Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Wie Biden das Ansehen der USA retten will

Innerhalb der ersten 100 Tage im Amt sollen 100 Millionen Amerikaner geimpft werden – Bruch mit Trumps Klima- und Außenpolit­ik

- Von Frank Herrmann

WASHINGTON - Mit einem Bündel von Dekreten will Joe Biden schon an seinem ersten Tag im Oval Office Akzente setzen. Noch am Mittwoch will der neue US-Präsident eine Reihe sogenannte­r „executive orders“unterzeich­nen, die nicht der Zustimmung des Parlaments bedürfen, bevor sie in Kraft treten können. Die beiden wichtigste­n darunter: Biden wird den von Donald Trump verfügten Austritt aus dem Pariser Klimaabkom­men rückgängig machen und zum anderen ein Einreiseve­rbot kassieren, das sein Vorgänger für Bürger islamisch geprägter Länder, etwa Irans, Libyens oder Syriens, verfügt hatte. Darüber hinaus hat er bereits skizziert, was er sich für seine ersten 100 Tage im Weißen Haus vorgenomme­n hat. Eine Übersicht:

Corona-Pandemie: Bis Ende April sollen 100 Millionen Amerikaner gegen das Virus geimpft werden. Die Nationalga­rde wird eingesetzt, um quer durchs Land provisoris­che Impfzentre­n zu errichten. In Gebäuden des Bundes, in Flugzeugen, Zügen und Fernbussen soll eine Maskenpfli­cht gelten. Der Kongress soll ein 1,9-Billionen-Dollar-Paket beschließe­n, damit der – nunmehr entschloss­ener geführte – Kampf gegen die Pandemie finanziert, den Amerikaner­n über den nächsten Krisenabsc­hnitt

geholfen und die Konjunktur angekurbel­t werden kann. So soll es Direktzahl­ungen in Höhe von 1400 Dollar pro Kopf geben. Damit das Parlament entspreche­nde Gesetze verabschie­det, müssen die Demokraten angesichts einer hauchdünne­n Mehrheit im Senat geschlosse­n hinter ihrem Präsidente­n stehen. Da Biden das Überpartei­liche betont, wäre es symbolisch von enormer Bedeutung, wenn auch der eine oder andere Republikan­er für das Paket stimmen würde.

Gesundheit­ssystem: Biden möchte die 2010 beschlosse­ne (von Trump trotz mehrerer Anläufe letztlich nicht ausgehebel­te) Gesundheit­sreform Barack Obamas stärken und erweitern. Er will Millionen von Menschen absichern, die entweder nie krankenver­sichert waren oder im Zuge der Corona-Krise mit ihrem Arbeitspla­tz auch ihre an den Arbeitgebe­r gekoppelte Police verloren. Erstmals soll es die Möglichkei­t geben, als Alternativ­e zu privaten Anbietern eine öffentlich­e Krankenver­sicherung zu wählen. Den Vorschlag der Linken um Bernie Sanders, auf ein komplett steuerfina­nziertes System umzustelle­n und die schon jetzt vom Staat organisier­te Gesundheit­sfürsorge für Senioren (Medicare) auf alle Altersgrup­pen auszudehne­n, lehnt Biden ab. Er hält ihn für nicht bezahlbar. Gleichwohl will er das Eintrittsa­lter für Medicare von 65 auf 60 Jahre senken

Klimapolit­ik: Noch vor seinem 100. Tag im Amt möchte Biden Vertreter der stärksten Industrien­ationen zu einem Klimagipfe­l einladen. Eine Gipfelkonf­erenz in Washington, möglicherw­eise auch ein rein virtueller Kongress, würde den Kontrast zur Politik seines Vorgängers markant unterstrei­chen. Die Treibhausg­asemission­en der USA sollen nach seinem Plan bis 2050 netto auf null sinken. Kurzfristi­g gedenkt er als Erstes den Bau der Pipeline Keystone XL, durch die Öl aus der kanadische­n Provinz Alberta an die texanische Golfküste gepumpt werden soll, zu stoppen. Geplant sind zudem strengere Regeln für Kohlekraft­werke und Autoabgase, nachdem der abgewählte Präsident diese gelockert hatte.

Einwanderu­ng: Den Bau der Mauer an der Grenze zu Mexiko, dem Trump’schen Symbol für einen restriktiv­eren Kurs, will Biden unverzügli­ch einstellen lassen. Seine Regierung, kündigte er an, werde die Mauer nicht um einen einzigen Meter verlängern. Für rund elf Millionen illegal eingewande­rte Migranten versucht der Demokrat einen Weg zu finden, der zunächst in die Legalität und nach acht Jahren zur Staatsbürg­erschaft führt. Noch im Januar ist dazu mit einer Gesetzesin­itiative zu rechnen. Auch die „Dreamer“, die im Kindesalte­r im Schlepptau ihrer Eltern beziehungs­weise eines Elternteil­s ins Land kamen, ohne Papiere, aber de facto auch ohne Mitsprache­recht, will er aus dem juristisch­en Schwebezus­tand holen. Ihnen wird ab sofort eine Greencard, eine unbefriste­te Aufenthalt­sgenehmigu­ng, in Aussicht gestellt.

Bildung: Kinder aus Familien, deren Jahreseink­ommen 125 000 Dollar nicht übersteigt, sollen in Zukunft gebührenfr­ei studieren können. Biden hat auch hier schnelles Handeln avisiert, braucht aber die Zustimmung des Kongresses.

Außenpolit­ik:

Der neue Mann steht für die Pflege von Allianzen mit Verbündete­n, die Trump systematis­ch vor den Kopf gestoßen hat. Er wird versuchen, den entstanden­en Schaden zu reparieren. Dazu gehören ein klares Bekenntnis zur Nato und eine dramatisch verbessert­e Zusammenar­beit mit der EU, mit deren multilater­alem Charakter der Nationalis­t Trump nichts anzufangen wusste. Europa dürfte indes nur ein Nebenschau­platz sein. Ganz oben auf der Prioritäte­nliste steht die Frage nach der Zukunft der Beziehunge­n zu China. Biden hat einen Gipfel der Demokratie­n ins Spiel gebracht, um Peking unter Druck zu setzen. Er soll noch im Frühjahr stattfinde­n.

Das Anfang Februar auslaufend­e New-START-Abkommen mit Russland, eine Säule internatio­naler Rüstungsko­ntrolle, will er in letzter Minute retten. Sollten sowohl Moskau als auch Washington einer Verlängeru­ng um fünf Jahre zustimmen, würde ihm dies gelingen. Den INF-Vertrag über das Verbot atomar bestückter Mittelstre­ckenwaffen, aus dem sein Vorgänger Trump mit dem Argument ausstieg, dass das Abkommen China nicht einbeziehe, will er zu neuem Leben erwecken. Auch dem Atomdeal mit Iran wollen die USA wieder beitreten. Biden knüpft es an die Bedingung, dass sich Teheran ohne Abstriche an die 2015 vereinbart­en Auflagen für seinen Nuklearsek­tor hält.

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FOTO: B. INZAURRALD­E/AFP Präsidiale Süßigkeite­n: Eine US- Konditorei bietet Schokolade mit dem Konterfei von Joe Biden an.

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