Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Homeschooling: zwischen Tränen, Wut und Rollenbildern
Grundschulen und Kitas bleiben geschlossen – Mütter berichten von ihrem alltäglichen Spagat in Corona-Zeiten
LAUPHEIM/REGION - Weinende Kinder, tobende Eltern, stotternde oder fehlende Technik – der Lockdown an Kitas und Grundschulen dauert an. Anders als von Susanne Eisenmann – Kultusministerin und Spitzenkandidatin der CDU für die Landtagswahl – in Aussicht gestellt. Was bedeutet das für Väter und vor allem Mütter, die neben Job und Haushalt ihren Kindern bis auf Weiteres Unterrichtsstoff vermitteln und die Kleinsten bei Laune halten müssen? Können sie der Situation am Ende sogar Positives abgewinnen?
Kinder im Gymnasium, der Grundschule, im Kindergarten und dann auch noch eigene Schüler – diesen vierfachen Spagat meistert eine Frau aus Laupheim noch bis mindestens Ende Januar. Gestresst? „Weniger als vorher“, sagt die Mittvierzigerin. Weil außerschulische Termine und Prüfungsstress wegfallen, sei die Familie leichter zu organisieren. Allerdings „sind meine Kinder manchmal zu relaxed“. Der positive Druck falle eben auch weg. Während die Älteste gut mit Online-Plattform und gestellten Aufgaben klar kommt, macht es Mühe, die Wochenpläne des Grundschülers zu organisieren. Auch sei es für dessen Lehrerin nicht einfach, die richtige Menge und das richtige Niveau an Aufgaben zu treffen, findet sie. Die örtliche Grundschule bietet keinerlei Online-Angebote. Das versteht sie nicht. „Meinem Kind würde es schon gut tun, seine Lehrerin und die Mitschüler irgendwie zu sehen und zu hören.“Ganz durchs Raster fällt ihr jüngstes Kind. Vom Kindergarten gibt es keinerlei Angebote für die Lockdown-Phase. „Also muss ich sie lange ausschlafen lassen, sie auch mal mit Tablet ruhigstellen, sonst macht sie sich einen Spaß daraus, ihre Geschwister abzulenken.“Nachmittags dann bekommt die Kleine dafür umso mehr Aufmerksamkeit. Und wenn alle im Bett sind, bereitet die Mutter Stoff und Aufgaben für ihre Schüler vor und gibt ihnen Rückmeldung. „Da sitze ich doppelt so lange wie sonst.“
„Vollkommenes Chaos“, so stellt sich das Homeschooling für die Mutter einer Zweitklässlerin dar. Im ersten Lockdown habe sich das Kind komplett verweigert, berichtet die Laupheimerin, „wir haben uns angeschrien und ich war es, die zum Schluss geheult hat“. Sie ärgert sich, „dass wir verdonnert werden, Lehrer zu spielen, das mache ich nicht und ich kann es auch nicht“. Zumal sich viele didaktische Konzepte geändert haben – „wenn ich meiner Tochter erkläre, wie ich etwas in der Schule gelernt habe, verwirre ich sie doch nur.“Sie fühle sich aufgerieben zwischen ihrer 60-Prozent-Stelle, den Aufgaben des Kindes und anderen Eltern, die in der Whatsapp-Gruppe verkünden, bei ihnen liefe alles super. Sie versteht ihren Arbeitgeber, der von ihr erwartet, dass sie ihren Job wie üblich macht. Leicht ist das allerdings nicht, wenn die Tochter alle paar Minuten Fragen zu Mathe hat oder fröhlich singt, während sie vom Homeoffice aus mit Kunden telefoniert. Im ersten Lockdown musste sie oft abends im Büro nacharbeiten, um ihr Pensum zu schaffen. Inzwischen läuft es etwas besser, auch die Tochter hat Vorteile am Homeschooling entdeckt – „sie kann länger ausschlafen“. Dass es kein digitales Angebot an der Grundschule gibt, versteht die Frau nicht. „Wenn es um neuen Stoff geht, braucht es Online-Unterricht.“
„Dass ich in die Rolle der Hausfrau gedrängt wurde, die ich nicht wollte, das hat mir anfangs wirklich Probleme bereitet“, berichtet die Mutter zweier Mädchen, was Homeschooling mit ihr macht. „Denn ich arbeite gerne.“Für die Pädagogin und Therapeutin aus Laupheim ist Homeoffice nicht denkbar. Sie berät Studierende. „Wenn die mir ihr Herz ausschütten, dürfen meine Kinder nicht dazwischen gehen.“Die erste Schulwoche im neuen Jahr hat sie mit einer anderen Mutter organisiert. Sie hat zwei Tage deren Kind mitbetreut, Ende der Woche ging es umgekehrt und sie konnte arbeiten gehen. Sie hofft, dass sich dieses Arrangement nun verlängern lässt. Es hat einen zweiten Vorteil: Die typischen Konflikte auf der Beziehungsebene zwischen Mutter und Tochter entfallen. Während die Kinder es innerhalb der Familie mit Tränen und Trotz versuchen, stachelt gemeinsames Lernen mit Gleichaltrigen an und die andere Mutter wird eher als Lehrkraft akzeptiert als die eigene. So ihre Erfahrung.
Ausgerechnet ihre Covid-19-Erkrankung macht das Homeschooling für eine alleinerziehende Mutter zurzeit erträglich. Das Virus hat die Frau aus Laupheim zu Heiligabend niedergestreckt; weil sie weiter unter den Folgen leidet, ist sie krankgeschrieben und kann ihren jüngeren Sohn, der die dritte Klasse einer nichtstaatlichen Schule besucht, im Auge haben. Organisiert ist alles vorbildlich. „Wir haben ein Paket Aufgaben
per Post bekommen. Mein Sohn weiß genau, wann er was machen soll, sogar Pausen sind vorgegeben.“Im Frühjahr musste sie dagegen im Homeoffice arbeiten, sich mit dem älteren Sohn einen Computer teilen und dem Kleinen gerecht werden. „Das mache ich nicht nochmal mit.“Jetzt gilt für sie: „Was wir hier machen, ersetzt keinen Unterricht, ich sehe es nur als Übung, um im Stoff zu bleiben. Die Verantwortung, die Bildung zu übernehmen, ist zu groß und auf Dauer nicht tragbar.“
Begeistert von der Arbeit der Lehrer ist eine zweifache Mutter, die ihren Zweitklässler auf eine Biberacher Ganztagsschule schickt. Die Kinder bekommen in kleinen Gruppen in Videokonferenzen viel Rückmeldung und Zuspruch. Wenn ihr Sohn alleine seine Aufgaben lösen muss, wird es allerdings zäh. Die Mutter muss oft helfen und unterstützen. Gerade klappt das, weil sie krankgeschrieben ist. In den nächsten Wochen wird sie die zusätzlichen Kinderkrankentage in Anspruch nehmen. Auch die Großeltern springen ein. Um diese zu schützen, will sie es vermeiden, ihre Kinder in die Notbetreuung zu schicken. Der Gedanke,
dass sich der Lockdown bis Ostern hinziehen könnte, sei „schrecklich“. Sie wünscht sich, dass auch in der Wirtschaft strenger auf Distanz und wenige Kontakte geachtet wird. „Damit wir endlich von diesen Zahlen runterkommen.“
Seit wenigen Jahren in Landkreis lebt eine Ungarin. Neben Haushalt, Arbeit bei einem ambulanten Pflegedienst und zwei Kindern stemmt sie aktuell auch noch die Ausbildung zur Hauswirtschafterin. Ihr Mann ist als Lkw-Fahrer die meiste Zeit unterwegs. Die Kinder besuchen die Notbetreuung eines Kindergartens und die Hausaufgabenbetreuung am Gymnasium. Abends setzt sie sich hin und korrigiert, was ihr Sohn tagsüber gearbeitet hat. „Er macht das gut, er ist sehr selbstständig.“Wenn sie sprachlich an ihre Grenzen kommt, versucht sie im Internet Lösungen zu finden oder bittet eine Freundin, Korrektur zu lesen. Am Wochenende hilft ihr Mann mit den Kindern und im Haushalt, damit sie auf ihre Prüfungen lernen kann. Klagen über die aktuelle Situation hört man sie nicht. „Es ist anstrengend, aber wir wollen hier leben, also müssen wir es machen.“