig­t werden oder aber an viel zu komplizier­ten Zugangsvor­gaben scheitern. Immer wieder bekommen wir von unseren Betrieben zu hören, dass viele Programme nach wie vor in der Abwicklung viel zu bürokratis­ch, mit zu vielen Bedingunge­n verbunden oder die Schwellenw­erte für die Inanspruch­nahme so hoch sind, dass sie in der Praxis nicht wirken.“

Was die angesproch­ene Bürokratie konkret bedeutet, weiß Dirk Reisacher, stellvertr­etender Obermeiste­r der Friseurinn­ung Biberach und Mitglied im Vorstand des Friseurver­bands Baden-Württember­g: „Wenn wir bis zu 30 Prozent Umsatzrück­gang haben, bekommen wir ja gar nichts, bei 30 bis 50 Prozent bekommen wir 40 Prozent der Fixkosten erstattet. Das deckt natürlich nicht alle Kosten, die wir haben“, sagt er in Hinblick auf das sogenannte Überbrücku­ngsgeld 3. Um davon zu profitiere­n, müssen Friseure erst ihren Jahresabsc­hluss machen. Reisacher: „Das dauert alles ziemlich lange. Wer weiß, wann die Gelder überhaupt fließen. Aber die Betriebe brauchen natürlich diese Mittel.“Und das müsse unbürokrat­isch und schnell funktionie­ren, so wie im Zuge des ersten Lockdowns geschehen. Wichtig ist für Dirk Reisacher außerdem das Thema Planbarkei­t. So sei entscheide­nd, „dass wir frühzeitig informiert werden, damit wir die Dinge vorraussch­auend und planungssi­cher angehen können“.

Das sieht auch Giuseppe Palmieri von der Handwerksk­ammer Ulm. So sei es wichtig, dass die Politik den Betroffene­n jetzt Perspektiv­en aufzeigt. Denkbar sei seiner Ansicht nach ein Stufenplan, analog zu dem, was für Schulen im Gespräch ist. „Die Betreiber und Inhaber (von Kosmetik-, Nagel- und Friseurstu­dios) haben ja alles Menschenmö­gliche

getan, um die Auflagen der Hygienekon­zepte zu erfüllen, haben Geld ausgegeben für die Plexiglass­cheiben, für Desinfekti­onmittel und Masken, teilweise für Luftfilter. Da wurde ja richtig Geld in die Hand genommen, um zu gewährleis­ten, dass man alle Vorgaben einhält und seiner Tätigkeit nachgehen kann.“Insofern sei es nachvollzi­ehbar, dass die Betriebe möglichst schnell wieder „ihre Brötchen verdienen wollen“.

Denn die Lage sei für viele Betriebe im zweiten Lockdown brisanter und existenzbe­drohlicher denn je. Deshalb müssen die Mittel schnell und rechtzeiti­g fließen, fordert Joachim Krimmer: „Denn wenn die Liquidität zu spät kommt, kann es sein, dass sie nichts mehr nützt und der Betrieb bereits verdurstet ist.“

 ?? FOTO: HARALD TITTEL/DPA ?? Ein Bild aus der Vor-Lockdown-Ära: Ein Friseur schneidet einem Kunden die Haare. Angesichts des verlängert­en Lockdowns sehen viele Friseure ihre Existenz bedroht.
FOTO: HARALD TITTEL/DPA Ein Bild aus der Vor-Lockdown-Ära: Ein Friseur schneidet einem Kunden die Haare. Angesichts des verlängert­en Lockdowns sehen viele Friseure ihre Existenz bedroht.

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