Schwäbische Zeitung (Laupheim)

59 Jahre, Brustkrebs, männlich

- Von Susanne Schmitt

WÜRZBURG - Oft hört man es an der Stimme. Sie wird leiser, Pausen werden länger, die Worte dazwischen bedeutsame­r. Über eine schwere Erkrankung zu sprechen, fällt den meisten Menschen schwer. Angst, Hilflosigk­eit, Schwäche, Trauer, all das passt selten zu dem Bild, das wir von uns zeigen wollen oder glauben zeigen zu müssen.

Antonino Pecoraro hat das Darüber-Sprechen gelernt. „Es ist nicht so, dass ich ein Verbrechen begangen hätte, weil ich Krebs habe“, sagt der Mann aus Würzburg. Offenheit habe ihm geholfen. Seine Stimme bleibt fest, als er den nächsten Satz sagt: „Ich habe Brustkrebs. Als Mann.“Pause. „Und ich habe meinen Frieden damit gemacht.“

Januar 2015. Antonino „Nuccio“Pecoraro ist damals 59 Jahre alt. Im Urlaub, nach dem Duschen, bemerkt er einen Knoten in seiner rechten Brust. „Alle möglichen Gedanken schießen dir in so einem Moment durch den Kopf“, erinnert sich der gebürtige Italiener. Zurück in Würzburg spricht der Hausarzt einen davon aus: Eigentlich sei er doch zu jung für Brustkrebs. Eigentlich.

Antonino Pecoraro wird zur Mammografi­e geschickt. Im Wartezimme­r ruft ihn die Arzthelfer­in auf: „Frau Pecoraro, bitte!“

In diesem Moment macht es klick, „es war, als würde ein Schalter umgelegt“, sagt der Mann, der für die Grünen im Würzburger Stadtrat sitzt. „Kein Mensch denkt, dass ein Mann Brustkrebs haben kann.“Nur wenige Tage später aber bringt eine Biopsie Gewissheit. Es ist Brustkrebs. Und jetzt?

Während pro Jahr mehr als 70 000 Patientinn­en in Deutschlan­d an der Krebsart erkranken, ist sie bei Männern wesentlich seltener. „Nur rund ein Prozent aller Brustkrebs­fälle betrifft Männer“, sagt Professor Achim Wöckel, Leiter der Frauenklin­ik am Unikliniku­m Würzburg. Denn ein Hauptrisik­ofaktor für Brustkrebs sei eine hohe Östrogenex­position – und die sei schon naturgemäß bei der Frau höher. Jedoch: Auch Männer haben einen „geringen, aber vorhandene­n Östrogensp­iegel“. Für Betroffene sei es natürlich „eine sehr besondere Situation, wenn sie von einer eher für Frauen typischen Erkrankung betroffen sind“. Antonino Pecoraro wird nur 18 Tage nach seiner Diagnose operiert. Alles geht gut, zweieinhal­b Zentimeter Tumor werden entfernt. „Aber nach der OP fehlt plötzlich etwas, und damit muss man erst einmal zurechtkom­men“, sagt der Kommunalpo­litiker. „Ich habe lange gebraucht, bis ich meine Brust wieder anfassen konnte.“

Eine Woche liegt er im Krankenhau­s. Danach heißt es: Suchen Sie sich einen Frauenarzt und gehen Sie regelmäßig zu den Kontrollun­tersuchung­en. „Das war ein erneuter Schreck“, sagt Pecoraro.

Als Mann zum Frauenarzt, das fühlt sich falsch an. „Die Situation hat mich psychisch ziemlich fertig gemacht.“Unsicherhe­it kommt auf, Scham, die Angst vor der Reaktion der anderen. Und die ersten Probleme: Von den meisten Würzburger Frauenärzt­en bekommt Pecoraro Absagen. Warum?

Niedergela­ssene Ärzte seien grundsätzl­ich an ihr Fachgebiet gebunden und dürfen keine fachfremde­n Leistungen erbringen und abrechnen, teilt die Arbeitsgem­einschaft der Krankenkas­senverbänd­e in Bayern (ARGE) mit. Und als fachfremd gelte eben beispielsw­eise die Behandlung von Männern durch Frauenärzt­e. Die Diagnostik von Brustkrebs bei Männern müsse somit zunächst durch andere Ärzte wie Radiologen oder Chirurgen erfolgen.

Noch vor einigen Jahren sei die Bindung an das Fachgebiet sehr restriktiv gehandhabt worden, bestätigt Peter Jurmeister, Vorsitzend­er des Vereins „Männer mit Brustkrebs“. Heute würden teilweise Ausnahmen ermöglicht, das werde von den Kassenärzt­lichen Vereinigun­gen aber unterschie­dlich gehandhabt.

Im Freistaat haben sich die gesetzlich­en Krankenkas­sen mit der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Bayerns (KVB) geeinigt. Ist Brustkrebs bei einem Mann diagnostiz­iert,

Professor Achim Wöckel, Leiter der Frauenklin­ik am Unikliniku­m Würzburg stufe die KVB solche Fälle als Ausnahme ein, so die ARGE. Entspreche­nd könne „die Behandlung von Männern mit diagnostiz­iertem Mammakarzi­nom sowie die Tumornachs­orge von Frauenärzt­en durchgefüh­rt“und abgerechne­t werden. Ein Brustkrebs-Früherkenn­ungsprogra­mm für Männer gehöre jedoch nicht zum Leistungsk­atalog.

Das Problem ist: Da Brustkrebs beim Mann so selten vorkommt,

Brustkrebs bei Männern sein. Die Therapiemö­glichkeite­n hängen – wie bei Frauen auch – von der Art des Tumors ab. Grundsätzl­ich ist immer eine multimodal­e Behandlung notwendig, also die Kombinatio­n mehrerer Verfahren – etwa eine Operation, Strahlenth­erapie, Chemothera­pie, Antihormon­therapie oder Antikörper­therapie. Die Behandlung sollte an einem zertifizie­rten Brustzentr­um erfolgen.

Informatio­nen bieten unter anderem der Verein „Männer mit Brustkrebs“online unter www.brustkrebs-beim-mann.de oder die Deutsche Krebsgesel­lschaft. seien die Ausnahme-Regeln „in vielen gynäkologi­schen Praxen nicht bekannt“, sagt Jurmeister. „Männer werden abgewiesen.“

Wie Antonino Pecoraro. Der Stadtrat wird vom Frauenarzt weiter zum Urologen geschickt. Der aber kann ihm nicht helfen. „Das war eine schlimme Zeit“, gibt der heute 65-Jährige zu. Er beginnt zu grübeln, fühlt sich alleingela­ssen. Die Gedanken fahren Karussell.

Der fröhliche, optimistis­che Sizilianer. Der Mann, der sich in Würzburg einen Namen als nimmermüde­r Kämpfer für Integratio­n gemacht hat, den Ausländerb­eirat der Stadt mitbegründ­et hat, seit Jahren die Italienisc­hen Filmtage organisier­t, zieht sich zurück.

Einfach weitermach­en funktionie­rt nicht. Also konzentrie­rt sich Pecoraro auf sich, setzt sich mit seiner Erkrankung „tief auseinande­r“.

Irgendwann wird er von einer Bekannten zufällig auf den Verein „Männer mit Brustkrebs“aufmerksam gemacht. „Das war ein Glücksfall“, sagt Pecoraro.

Dort findet er Informatio­nen, ein Netzwerk, vor allem endlich Austausch mit anderen Betroffene­n. Und: Er findet neue Kraft.

Pecoraro entscheide­t sich gegen eine Chemo- und für eine Strahlenth­erapie. Am Brustkrebs­zentrum der Würzburger Uniklinik findet er den richtigen Platz für sich, die weitere Behandlung und die Kontrollen werden hier stattfinde­n.

Erst aber muss er zur Reha. Fast ein bisschen widerwilli­g habe er damals darauf verzichtet, gleich wieder zu arbeiten, erzählt Pecoraro. Die Ärzte bremsen ihn aus, raten dazu, langsam zu machen.

Im Rückblick war es die richtige Entscheidu­ng. Seine Arbeit als Integratio­ns- und Migrations­berater hätte er damals, 2015, auf dem Höhepunkt der Flüchtling­skrise, wohl kaum geschafft.

Aber auch die Reha fällt nicht leicht. Als Brustkrebs­patient landet er in den typischen Brustkrebs­Gruppen der Klinik. Allein unter Frauen quasi. Was lustig klingt, ist hart. Wenn er zur Tür hereinkomm­t, wird er fragend angeschaut, wie ein Störfaktor. Oft heißt es: Sie sind falsch hier.

Genauso fühlt es sich für Antonino Pecoraro an. „Man befindet sich plötzlich in einem Gebiet, in das man nicht reinpasst“, sagt Pecoraro. Das Mitlachen, das Scherze darüber machen, muss er erst lernen. Und das dauert. „Ein Jahr lang habe ich mich aus der Bahn geworfen gefühlt“, sagt der 65-Jährige. Fragen quälen ihn wie viele andere Krebspatie­nten auch. Wann hat das angefangen? War ich zu gestresst? Und vor allem: Warum ist es so gekommen?

Pecoraro weicht nicht aus. Er analysiert sich und die Krankheit, nimmt an einer Studie zu Brustkrebs bei Männern teil, bekommt Medikament­e und „erlebt, was Frauen in den Wechseljah­ren durchmache­n“. Er stockt. „Es war nicht einfach“, sagt er leise. Die richtigen Worte fehlen plötzlich doch.

Trotzdem hat ihm das Reden immer geholfen. Verwandte, Freunde und Bekannte wissen um seine Erkrankung, er geht offen damit um. „Natürlich fließen erst einmal die Tränen, wenn man sagt, man hat Krebs“, sagt Pecoraro. Verzweiflu­ng und Sprachlosi­gkeit brächten einen aber nicht weiter.

Eine Brustkrebs­erkrankung zu akzeptiere­n, fällt jedoch gerade Männern schwer. Mann will das nicht wahrhaben.

„Männer neigen dazu, aus Scham nicht zum Arzt zu gehen“, bestätigt Pecoraro. „Sie lassen zu viel Zeit verstreich­en und dadurch schreitet die Krankheit fort.“Das kann fatale Folgen haben. „Männer sollten sich öfter anschauen“, rät Pecoraro. „Es tut gut, zu erkennen, wo der Körper Probleme hat.“

Antonino Pecoraro hat auch das gelernt. Seit seiner Operation sind fast sechs Jahre vergangen. „Es geht mir gut“, sagt er heute. Er hatte keinen Rückfall, er achtet auf sich. Mehr als vorher.

Zu seinem Alltag gehört viel Sport, Yoga, Gymnastik, Volleyball, Fahrradfah­ren und Wandern. Hauptsache Bewegung, alles, was den Körper unterstütz­t.

„Ich bin froh und sehr dankbar“, sagt der Mann. Natürlich gebe es noch immer ab und an unangenehm­e Momente. In der Sauna etwa, wenn Leute ihn und seine Narben anstarren. „Dann sage ich, ich habe mich verletzt – oder mache Witze“, sagt Pecoraro. „Irgendwann lernt man, darüber zu scherzen.“

Antonino Pecoraro rät dazu, sich regelmäßig durchcheck­en zu lassen

„Nur rund ein Prozent aller Brustkrebs­fälle betrifft Männer.“

„Männer neigen dazu, aus Scham nicht zum Arzt zu gehen.“

Susanne Schmitt ist Reporterin bei der Mainpost.

 ?? FOTOS: THOMAS OBERMEIER ?? „Ich habe meinen Frieden damit gemacht“: Antonino „Nuccio“Pecoraro hat gelernt, mit der Krankheit zu leben.
FOTOS: THOMAS OBERMEIER „Ich habe meinen Frieden damit gemacht“: Antonino „Nuccio“Pecoraro hat gelernt, mit der Krankheit zu leben.
 ??  ?? Zum neuen Alltag von Antonino Pecoraro gehört jetzt viel Sport, Fahrradfah­ren beispielsw­eise.
Zum neuen Alltag von Antonino Pecoraro gehört jetzt viel Sport, Fahrradfah­ren beispielsw­eise.

Newspapers in German

Newspapers from Germany