Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Warum Müller komplett aufhaben darf
Betreiberin eines Spielwarengeschäfts hatte sich beschwert – Jetzt spricht der Minister
BLAUSTEIN/ULM - Dass der Konzern des Ulmer Milliardärs Erwin Müller trotz der Corona-Beschränkungen sämtliche Bereiche seiner zahlreichen Kaufhäuser öffnen darf, stößt bei seiner Konkurrenz auf – nett formuliert – Verwunderung. Die Betreiberin eines Spielwarengeschäfts in Blaustein hatte sich persönlich an das baden-württembergische Wirtschaftsministerium gewandt. Nun kam die Antwort. Das Ergebnis: Selbst eine jüngst in Kraft getretene Verschärfung der CoronaVerordnung kann Müller bislang nicht stoppen.
Das Ministerium könne „nachvollziehen“, dass Kristina Nußbaumer, die Inhaberin des Geschäfts Spielburg in Blaustein, sich gegenüber den großen Drogerieketten benachteiligt fühle. Weiter heißt es: „Leider zwingt uns die aktuelle Krisensituation zu schwierigen Entscheidungen, in denen unter Berücksichtigung des Infektionsschutzes nicht immer alle gesellschaftlichen Interessen adäquat in Ausgleich gebracht werden können.“
Die Untersagung des Betriebs von Einzelhandelsgeschäften für den Publikumsverkehr ziele darauf ab, das Zusammentreffen von Kunden, Beschäftigten, Besuchern und anderen Personen an einem bestimmten Ort auszuschließen. Ein erhöhtes Besucheraufkommen in den Innenstädten und das damit verbundene Aufeinandertreffen
einer Vielzahl von Personen im öffentlichen Personennahverkehr solle möglichst unterbunden werden. Dass Drogeriemärkte auch Artikel anbieten können, die über das zulässige Sortiment hinausgehen, begründe sich damit, dass untersagte Sortimentsteile dann verkauft werden können, wenn der Anteil des erlaubten Sortiments überwiegt. Nun kommt der Teil, der allerdings viele Händler mit Erstaunen zurücklässt, die etwa auf das mehrgeschossige Müller-Kaufhaus in Ulm blicken: Denn die kurzfristige Absperrung beziehungsweise Umräumung von Sortimentsteilen stelle die betroffenen Mischsortimentsbetriebe vor große Herausforderungen, da beispielsweise Lagerkapazitäten bereits anderweitig verplant oder belegt waren.
Außerdem müsste eine artikelgenaue Abgrenzung von erlaubtem und untersagtem Sortiment vorgenommen werden, die in der Praxis nur schwer umzusetzen beziehungsweise zu kontrollieren wären.
Was dabei Händlern wie etwa dem Ulmer Spielwarenhändler Jürgen Gänßlen aufstößt: All das mag für einzelne Müller-Märkte zutreffen, nicht aber für das Kaufhaus in der Ulmer Hirschstraße.
Wohlwissend ergänzt das Ministerium die Vorteile einer laxen Gesetzgebung, die eine über Drogerieartikel hinausgehende Warenwelt ermöglicht. Denn gerade für die ältere und digital weniger affine Kundschaft biete sich durch den Verkauf von zusätzlichen Sortimenten die Möglichkeit, jenseits des Onlinehandels
Waren zu erstehen, die zwar nicht unmittelbar der Grundversorgung dienen, aber dennoch benötigt würden.
Um zu verhindern, dass ein möglicherweise verstärkter Kundenzustrom zu einer Überfüllung der Drogeriemärkte führt und damit der eigentlichen Zielsetzung – der Kontaktreduzierung der Bevölkerung – zuwider läuft, müssten die Betreiber gewährleisten, dass die Beschränkung der Kundenanzahl pro Quadratmeter Verkaufsfläche eingehalten wird. Im großen Müller-Kaufhaus in der Hirschstraße wäre das ein Kunde pro 20 Quadratmeter Verkaufsfläche.
Gleichwohl sei es dem Wirtschaftsministerium sehr bewusst, dass eine Vielzahl von stationären Einzelhändlern in dieser Regelung einen Wettbewerbsvorteil für die Mischsortimenter wie Müller sehen. In der jüngsten Änderung der Corona-Verordnung wurde deshalb eine Verschärfung der Mischsortimenteregel aufgenommen. Derzeit dürfen zusätzliche Sortimentsteile nur noch dann verkauft werden, wenn der erlaubte Sortimentsteil mindestens 60 Prozent des Umsatzes oder der Verkaufsfläche beträgt. Bislang waren als Schwellenwert 50 + x Prozent ausreichend. Für Müller hatte das bislang keine Folgen. Sämtliche Etagen in Ulm waren Ende der Woche komplett geöffnet. Passend zum Motto auf den Einkaufstüten des Drogeriekönigs: „Mehr für mich.“