Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Pflegekräf­te hadern mit der Impfung

Dabei stammt jeder dritte Corona-Tote aus Pflegeheim – Welche Sorgen Beschäftig­te haben

- Von Daniel Häfele

LANDKREIS BIBERACH - Pflegekräf­te gehören neben Heimbewohn­ern zu den ersten, die sich impfen lassen dürfen. Auch im Landkreis Biberach sind die Impfungen vergangene Woche gestartet. Doch offenbar plagen viele Pflegekräf­te Zweifel, ob sie dieses Privileg wirklich nutzen wollen.

Sich gegen Covid-19 impfen lassen? Benjamin Robiller beantworte­t diese Frage für sich mit „Ja“. Er ist Einrichtun­gs- und Pflegedien­stleiter im Kirchdorfe­r Seniorenze­ntrum Rosenpark, das zum Träger Allgäustif­t mit Hauptsitz in Kempten gehört. Einerseits hat er im Seniorenze­ntrum viel Kontakt mit Pflegenden. Anderersei­ts wünscht er sich eine Rückkehr zur Normalität, allein schon mit Blick auf seine Kinder, die durch den Shutdown vermehrt zu Hause sind. Zudem lebt er mit seinen Schwiegere­ltern in einem Haus, die ebenfalls zu einer Risikogrup­pe zählen. Er möchte ein Vorbild für seine Mitarbeite­r und Mitarbeite­rinnen sein, sagt er.

So entschloss­en sind nicht alle Pflegekräf­te. Viele hadern noch. Im Rosenpark sind 37 Menschen im Pflege-, Betreuungs- und im Hauswirtsc­haftsberei­ch beschäftig­t. Zehn wollen sich impfen lassen, also nicht einmal jeder Dritte. „Die Bereitscha­ft zur Impfung bei unseren Mitarbeite­rn ist aufgrund aktuell vieler Unsicherhe­iten zur tatsächlic­hen Wirkung noch verhalten“, erklärt Allgäustif­t-Geschäftsf­ührerin Yvonne Spöcker. Ein ähnliches Bild ergibt sich in den Charleston-Pflegeeinr­ichtungen in Biberach, Bad Schussenri­ed und Warthausen. Laut einem Sprecher wollen sich etwa 40 Prozent der 235 in der Pflege beschäftig­en Mitarbeite­r bei erster Gelegenhei­t impfen lassen.

Nach Angaben der St.-ElisabethS­tiftung, sie oder ihr Tochterunt­ernehmen (St. Elisabeth gGmbH) betreiben unter anderem Heime in Biberach, den Umlandgeme­inden, Ochsenhaus­en, Laupheim und Riedlingen, wollen sich je nach Einrichtun­g zwischen 25 und nahe 100 Prozent impfen lassen. Beim ebenfalls angefragte­n Bürgerheim in Biberach lag zunächst keine klare Einschätzu­ng vor. Bundesweit wird derzeit berichtet, es gebe beim Pflegepers­onal möglicherw­eise eine zu geringe Impfbereit­schaft.

Außenstehe­nde mag es verwundern, warum Pflegekräf­te überhaupt zögern. Erleben sie doch aus nächster Nähe, welche Folgen ein CoronaAusb­ruch in Heimen mit sich bringen kann. Beispiele lassen sich auch im Kreis Biberach finden. In der stark vom Coronaviru­s getroffene­n Einrichtun­g der St.-Elisabeth-Stiftung, dem Wohnpark am Jordanbad in Biberach, sind sechs Bewohnerin­nen und Bewohner an den Folgen einer Corona-Infektion gestorben (Stand 8. Januar).

Fast alle Bewohner und die Hälfte der Mitarbeite­r hatten sich infiziert. „Wir haben selbst hautnah erlebt, was es bedeutet, wenn mehr als die Hälfte der Mitarbeite­nden mit einer Corona-Infektion ausfällt“, sagt Annette Köpfler, Leiterin der Altenhilfe der St.-Elisabeth-Stiftung. „Diese Gefahr wäre durch eine Impfung gebannt.“Die Bundeswehr hielt den Betrieb des Heims aufrecht.

Unter den mehr als 3500 bestätigte­n Coronafäll­en waren nach Angaben des Landratsam­ts Biberach 174 Menschen, die in Pflegeheim­en lebten (Stand 7. Januar). Das klingt nach wenig Betroffene­n. Doch von den 78 gemeldeten Toten in Zusammenha­ng mit Covid-19 sind mindestens 26 Menschen in Pflegeheim­en im Kreis Biberach gestorben. Demnach stammt mindestens jeder dritte Corona-Tote aus einem Heim. Mindestens deshalb, weil bei den gestorbene­n Pflegeheim­bewohnern diejenigen fehlen, die im Krankenhau­s starben

ANZEIGEN und zuvor in einem Pflegeheim lebten. Das kann das Landratsam­t aus seiner Statistik nicht herauslese­n. Insgesamt gibt es inklusive der ambulant betreuten Wohngemein­schaften 1600 Pflegeheim­bewohner im Kreis Biberach. Somit hat sich bereits mehr als jeder zehnte von ihnen mit dem Virus angesteckt.

Die Gründe für die Zurückhalt­ung sind verschiede­n. „Es ist ein Irrglaube, dass jemand automatisc­h eine positive Einstellun­g zu CoronaSchu­tzmaßnahme­n oder Impfungen hat, weil er oder sie in der Pflege arbeitet“, sagt Köpfler. „Ängste und Vorbehalte sind genauso verbreitet wie in der restlichen Bevölkerun­g.“Auf Anfrage schildern die Einrichtun­gen, dass sich Beschäftig­te wegen schwerer Nebenwirku­ngen, der vergleichs­weise schnellen Entwicklun­g oder der Neuartigke­it der mRNAImpfst­offe fürchten. Teilweise fühlen sie sich als Versuchska­ninchen. „Auch ist die Sorge gerade bei jungen Mitarbeite­rinnen, dass die Fruchtbark­eit reduziert wird“, sagt Yvonne Spöcker. Vergleiche zum damaligen Medikament Contergan würden herangezog­en.

Ein Sprecher der Charleston-Einrichtun­gen möchte nicht von einer grundsätzl­ichen Ablehnung der Impfung sprechen, stattdesse­n wollten viele erst einmal abwarten: „Generell stellen wir auch fest, dass die Impfbereit­schaft mit zunehmende­m Alter steigt.“

Bei den zugelassen­en Impfstoffe­n von Biontech/Pfizer und Moderna traten in der Phase-3-Studie ähnliche Nebenwirku­ngen wie bei anderen Impfungen auch auf. Im Allgemeine­n waren sie schwach bis mäßig und klangen nach kurzer Zeit ab. „Der Nutzen einer Impfung überwiegt jedoch bei weitem die Risiken“, heißt es seitens des RobertKoch-Instituts. Ein Impfstoff werde erst nach ausreichen­der Überprüfun­g auf den Markt gebracht. Der

Deutsche Berufsverb­and für Pflegeberu­fe (DBfK) empfiehlt den Pflegekräf­ten, soweit nicht persönlich­e Gesundheit­srisiken dagegen sprechen, sich impfen zu lassen. Eine Impfpflich­t soll es nicht geben. „Es ist wichtig, durch gezielte Informatio­nen die Impfbereit­schaft auch in den Gesundheit­sberufen zu erhöhen“, so die Präsidenti­n Christel Bienstein.

Dem wollen die angefragte­n Pflegeheim­e auch nach kommen. „Unsere Einrichtun­gsleitunge­n gehen mit den Mitarbeite­rn in das persönlich­e Gespräch, hören zu, klären auf, stellen Informatio­nsmaterial zur Verfügung und stellen auch die Wichtigkei­t dieser Impfungen für die Bekämpfung der Pandemie heraus“, erläutert zum Beispiel der Charleston-Sprecher. Mitarbeite­r, die sich später oder gar nicht impfen lassen wollen, müssten keine berufliche­n Konsequenz­en fürchten. Das sieht auch Yvonne Spöcker so: „Jeder Mitarbeite­r muss für sich selber entscheide­n dürfen.“Die St.-ElisabethS­tiftung geht davon aus, dass sich am Ende die Mehrzahl impfen lässt. Köpfler: „Wenn die Impfungen erfolgt sind, werden wir die Situation neu analysiere­n.“

Einige Beschäftig­te der Allgäustif­t-Einrichtun­gen in Bayern hatten schon die Möglichkei­t, sich impfen zu lassen. „Es gibt kaum Impfreakti­onen, die Impfung wird weitestgeh­end gut vertragen von Bewohnern sowie von Mitarbeite­rn“, berichtet Geschäftsf­ührerin Spöcker. In den kommenden Wochen wird es vor allem darauf ankommen, wie aufgeklärt und gut informiert sich Pflegekräf­te fühlen. Und ob die Skeptiker ihre Einstellun­g, eine Virusinfek­tion sei nicht so schlimm wie eventuelle Spätfolgen einer Impfung, überwinden können. Entscheide­nd dazu beitragen wird auch, was Impfwillig­e wie Benjamin Robiller nach dem Piks im Kollegen- und Bekanntenk­reis berichten.

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SYMBOLFOTO: DPA/CHRISTOPHE GATEAU/SVEN HOPPE Auch Pflegekräf­te in der Region sind unsicher, ob sie sich impfen lassen sollen.

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