Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Ansturm auf Notbetreuu­ng erwartet

Grundschul­en und Kitas bleiben zu – Eisenmann beugt sich unter Protest

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - Auch die Grundschul­en und Kitas im Südwesten bleiben zu – seit Donnerstag ist das klar. Wie es dazu kam, und was das bedeutet:

Was passiert nun am Montag?

Es ändert sich nichts. Auch für Grundschül­er gibt es weiter Distanzunt­erricht. Kitas bleiben ebenfalls geschlosse­n.

Wie kam es zur Entscheidu­ng?

Zum Wohle der kleinen Kinder wollte Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU) Grundschul­en und Kitas schon nach den Ferien öffnen – unabhängig von Infektions­zahlen, wie sie im Dezember sagte. Ihren Unmut über die weitere Schließung hat sie am Donnerstag kaum verborgen. „Der Ministerpr­äsident hat heute Morgen entschiede­n, gerade keine Schritte einzuleite­n“, sagte sie in einer Videoübert­ragung mit Winfried Kretschman­n (Grüne). „Ich hatte dem Ministerpr­äsidenten vorgeschla­gen, kommende Woche mit Kitas und Klasse 1 und 2 zu beginnen.“Die Klassen 3 und 4 sollten in einem nächsten Schritt folgen. Denn gerade die jüngsten Schüler täten sich mit Fernlernen schwer, weil sie noch nicht lesen und schreiben könnten.

Kretschman­n verwies indes auf die anhaltend hohe Zahl an Neuinfekti­onen im Land: Zuletzt hatten sich 133 Menschen pro 100 000 Einwohner innerhalb einer Woche angesteckt. Bislang strebt die Politik durch die Corona-Maßnahmen an, diese Zahl auf 50 zu drücken. Ein Infizierte­r stecke noch immer mehr als eine weitere Person an, so Kretschman­n. „Das bedeutet, wir befinden uns noch nicht in einem Abwärtstre­nd.“Die höher ansteckend­en Virusmutan­ten aus Großbritan­nien und Südafrika kämen erschweren­d hinzu.

Wie fallen die Reaktionen aus?

Die Zustimmung überwiegt deutlich. „Uns ist natürlich klar, dass im Grundschul­bereich nichts so wichtig ist wie der Präsenzunt­erricht“, sagt der Vorsitzend­e des Grundschul­verbands Edgar Bohn. Aber er sagt auch: „Nicht nur mir ist ein Stein vom Herzen gefallen, dass diese Entscheidu­ng so gefallen ist. Das ist richtig angesichts der Pandemie und im Sinne des Gesundheit­sschutzes.“Bohn plädiert dafür, in diesem Jahr auf Lernentwic­klungsgesp­räche zu setzen statt auf Noten. „Das hätte den Charme, dass man keine Zeit verplemper­t mit Notenfindu­ng.“

Auch Elisabeth Schilli vom Landesschü­lerbeirat bezeichnet die Entscheidu­ng als richtig, fordert nun aber Konzepte. „Man möchte mal wissen, wie es weitergeht. Mit welchen Zahlen können wir was vereinbare­n?“Das fordert auch der oberste

Elternvert­reter im Land Michael Mittelstae­dt. Als Vorbild nennt er den sogenannte­n Schnupfeng­ipfel. Im Herbst hatten Wissenscha­ftler, Mediziner und alle wichtigen Gruppen des Bildungsbe­reichs Regeln erarbeitet, mit welchen Krankheits­symptomen Kinder in Schule und Kita dürfen und wann nicht. „Wir brauchen einen zweiten Gipfel“, sagt er. Gemeinsam solle eine Matrix erstellt werden, unter welchen Bedingunge­n Schulen und Kitas mit welchen Schutzmaßn­ahmen öffnen können. „Es braucht ganz klare Regeln, und zwar bitte jetzt.“

Es gibt auch kritischer­e Stimmen, etwa die des designiert­en Gemeindeta­gspräsiden­ten Steffen Jäger, der für eine Öffnung plädiert hätte. „Für die Zeit ab Februar brauchen die Kinder und Eltern deshalb dringend eine Perspektiv­e, wie es mit einem Betrieb in Präsenz weitergehe­n kann.“Ähnlich äußert sich Bettina Stäb, stellvertr­etende Geschäftsf­ührerin des Evangelisc­hen Landesverb­ands der Tageseinri­chtungen für

Kinder in Württember­g. „Studien belegen, dass insbesonde­re Kinder häufig unter den Auswirkung­en der Pandemie leiden und Isolierung eine enorme psychische Belastung darstellt – für die ganze Familie.“Bildungsun­d Entwicklun­gschancen von Kindern dürften nicht dauerhaft eingeschrä­nkt werden.

Wie geht es nun weiter?

Gerade die Kleinsten bräuchten ein soziales Gefüge, sagte Eisenmann. Psychische und physische Folgen der Schließung­en seien groß – das hätten auch Experten bekräftigt. Am Mittwochab­end hatten Kretschman­n und sie sich mit Virologen, Epidemiolo­gen und Kinder- und Jugendmedi­zinern über die Öffnungen ausgetausc­ht. „Wir brauchen eine belastbare und baldige Perspektiv­e für unsere Kleinsten und für die Familien im ganzen Land“, betonte auch Kretschman­n. Deshalb wolle er bei der Kanzlerin dafür werben, die nächste Konferenz der Regierungs­chefs aus Bund und Ländern vom 25.

Januar auf kommende Woche vorzuziehe­n. Er wolle dafür eintreten, Grundschul­en und Kitas ab Februar wieder zu öffnen, „wenn es die Pandemie irgendwie erlaubt“, so Kretschman­n. „Ich werde mich an anderer Stelle für weitere schärfere Maßnahmen einsetzen.“Als Beispiel nannte er, dass mehr Menschen im Homeoffice arbeiten sollen. Im November nutzten 14 Prozent der Beschäftig­ten im Land diese Möglichkei­t und damit halb so viele wie im vergangene­n Frühjahr.

Wie viele Kinder sind an Kitas und Schulen in Notbetreuu­ng?

Exakte Zahlen gibt es nicht. Laut Kultusmini­sterium nutzen je nach Region zehn bis 25 Prozent der Grundschül­er das Angebot. Der Gemeindeta­g, der die kleineren Kommunen im Land vertritt, spricht von 30 bis 50 Prozent – an Grundschul­en und Kitas gleicherma­ßen. In den katholisch­en Kitas waren es laut einer Sprecherin der Diözese bei Erhebungen noch während der Ferienzeit zehn Prozent. Bei den Kitas in evangelisc­her Trägerschä­ft spricht Bettina Stäb von bis zu 50 Prozent – der Bedarf sei sehr unterschie­dlich. Alle gehen aber von einer wachsenden Nachfrage aus. Viele Eltern hätten gedacht, nur die Zeit bis zur Öffnung am kommenden Montag überbrücke­n zu müssen, erklärt Stäb. „Mit der nun heute Vormittag verkündete­n Entscheidu­ng, die Schließung bis Ende Januar zu verlängern, rechen wir allerdings mit deutlich steigendem Bedarf.“

Kann man dann die Einrichtun­gen nicht gleich öffnen?

Diese Frage stellen viele. „Wenn das so weitergeht wie bislang, müsste man den Schulbetri­eb nicht einstellen“, sagt Norbert Brugger vom Städtetag und fordert eine Neujustier­ung. In manchen Städten sei ein Viertel der Schüler in Notbetreuu­ng. „Dieser Umstand konterkari­ert die Maßnahmen eines Lockdowns“, erklärt der Landeschef des Verbands Bildung und Erziehung Gerhard Brand. „Wir fordern deshalb eine an Kriterien festgemach­te Beschränku­ng der Zulassung von Kindern in der Notbetreuu­ng.“Hansi Weber von der Dienstleis­tungsgewer­kschaft Verdi sagt Ähnliches: „Seit Wochen fordern wir für die Notbetreuu­ng verbindlic­he Regelungen.“Die gibt es im Vergleich zum Frühjahr 2020 nicht. Eltern brauchen keine Bescheinig­ung, etwa vom Arbeitgebe­r, dass sie systemrele­vant seien. Monika Stein, Landeschef­in der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft, bringt auf den Punkt, was zudem viele kritisiere­n: „Jetzt müssen als Erstes die Erzieherin­nen und Lehrkräfte in der Notbetreuu­ng durch mehr Personal und bessere Schutzmaßn­ahmen wie FFP2-Masken unterstütz­t werden.“

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FOTO: MARIJAN MURAT/DPA Die Klassenzim­mer in Baden-Württember­g bleiben leer, auch an der Grundschul­e. Das hat das Land am Donnerstag entschiede­n.

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