Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Mit einem blauen Auge davongekom­men

Corona-Krise trifft Wirtschaft 2020 mit Wucht – Zweitstärk­ster Konjunktur­einbruch der Nachkriegs­zeit

- Von Friederike Marx und Jörn Bender

WIESBADEN (dpa) - Deutschlan­d stürzt im Corona-Jahr 2020 in eine der schwersten Konjunktur­krisen der Nachkriegs­zeit, im Staatshaus­halt klaffen erstmals seit 2011 wieder tiefe Löcher. Doch gemessen an den Befürchtun­gen ist Europas größte Volkswirts­chaft noch vergleichs­weise glimpflich davongekom­men. In diesem Jahr trauen die Bundesregi­erung und Volkswirte der deutschen Wirtschaft ein kräftiges Comeback zu.

Er sei insgesamt überzeugt, dass das „Wachstum deutlich und spürbar sein wird“, sagte Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier am Donnerstag. Es werde wegen der zweiten Corona-Welle aber vielleicht nicht ganz so stark ausfallen wie ursprüngli­ch erhofft. Eine genaue Prognose gab der CDU-Politiker nicht ab. Im Herbst hatte Altmaier für 2021 mit einem Anstieg des deutschen Bruttoinla­ndsprodukt­s (BIP) von 4,4 Prozent gerechnet.

Im vergangene­n Jahr brach die Wirtschaft­sleistung Deutschlan­ds nach einer ersten Schätzung des Statistisc­hen Bundesamte­s um 5,0 Prozent im Vergleich zum Vorjahr ein. Tiefer war die Rezession nur während der globalen Finanzkris­e 2009, als die Wirtschaft um 5,7 Prozent schrumpfte. Für Hoffnung sorgt der Jahresausk­lang 2020: Nach ersten Schätzunge­n der Wiesbadene­r Behörde ist das BIP im vierten Quartal zum Vorquartal trotz des zweiten Lockdowns nicht geschrumpf­t.

„Eigentlich ein Katastroph­enjahr, aber gemessen an den zwischenze­itlichen Befürchtun­gen könnte man sagen, dass wir noch glimpflich davon gekommen sind“, analysiert­e LBBWChefvo­lkswirt Uwe Burkert. Ähnlich argumentie­rte ZEW-Ökonom Friedrich Heinemann: „Die gute finanziell­e Situation des Staates, aber vor allem auch die Widerstand­skraft der Unternehme­n und deren umsichtige­s Pandemie-Management haben das Land vor Schlimmere­m bewahrt.“

Erstmals seit 2011 verzeichne­te Deutschlan­d im Gesamtjahr wieder ein Haushaltsd­efizit. Bund, Länder, Gemeinden und Sozialvers­icherungen gaben nach vorläufige­n Angaben des Wiesbadene­r Bundesamte­s im vergangene­n Jahr 158,2 Milliarden Euro mehr aus, als sie einnahmen. Bezogen auf die gesamte Wirtschaft­sleistung lag das Defizit bei 4,8 Prozent. Das war das zweithöchs­te Minus seit der deutschen Wiedervere­inigung,

nur übertroffe­n vom Rekorddefi­zit des Jahres 1995, in dem die Schulden der Treuhand in den Staatshaus­halt übernommen wurden.

Die Einnahmen des Staates sanken in der Corona-Krise. Das Steueraufk­ommen verringert­e sich deutlich um 8,0 Prozent, auch weil die Mehrwertst­euer vom 1. Juli an für ein halbes Jahr gesenkt wurde, um den privaten Konsum anzukurbel­n. Zugleich stiegen die staatliche­n Ausgaben unter anderem infolge milliarden­schwerer Hilfspaket­e.

Die wichtigste­n Konjunktur­stützen brachen im vergangene­n Jahr ein. Die privaten Konsumausg­aben schrumpfte­n um 6,0 Prozent und damit so stark wie noch nie. Exporte und Importe sanken deutlich, Investitio­nen der Unternehme­n in Ausrüstung­en wie Maschinen waren rückläufig. Lediglich die staatliche­n Konsumausg­aben und der Bau legte zu und verhindert­en einen noch stärkeren Konjunktur­absturz.

Der mehr als 14 Jahre anhaltende Anstieg der Erwerbstät­igkeit in Deutschlan­d endete in der Krise. Die Zahl der Erwerbstät­igen sank im Vergleich zu 2019 um 1,1 Prozent auf durchschni­ttlich 44,8 Millionen.

Etliche Ökonomen sagen Europas größter Volkswirts­chaft in diesem Jahr ein starkes Comeback voraus – trotz des zunächst bis Ende Januar verlängert­en Lockdowns. „Deutschlan­d darf dankbar sein, dass es eine exportstar­ke Industrie hat, die vom China-Boom profitiert. Die wieder besser gefüllten Auftragsbü­cher werden die Industriep­roduktion in den kommenden Monaten anschieben“, sagte Thomas Gitzel, Chefökonom der VP-Bank-Gruppe.

Commerzban­k-Chefvolksw­irt Jörg Krämer rechnet zwar mit einem Rückgang des Bruttoinla­ndsprodukt­s im ersten Quartal 2021, weil die Einschränk­ungen

für die Wirtschaft wohl bis Ende März anhalten werden: „Aber ab dem Frühjahr erwarten wir wegen der höheren Temperatur­en einen Rückzug der Pandemie und eine kräftige wirtschaft­liche Erholung.“Für das Gesamtjahr 2021 geht Krämer von 4,5 Prozent Wirtschaft­swachstum aus. DZ-Bank-Ökonom Michael Stappel rechnet mit einem „Post-Corona-Boom in der zweiten Jahreshälf­te“.

Auch die Wiesbadene­r Statistike­r sehen gute Chancen für eine starke Erholung der deutschen Wirtschaft nach Ende des aktuellen Lockdowns. „Ich würde hoffen, dass es einen ähnlichen Aufschwung geben könnte wie im vergangene­n Jahr“, sagte Albert Braakmann, Leiter der Abteilung „Volkswirts­chaftliche Gesamtrech­nungen, Preise“bei der Behörde. Vor allem der private Konsum dürfte kräftig anziehen, denn in der Pandemie hielten viele Menschen ihr Geld zusammen. Die Sparquote kletterte von 10,9 Prozent im Jahr 2019 auf das Rekordhoch von 16,3 Prozent. Von 100 Euro verfügbare­m Einkommen legten die Haushalte somit im Schnitt gut 16 Euro auf die hohe Kante.

Mit einer Rückkehr der deutschen Wirtschaft zum Niveau von vor der Corona-Krise rechnen die meisten Volkswirte derzeit aber frühestens um die Jahreswend­e 2021/22 – vorausgese­tzt, dass bis dahin so viele Menschen gegen das Coronaviru­s geimpft sind, dass sich das Wirtschaft­sleben wieder normalisie­rt.

Probleme mit Brüssel wegen des Defizits drohen Deutschlan­d nicht. Die Staaten der Europäisch­en Union hatten wegen der Corona-Krise erstmals die Regeln des Stabilität­s- und Wachstumsp­akts ausgesetzt, wonach das Haushaltsd­efizit nicht über drei Prozent und die Gesamtvers­chuldung nicht über 60 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s steigen darf.

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FOTO: STEFAN PUCHNER/DPA Prüfung von Turbinente­ilen beim Anlagenbau­er Voith in Heidenheim: Die Stärke der Exportwirt­schaft hat Deutschlan­d vor einem noch heftigeren Konjunktur­einbruch bewahrt.

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