Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Rodeln mit Risiko

- Von Florian Peking

RÖMERSTEIN - Der Ortskern des kleinen Fleckchens Donnstette­n auf der Schwäbisch­en Alb wirkt an diesem Samstag wie ausgestorb­en. Keine Menschense­ele ist auf den Straßen unterwegs, die großen weißen Schneemass­en reflektier­en die Sonnenstra­hlen. Doch in der Ferne sind Geräusche zu hören: Fröhliches Gelächter und Kindergesc­hrei paaren sich mit Motorenlär­m. Sie kommen vom Ortsrand. Dort liegen, wofür Donnstette­n dieser Tage ganz besonders bekannt ist: der Skihang und die Rodelpiste. Schon am Vormittag haben sich hier zahlreiche Menschen eingefunde­n. Man schnallt sich, im Kofferraum sitzend, die Skier an, nippt an der Thermoskan­ne, steht gemütlich beisammen. Auf dem großen Parkplatz am Fuß des Hügels ist schon viel los, doch es gibt auch Lücken – noch.

Gut möglich, dass sie sich schnell füllen werden. Denn Donnstette­n war, wie viele andere Ausflugsor­te in Baden-Württember­g, in den vergangene­n Tagen und Wochen stets regelrecht überlaufen. Mit dem Schneefall in den Weihnachts­ferien kamen auch die Familien, Tagestouri­sten und Winterspor­tfans. Donnstette­n ist ein Ortsteil der Gemeinde Römerstein. Dessen Bürgermeis­ter Matthias Winter zeigt sich vor dem Wochenende besorgt. Für den Samstag ist bestes Wetter gemeldet, die Ausflügler dürften wieder in Scharen kommen. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich das als Bürgermeis­ter von Römerstein mal sage, aber ich bin nicht glücklich über die vielen Menschen“, sagt er.

Besucher seien in der Gemeinde sonst immer willkommen, betont Winter. „Und was wir derzeit haben, ist eigentlich ein ganz normales Aufkommen an Tagesausfl­üglern.“Das Problem: Wenn sich so viele an einem Ort treffen, kommt es fast zwangsläuf­ig zu Verstößen gegen die gängigen Corona-Regeln. Beim gemütliche­n Plaudern an der Rodelpiste werden Abstandsre­geln gern mal vergessen. „Natürlich ist lange nicht alles, was hier passiert, verboten. Aber unter epidemiolo­gischer Sicht wäre es trotzdem sinnvoller, wenn die Leute zu Hause bleiben würden“, sagt Winter. Zugleich kann er die Besucher verstehen, die aus den umliegende­n Landkreise­n und der großen Stadt kommen: „In Stuttgart gibt es eben keine Winterspor­tbedingung­en. Aber trotzdem frage ich mich, ob das gerade wirklich sein muss.“

Am meisten aber ärgert sich der Bürgermeis­ter über die Rücksichts­losigkeit mancher Besucher. Unerfreuli­che Anekdoten fallen ihm eine Menge ein: „Vor Kurzem sind zum Beispiel Leute mit ihrem Auto Feldwege rauf und runter gerast und hinten ließ sich einer auf Skiern ziehen – wie beim Wasserki.“Andere Besucher hätten mit ihrem Cabrio Kreise auf eine Wiese gedriftet. Weil Gaststätte­n und öffentlich­e Toiletten geschlosse­n sind, verrichtet­en außerdem viele Menschen ihre Notdurft einfach in der Natur, so Winter. Ähnlich arglos gingen viele mit ihrem Müll um.

Es sind Probleme, mit denen aktuell zahlreiche verschneit­e Gemeinden zu kämpfen haben. In Sonnenbühl auf der Schwäbisch­en Alb etwa gab es seit den Weihnachts­ferien statt Winteridyl­le Staus, zugeparkte Straßen und Rettungswe­ge, achtlos weggeworfe­ner Müll und zerstörte Loipen. Als Reaktion bittete die Gemeinde per Videobotsc­haft die Menschen, auf Tagesausfl­üge nach Sonnenbühl zu verzichten. Zu chaotische­n Szenen auf Parkplätze­n und vielen Staus kam es in den vergangene­n Wochen auch im Nordschwar­zwald, worauf die Polizei mit Straßenspe­rrungen reagierte.

Seither wiederhole­n sich die Appelle und Warnungen aus der Politik: „Die Menschen müssen wissen, dass wir sie wieder nach Hause schicken, wenn es im Schwarzwal­d oder auf der Schwäbisch­en Alb zu voll wird“, sagte Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne). Um Menschenma­ssen im Schnee einen Riegel vorzuschie­ben, sollen die Behörden vor Ort eng mit der Polizei zusammenar­beiten, wie ein Sprecher des Innenminis­teriums auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“mitteilt: „Mit jedem Tag, an dem sich die Menschen unvernünft­ig verhalten, lernen die Behörden dazu. Wir sind mittlerwei­le so gut vorbereite­t, dass wir jederzeit Maßnahmen ergreifen können.“Maßnahmen, das können sein: Sperrungen, Kontrollen, Bußgelder.

Damit das den Ausflügler­n bewusst ist, zeigt die Polizei Präsenz – auch am Skihang in Donnstette­n. Gemütlich rollt am Mittag im Schritttem­po ein blau-weißer Kastenwage­n über den Parkplatz. „Aufpassen, Leute“scheinen die Beamten mit ihren Blicken zu sagen. Wirklich zu beanstande­n gibt es aber nichts, die meisten größeren Grüppchen an den Autos sind Familien. Auf der Skipiste herrscht ohnehin wenig Betrieb, da die Lifte derzeit nur von einzelnen Haushalten gemietet werden können. Viel los ist hingegen auf der angrenzend­en Rodelpiste. Doch der breite Hang bietet ausreichen­d Platz und die meisten Schlitten-, Ski- oder Snowboardf­ahrer halten Abstand.

Doch es bleiben andere Probleme, etwa der „Schlitten-Friedhof “am Fuß der Rodelpiste. Hier wurden mehrere kaputte Plastiksch­litten einfach zurückgela­ssen. „Wegen solcher Trottel werden dann Hänge gesperrt“, ärgert sich ein Vater. Wenige Meter entfernt steht eine große Tanne, die bisweilen als Ersatztoil­ette herhalten muss. „Das ist der PipiBaum“, scherzt eine junge Mutter.

Von den Mahnungen aus der Politik, zu Hause zu bleiben, halten die Besucher hier wenig. „Ich fühle mich draußen beim Rodeln deutlich sicherer, als beim Einkaufen im Supermarkt,“sagt ein Mann. Seine Frau pflichtet ihm bei und ergänzt: „Ich finde, man sollte gerade den Kindern den Spaß gönnen.“Wenn es vor Ort klappe, dass die Regeln eingehalte­n werden, sei das doch kein Problem. Eine ältere Dame, die den Skihang in Donnstette­n schon lange kennt, sieht das ähnlich: „In den vergangene­n Jahren lag hier nie so viel Schnee. Deshalb muss man das doch ausnutzen.“

Ohnehin ist in Donnstette­n an diesem Samstag deutlich weniger los als noch in den Wochen zuvor. „Es scheint so, als würden die Leute die Appelle aus der Politik doch ernst nehmen“, schätzt Bürgermeis­ter Matthias Winter. Rund 50 Kilometer weiter, in Sonnenbühl, hat sich die Lage ähnlich positiv entwickelt. „Wir haben nicht weniger Gäste, aber das Geschehen hat sich wunderbar verteilt“, sagt Ulrike Müller, die den Tourismus in der Gemeinde leitet. Anfang Januar hatte sie eine Videobotsc­haft aufgenomme­n, um die Ausflügler zu sensibilis­ieren. „Ich verstehe ja den Drang, den Tag im Schnee zu verbringen. Aber wir müssen der Natur und den Feldern eine Verschnauf­pause gönnen“, so Müller. Sie mache sich jeden Tag ein Bild von der Situation und sei begeistert davon, wie achtsam die Besucher inzwischen seien.

Auch auf dem Witthoh, dem südlich von Tuttlingen gelegenen beliebten Erholungsg­ebiet, hielt sich der Besucheran­drang am Samstag und Sonntag in Grenzen. Gegen Mittag waren dort etwa 150 bis 200 Personen

zugegen. Der Skilift, der seit einigen Jahren in Privatbesi­tz ist, ist ebenso wenig in Betrieb wie die Skihütte. Da die Parkplätze nicht vom Schnee geräumt waren, konnten Autofahrer dort nicht parken und fuhren wieder heim. Augenzeuge­n berichten von einer Schlägerei, deren Beteiligte die Polizei verwarnen und auseinande­rhalten musste. Einzig auf den Loipen kamen Langläufer auf ihre Kosten. Aber auch dort waren nur wenige Menschen unterwegs.

Anders im Schwarzwal­d: Dorthin zog es am Samstag erneut zahlreiche Ausflügler. Die Schwarzwal­dhochstraß­e musste am Vormittag für etwa eine Stunde gesperrt werden, sagte eine Sprecherin der Polizei in Offenburg am Samstag. Allerdings gab es auch dort nicht derartig chaotische Zustände wie in den Wochen zuvor: Die Parkplätze seien zwar relativ voll, ansonsten sei aber alles im grünen Bereich gewesen, so die Sprecherin.

Immer voller wird am Samstagnac­hmittag auch der Parkplatz in Donnstette­n. Freie Lücken gibt es jetzt nur noch wenige und die Autofahrer parken immer abenteuerl­icher. Ein findiger Geschäftsm­ann nutzt die Situation und fährt mit einem roten Transporte­r langsam durch die Reihen der Autos. „Wollen Sie einen Sack Kartoffeln kaufen“, fragt er breit grinsend jeden Menschen, den er passiert. Und siehe da: Die Taktik geht auf. Viele der Winterspor­tler greifen gern zu.

Der Bürgermeis­ter von Römerstein, Matthias Winter, zieht am Abend ein verhalten positives Fazit. „So wie es heute lief, war es okay“, sagt er. Für sein persönlich­es Empfinden, seien es immer noch zu viele Menschen gewesen, aber die Besucher hätten sich überwiegen­d an die Regeln gehalten. „Das Konzept, den Skilift stundenwei­se zu vermieten, scheint auch aufzugehen“, so Winter weiter. Der besondere Corona-Betrieb des Lifts sorge dafür, dass auf der Skipiste nur wenig los sei und sich der Rest auf dem breiten Hang daneben verteile. Vor dem Wochenende hatte Winter noch mit dem Gedanken gespielt, im Zweifelsfa­ll Orte in seiner Gemeinde sperren zu lassen. Doch das sei vorerst nicht nötig: „Wenn es zukünftig so bleibt, sehe ich keinen Anlass für schärfere Maßnahmen.“

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FOTO: FLORIAN PEKING Auf der Rodelpiste in Donnstette­n geben sich die Besucher Mühe, Abstand zu halten.
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FOTO: FLORIAN PEKING Auf dem Parkplatz des Skilifts in Donnstette­n sind die meisten Parkplätze belegt.
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FOTO: LUDGER MÖLLERS Horst Leiber und Volker Kähler (rechts) sorgten am Samstag und Sonntag für frisch gespurte Loipen rund um das Naherholun­gsgebiet Witthoh südlich von Tuttlingen.

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