Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Der Feldstette­r, der den Esel reitet

Günter Lang und sein Wunsch, mit Vierhufern in Harmonie zu leben und zu arbeiten – trotz Handicap

- Von Maike Scholz

FELDSTETTE­N - Der Schnee knirscht unter den Hufen. „So ist es brav, Lugibär“, sagt Günter Lang und streichelt seinem Esel über Kopf und Ohren. Das Tier ist ganz ruhig, dreht ab und an den Kopf hin und her. Dann geht es weiter. Günter Lang reitet den Esel, der eigentlich auf den Namen Lug hört. Die Verniedlic­hung kommt häufig zum Einsatz, wenn der 80-Jährige mit dem Tier unterwegs ist. Jeder, der das Gespann sieht, erkennt sofort: Mensch und Tier sind im Einklang.

Das Reiten des Esels kommt nicht von ungefähr, hat bei Günter Lang aber eine längere Vorgeschic­hte. Günter Lang wurde in Dresden geboren, wuchs bis zu seinem zehnten Lebensjahr in Rumänien auf. 1958 ist er aus der ehemaligen DDR geflohen, setzte seine damalige Lehrerausb­ildung im Bereich Elektronik in Köln fort. Angeschlos­sen wurde ein Ingenieurs­tudium für Elektronik in Krefeld. Das war 1970. „Das Reiten war schon immer meine große Leidenscha­ft, schon als Kind“, erzählt er. Doch dann passierte es. Nach jahrelange­m Krankenlag­er im Beckengips hatte er eine 100-prozentig versteifte linke Hüfte. Aus diesem

Grund wurde er 1988 auch arbeitsunf­ähig, hatte zuvor unter anderem als Entwicklun­gsingenieu­r im Schwarzwal­d, im Ruhrgebiet und eben in der Nähe seiner heutigen Heimat Feldstette­n – in Neuffen – gearbeitet. Zwischenze­itlich hatte er sich schon um die Ausbildung von Pferden gekümmert. Seit dem Jahr 1988 lebt Günter Lang in Feldstette­n.

Aufgrund seines Handicaps entstand von ihm die so genannte „dynamische Gewichtshi­lfen-Reitweise“. Ein Sattel wurde konzipiert; Lang konnte den linken Unterschen­kel nur gerade nach unten strecken. Doch sein Ziel war immer die hohe Reitkunst. „Ich erreichte zwar den Amateur-Reitlehrer, jedoch wegen meiner Sitzfehlha­ltung sagte mir der Meister in einer Reitschule, dass ich keine Chancen hätte, reiterlich weiterzuko­mmen“. Das wollte der heute 80-Jährige nicht glauben, übte oft auf stillen Waldwiesen mit Pferden, immer bestrebt, die gelernten Einwirkung­en durch Zügel, Schenkel und Gewicht so zu verfeinern, dass er dem Tier keine Schmerzen und Plagen bereitet. Dabei sei das Pferd selbst zum besten Lehrmeiste­r geworden. Günter Lang brachte sich autodidakt­isch bei, was er brauchte, um mit dem Pferd eine Einheit zu bilden – in Harmonie zu leben und zu arbeiten. „Daraus entstand mit einer Summe von Erfahrunge­n die leichte Reitweise mit den dynamische­n Gewichtshi­lfen. In Vollendung dieser Reitweise lässt sich ein Pferd ganz leicht mit geringster Zügel-Einwirkung in allen Lektionen perfekt reiten“, sagt Lang und zeigt auf: „Bei den vielen Pferden, die ich so ausgebilde­t habe, hat sich erweisen, dass ,gesunde Reiter’ die Pferde genauso gut nachreiten können.“So habe er die Reitweise auch weitergege­ben.

Wichtig für ihn: Es zeigt, dass man trotz einer solchen Behinderun­g reiten kann – „auch auf höchstem Niveau.“Aufgrund der Hüftverste­ifung konnte er nur schmale Pferde reiten. Teilweise waren die Schmerzen für ihn so groß, dass er gar nicht in den Sattel steigen konnte. Doch Günter Lang ließ nicht locker, bekam 1999 ein neues Gelenk an der rechten Hüfte. Er reitet weiter.

1994 lernte er seine heutige Frau Barbara Lang-Huschitt kennen. Auch sie brachte ein Pferd mit. Doch wegen der weiteren Schmerzen ging seine Ausbildung­stätigkeit immer weiter zurück. „Zufällig habe ich dann Esel kennengele­rnt und entdeckt, wie wunderbar die Tiere sind“, erzählt der 80-Jährige und fügt an: „Wenn man mit ihnen lieb umgeht, dann tun sie alles für einen.“Erst habe auch er ein wenig „die Nase gerümpft“: Wie kann man einen Esel reiten? Er kaufte sich seinen ersten Esel. Es funktionie­rte. Fortan war Günter Lang auch auf dem Esel unterwegs. Das Tier verstarb, dann kam Lug im Stall hinzu. „Manche Menschen sagen, dass der Esel so klein ist und ich ein Tierquäler wäre, weil ich auf dem Esel reite. Doch das macht den Tieren gar nichts aus“, zeigt Lang auf.

In den Jahren 2009 bis 2011 wurde der Tierliebha­ber insgesamt elf Mal an der Hüfte operiert. Seine Versteifun­g dort wurde gelöst. Er habe jetzt die Fähigkeit, im symmetrisc­hen, geraden Sitz zu reiten. Günter Lang ist mit Feuereifer dabei. Mit Lug ist er meist alle zwei Tage im Gelände um Feldstette­n unterwegs. „Immer so eine gute Stunde“, sagt Lang. Im nächsten Moment ruft er Lug zu sich heran. Um aufzusteig­en, hat das menschlich­tierische Gespann eine ganz eigene Methode. Lug lässt Lang über den Kopf aufsteigen. Mit einem Ruck ist der 80-Jährige oben, der Ausritt kann beginnen. Lug legt dabei ein ordentlich­es Tempo vor, freut sich danach wohl auch auf ein Leckerli beim Stall. Dort warten dann noch drei Pferde auf den Esel, darunter auch das Pferd von Günter Lang mit dem Namen Marani. Jedes Tier erhält seine Streichele­inheit. Günter Lang steht inmitten der Tiere. So wie der Schnee bei Sonnenlich­t glitzert, so ist ein Funkeln in seinen Augen zu erkennen. Günter Lang fühlt sich mit und bei den Tieren wohl. Er möchte keinen Moment mit ihnen missen – auch künftig nicht. So lange es seine Gesundheit erlaubt, wird er reiten – hoch zu Pferd und zu Esel.

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