Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Hinweis aus USA führt nach Riedlingen
74-Jähriger soll kinderpornografische E-Mails versandt haben – Verfahren wegen unklarer Tatzeit vorläufig eingestellt
RIEDLINGEN - Ein 74-jähriger Mann aus Riedlingen soll E-Mails mit kinderpornografischen Bildern und einem Video verschickt haben. Für solche „Drittbesitzverschaffung“sieht das Strafgesetzbuch eine Freiheitsstrafe zwischen drei Monaten und fünf Jahren vor. In diesem Fall wurde das Verfahren gegen eine Geldauflage vorläufig eingestellt; die Tatzeit konnte in der mündlichen Verhandlung nicht eindeutig festgestellt werden.
Er habe keinerlei pädophile Neigungen, versicherte der verwitwete Angeklagte vor Gericht: „Ich habe selber Kinder und einen Enkel. Ich habe damit nichts am Hut.“Vielmehr verkehre er mehrmals wöchentlich per Chat auf einer „Plattform für Schwule und Bi“. Die sei über eine gewöhnliche App erreichbar, also nicht im Darkweb. Er gehe davon aus, dass auf dieser Seite alles mit legalen Dingen zugehe. Üblicherweise würden dabei anonym persönliche Bilder ausgetauscht.
Ende 2019 habe er mithilfe eines Übersetzungsprogranmms mit einem Serben gechattet, der ihm anschließend eine E-Mail geschickt habe. Er habe nur die ersten beiden angehängten Dateien geöffnet, die identisch gewesen seien und einen Penis von extremer Größe gezeigt hätten: „So was habe ich noch nie gesehen.“
Anschließend habe er alle Dateien gespeichert und das Profil nach diesem einmaligen Kontakt gelöscht. „Dann habe ich die Sache vergessen.“Bei einem späteren Chat mit jemand anderem im Februar 2020 sei er um weitere Bilder gebeten worden, habe sich an den Riesenpenis erinnert und dem Chatpartner diese Dateien geschickt. Dabei habe er sich den Inhalt nochmals genauer angeschaut und dabei eine Überraschung erlebt: Wie in der Anklageschrift recht drastisch geschildert, pornografische Bilder und ein Video von sehr jungen Mädchen in allen denkbaren Variationen. Er habe „Tabula rasa“gemacht und sofort alles gelöscht. Dass er im März eine weitere
E-Mail mit einem Video verschickt habe, wie ihm die Anklage vorwirft, daran könne er sich nicht erinnern. Die Staatsanwaltschaft geht nämlich davon aus, dass er die beanstandeten Dateien am 10. Februar 2020 um 7 Uhr und ein weiteres Mal am 9. März um 2.42 Uhr verschickt hat. Die Zeiten passen nicht zu seinen üblichen Nutzerzeiten, wandte der Angeklagte ein, zudem habe Google seinen Account im März gesperrt.
Wie der Sachbearbeiter der Kripo aus Biberach erläuterte, handle es sich dabei nicht um die Uploadzeiten, zu denen die Dateien hochgeladen wurden. Vielmehr seien es die Mitteilungszeitpunkte, zu denen die Hinweise auf den verbotenen Inhalt vorlag. Die Hinweise kommen vom Provider, in diesem Fall Google, die in den USA verpflichtet sind, strafrechtlich relevante Inhalte zu melden, bei Verdacht auf Kinderpronografie an die halbstaatliche Organisation „National Center For Missing and Exploited Children“(NCMEC). Diese Hinweise werden in den „Cyber Tipline Reports“verarbeitet und an die Ermittlungsbehörden in den USA und im Ausland weitergeleitet.
In Deutschland ging der Hinweis nach einer ersten Einschätzung durch das Bundeskriminalamt schlussendlich an den Sachbearbeiter. „Meine Aufgabe war zu schauen, wer dahinter stecken könnte“, erklärte er vor Gericht. Es habe keine IP-Adresse vorgelegen, aber ein Google-Account, der mit zwei EMail-Adressen und zwei Rufnummern verbunden war. Diese Spur führte schließlich zu dem 74-Jährigen. Eine Durchsuchung wurde jedoch abgelehnt, weil mit dem Account noch ein anderer Teilnehmer verbunden war. Ob die Bilder in mehreren Tranchen oder als eine Datei verschickt wurden, sei auch nicht nachvollziehbar: „Es kann schon sein, dass es zu verschiedenen Zeitpunkten gesendet wurde. Aber es wurde in einem Report mitgeteilt.“
„Ich tu mir etwas schwer mit dem Tatzeitpunkt“, wandte Richter Ralph Ettwein ein. Hier wären aufwendige Nachermittlungen erforderlich. Es lägen keine Anhaltspunkte für eine Beteiligung Dritter vor. „Fahrlässigkeit gibt es nicht in diesem Bereich“, hielt er dem Angeklagten jedoch vor. „Sie müssen schon schauen, was Sie weiterleiten.“Dieser sei bislang noch nie strafrechtlich in Erscheinung getreten. Bei einem Freispruch sei der Einwand des Oberstaatsanwalts zu erwarten, zumal man sich hier im Bereich einer Freiheitsstrafe bewege –„zu Recht“. Für eine vorläufige Einstellung des Verfahrens lag jedoch die Zustimmung der Anklage vor. Die auferlegte Geldzahlung von 400 Euro an die Deutsche Kinderkrebsnachsorge darf der in eher prekären Verhältnissen lebende Rentner in 100-Euro-Raten abstottern.
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