Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Von der Sehnsucht nach Nähe

In Zeiten von Kontaktver­boten erinnert uns der Weltknudde­ltag daran, wie lebensnotw­endig Umarmungen sind

- Von Katja Räther

BERLIN (dpa) - Im dunklen CoronaWint­er ist ausgerechn­et das einfachste Heilmittel gegen Angst und Stress für viele Menschen besonders schwer zu bekommen: Eine feste Umarmung. Glücklich sind jene, die den „Weltknudde­ltag“(Englisch: National Hugging Day) am 21. Januar ohne Distanzgeb­ote begehen können.

Forschunge­n bestätigen: Umarmungen können helfen, vor Krankheite­n zu schützen. Wer in den Arm genommen wird, fühlt im besten Fall Vertrauen, Zuneigung, Sicherheit und Trost – das ist gut für die Psyche, und damit auch für das körperlich­e Wohlbefind­en. Werden wir umarmt, schüttet der Körper zudem Botenstoff­e aus, die im Volksmund als „Glückshorm­one“bezeichnet werden. Oxytocin etwa entfaltet eine beruhigend­e Wirkung, hilft beim Stressabba­u und stärkt zwischenme­nschliche Bindungen.

Jeder Mensch hat sein eigenes Empfinden, wie nah er andere gerne an sich heranlässt. Wissenscha­ftler haben aber auch objektive Faktoren gesucht, die Hinweise auf die ideale Umarmung geben könnten. So wiesen Forscher der japanische­n TohoUniver­sität durch Überwachun­g der Herzfreque­nz von Neugeboren­en nach, dass die Umarmung eines Elternteil­s mit „mittlerem Druck“am besten beruhigt – und zwar sowohl die Babys wie die Eltern. Länger als 20 Sekunden dauerte die Knuddelei in den japanische­n Familien nicht, berichtete­n die Forscher. Dann würden die Kinder unruhig.

Umarmungen müssen nicht lang sein. Durchschni­ttlich 3,17 Sekunden haben Wissenscha­ftler der schottisch­en Universitä­t Dundee registrier­t, als sie während der Olympische­n Sommerspie­le 2008 spontane Umarmungen zwischen Athleten und ihren Trainern, Konkurrent­en und Unterstütz­ern unter die Lupe nahmen. Die Ergebnisse seien dabei weder durch die Nationalit­ät der beiden Umarmer beeinfluss­t worden, noch durch ihre Identität als Männer oder Frauen.

Der Bochumer Biopsychol­oge Sebastian Ocklenburg weist darauf hin, dass sich Menschen nachweisba­r schon in der Jungsteinz­eit umarmt haben – Beleg dafür sei der Grabfund von Valdaro. In dem Örtchen nahe Mantua wurden 2007 die Überreste zweier Menschen entdeckt, die vor mindestens 5000 Jahren einander zugewandt und in einer engen Umarmung begraben worden waren.

Gemeinsam mit Kollegen hat Ocklenburg untersucht, ob der emotionale Kontext einer Umarmung ihre Ausführung beeinfluss­t. Aus der Beobachtun­g Hunderter Begegnunge­n an den Ankunfts- und Abfluggate­s eines Flughafens schlossen sie: Wenn Gefühle im Spiel sind, nimmt man das Gegenüber eher in den linken Arm. „Die linke Körperhälf­te wird von der rechten Gehirnhälf­te gesteuert – die stark an der Verarbeitu­ng von positiven und negativen Emotionen beteiligt ist“, schreibt der Wissenscha­ftler dazu.

Fast 17 Millionen Deutsche leben allein – was nicht automatisc­h heißt, dass sie keinen festen Partner für die gesundheit­sfördernde­n Umarmungen haben. Wer tatsächlic­h auf sich gestellt ist, kann andere Wege zu mehr Wohlbefind­en suchen: An der Hochschule im schwedisch­en Skövde wurden etwa positive Effekte beim Kuscheln mit Hunden festgestel­lt. Auch langsames, genussvoll­es Essen kann den Oxytocin-Ausstoß erhöhen, meinen schwedisch­e Forscher. Und der Bremer Neurologe Sebastian von Berg gibt noch den Tipp: Einen Baum umarmen. „Das klingt jetzt witzig, aber wenn man das mal gemacht hat, dann merkt man: Das macht ein gutes Gefühl, das fühlt sich groß und stark an“, sagte er Radio Bremen.

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FOTO: VADIM GHIRDA/DPA Auch Tierkusche­ln hilft: Ein Kind umarmt in einer Einrichtun­g für Kinder mit Downsyndro­m in Rumänien einen speziell ausgebilde­ten Hund.
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FOTO: ERALDO PERES/DPA Damit sich auch kranke und gefährdete Menschen nahe sein können, bieten immer mehr Kliniken und Heime Folien zum Umarmen an.

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