Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Wie in guten alten Zeiten

Timo Boll überragt beim Düsseldorf­er Pokalsieg, ein starker Simon Gauzy ist zu wenig für Ochsenhaus­en

- Von Jürgen Schattmann

NEU-ULM - Im März wird Timo Boll 40 Jahre alt, und zuletzt hatte er sich darüber beklagt, dass ihm die Form in Corona-Zeiten ohne große Turniere etwas abhanden gekommen sei. „Aber woher soll sie auch kommen?“, rechtferti­gte er sich selbst. Am Samstagabe­nd, nach vier Einzelsieg­en beim 3:1 im Finale über die TTF Liebherr Ochsenhaus­en und dem 3:1 im Halbfinale gegen Titelverte­idiger Grünwetter­sbach, leuchteten Bolls Augen. Vor der Pressekonf­erenz in Neu-Ulm beugte er sich rüber zum Ochsenhaus­ener Simon Gauzy, der mit zwei Einzel- und einem Doppelsieg ebenfalls ungeschlag­en geblieben war, und murmelte: „Vier Spiele an einem Tag, das ist nicht mehr mein Sport, das bin ich nicht mehr gewohnt.“Gauzy blickte ihm über den Mundschutz tief in die Augen und beantworte­te Bolls Koketterie mit viel Empathie: „Ich finde, du hast das ganz gut gemacht.“

Hatte er. Tatsächlic­h erinnerte der 40-jährige Boll beim Final Four an den guten alten 25-Jährigen. Er machte nichts Spektakulä­res, gewann die kleinen Bälle: Aufschlag, Rückschlag. „Ich habe am Ende gut platziert und war sehr konzentrie­rt“, sagte er nach dem 11:8, 11:8, 11:7 über Kanak Jha, dem er jeweils bei Gleichstan­d kurz vor Satzende enteilt war. Und im finalen Spitzenein­zel gegen Hugo Calderano, die Nr. 6 der Welt, bog Boll im vierten Satz mit sehr präzisem Spiel eine 6:10-Führung um, während der Brasiliane­r es mit Gewalt versuchte und zu allem Überfluss beim Stand von 9:10 noch eine Verwarnung kassierte, weil er vor dem Aufschlag gegen die 15-Sekunden-Zeitregel verstieß.

„Wir wussten nach zwei Jahren Pause gar nicht mehr, wie sich so ein Titel anfühlt, jetzt haben wir nach dem Champions-League-Sieg im Dezember gleich zwei“, sagte Boll und war dankbar für die guten Gefühle. „Schon vor drei Jahren habe ich gesagt, dass die Ära der anderen anbrechen könnte, umso mehr werde ich das jetzt genießen. Wer weiß, ob noch viele solcher Momente dazukommen.“Stolz war Boll auch darüber, „dass ich diesmal wieder den Sack zumachen durfte“. Im Dezember war Teamkolleg­e Anton Källberg mit Abstand

bester Mann gewesen und weckte dabei den Verdacht, intern die Wachablösu­ng vollzogen zu haben. So weit aber ist es noch nicht bei der Borussia, Boll sagte dazu nur: „Wenn man einen Titel gewinnen will, reicht ein guter Spieler und ein Anführer nicht mehr. Man braucht zwei davon.“

Das wissen auch die Ochsenhaus­ener, die Doublesieg­er von 2019, und in Calderano und Gauzy haben sie die im Normalfall auch. Doch während der Franzose mit seinen manchmal fast magischen Schnittvar­ianten nicht nur Källberg, dem bis dato überragend­en Düsseldorf­er, den Zahn zog, sondern auch in seinem ersten Doppel mit dem jungen Polen Samuel Kulczycki im Halbfinale gegen Bergneusta­dts Spezialist­en

Alvaro Robles und Stefan Fegerl den 3:2-Sieg gerettet hatte, enttäuscht­e Calderano diesmal mit einer 1:3-Bilanz. Schon gegen den famos aufspielen­den Bergneustä­dter Benedikt Duda hatte Calderano ein 10:6 im dritten Satz noch verspielt und dabei nicht einmal eine Auszeit genommen, um den Run des Gegners zu unterbrech­en und Hilfe von außen zu suchen, etwas, was er schon seit Jahren zuweilen unterlässt. Wirklich enttäusche­nd aber war sein Auftritt gegen Kristian Karlsson zum Final-Auftakt. 11:5, 11:5 führte Calderano, am Ende aber hieß es 11:6, 11:7, 11:4 für den Schweden. Im fünften Satz machte Karlsson nach einem 1:3-Rückstand acht Punkte in Serie, Calderano fand kein Mittel mehr.

„Ich habe nicht aufgegeben, das mache ich nie, und das war gut so“, sagte Karlsson, Bundestrai­ner und TV-Experte Jörg Roßkopf allerdings ging eher mit Calderano ins Gericht: „Karlsson hat im Halbfinale kaum einen Ball getroffen, er sucht seit Wochen nach seiner Form, aber er glaubt immer an sich und kämpft – eine Fähigkeit, die Calderano heute abging. Als Nr. 6 der Welt darf ihm das nicht passieren, da muss er Widerstand zeigen und sein Spiel durchziehe­n. Das war mir einen Tick zu einfach.“TTFPräside­nt Kristijan Pejinovic stimmte nur mit Abstrichen zu: „Karlsson beginnt eigentlich immer erst bei 0:2Rückstand mit dem Spielen, das muss man wissen, den darf man nie abschreibe­n. Aber Hugo hat es versucht, er hat gekämpft, und gegen Timo hat ihm am Ende einfach die Luft gefehlt. Ich war gerade in der Kabine und habe gesehen, wie sehr ihn die Niederlage schmerzt.“

Der Brasiliane­r sei einfach introverti­ert, auch für den Trainer seien sein Gesicht und sein Zustand schwierig zu lesen, „und ob er ein Timeout braucht, muss auch der Spieler wissen“. Trainer Fu Yong sagte, Calderano habe den ganzen Tag über nie seinen Rhythmus und sein Spiel gefunden. „Er hat nicht das gezeigt, was er kann.“Gauzy allerdings nahm seinen Mitstreite­r in Schutz: „Hugo ist eindeutig unser bester Spieler, er ist halt ruhiger, nicht so explosiv, keiner, der die ganze Zeit redet und schreit so wie ich.“Viel mehr störte den Franzosen die Leistung der Schiedsric­hter, die bereits Kanak Jha im Spiel gegen Duda beim Stand von 9:9 im finalen Satz wegen eines fehlerhaft­en Ballwurfs einen Punkt abgezogen hatten. „Das ist immer das Gleiche, immer die gleichen Gesichter, das macht mich traurig.“Fingerspit­zengefühl habe da gefehlt, meinte das TTF-Lager.

Auch die Ochsenhaus­ener waren stolz auf sich. „Wir haben ein junges Team, einen großen Umbruch hinter uns und waren wieder im Finale, der Weg stimmt“, sagte Pejinovic. Die Spieler seien keine Maschinen, fügte der TTF-Macher an und führte Calderano und Jha als Beispiele an. „Beide waren jetzt ein Jahr lang nicht mehr bei ihren Familien in Brasilien und den USA, auch nicht an Weihnachte­n. Wegen Corona, den vorgeschri­ebenen Quarantäne­n und unseres Terminplan­s war das einfach nicht möglich. Die Nähe und der Kontakt fehlt den beiden natürlich. Auch Simon, der in Ochsenhaus­en zumindest seine eigene Familie hat, leidet darunter.“Der Manager weiß: Selbst Seriensieg­e und Trophäen können das Gefühl nicht ersetzen, nach Hause zu kommen.

– Calderano – Karlsson 2:3 (11:5, 11:5, 6:11, 7:11, 4:11), Kanak Jha – Boll 0:3 (8:11, 8:11, 7:11), Gauzy – Källberg 3:2 (8:11, 11:4, 11:7, 9:11, 12:10), Calderano – Boll 1:3 (5:11, 10:12, 12:10, 10:12).

 ?? FOTO: NORDPHOTO/IMAGO IMAGES ?? Gewohntes Bild: Timo Boll führt die Düsseldorf­er zu ihrem 27. Pokalsieg.
FOTO: NORDPHOTO/IMAGO IMAGES Gewohntes Bild: Timo Boll führt die Düsseldorf­er zu ihrem 27. Pokalsieg.

Newspapers in German

Newspapers from Germany