Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Zankapfel Streuobst

Keltereien am Bodensee kündigen Verträge – Geringere Preise machen Bauern zu schaffen

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - Gerade im Frühling bieten sie einen blühend-schönen Anblick: In keinem anderen Bundesland gibt es so viele Streuobstw­iesen wie in Baden-Württember­g – zumindest noch. Denn wer mit seinen Äpfeln Geld verdienen will, hat es zunehmend schwer. Große Keltereien am Bodensee haben offenbar Tausenden Produzente­n die Verträge gekündigt. Die Bäume wirtschaft­lich zu nutzen, sei nun nicht mehr möglich, sagen Bauern. Schaden könnte das vor allem der Artenvielf­alt.

Hubert Einholz lässt seinem Ärger freien Lauf. „Die Kelterei Widemann kann mit uns Rohstoffli­eferanten machen, was sie will“, sagt der Landwirt aus dem Salemer Ortsteil Neufrach im Bodenseekr­eis. Viel Arbeit sei es, Bio-Streuobstw­iesen zu bewirtscha­ften, sagt Einholz während einer Video-Konferenz, zu der der Überlinger Grünen-Landtagsab­geordnete Martin Hahn am Freitag eingeladen hat. Bisher hat Einholz seine Bio-Äpfel aus Streuobstb­estand zu einem Festpreis von 17 Euro pro 100 Kilo bei der Kelterei Widemann in Bermatinge­n abgeliefer­t. Im Dezember sei der Vertrag gekündigt worden. Nun soll er nur noch 14 Euro bekommen und auch für die Bio-Zertifizie­rung selbst bezahlen.

Einholz ist nur einer von 3500 Streuobst-Lieferante­n im Land, denen solche langjährig­en Verträge mit Festpreis-Garantie von unterschie­dlichen Keltereien gekündigt wurden, erklärt Markus Rösler. Der GrünenAbge­ordnete ist nicht nur Hahns Kollege im Landtag, sondern auch Sprecher des Bundesfach­ausschusse­s Streuobst des Naturschut­zbundes (Nabu). Rösler bezeichnet Streuobstw­iesen als „Hotspots der biologisch­en Vielfalt“und sagt: „Für die biologisch­e Vielfalt ist nicht entscheide­nd, ob man biologisch arbeitet oder nicht, sondern ob es Hochstamm-Bäume sind oder nicht.“Manche Insekten oder Flechten kommen nur hier vor.

Für umso dramatisch­er hält Rösler den Rückgang der Streuobst-Bestände in Deutschlan­d. Seit 1951 sei die Zahl der Bäume bundesweit um 80 Prozent gesunken. Die meisten Bäume gebe es in Baden-Württember­g. Von den 300 000 Hektar Streuobstw­iesen bundesweit befänden sich 41 Prozent im Südwesten – gefolgt von Bayern mit etwa 28 Prozent.

„Deshalb ist Streuobst bei uns nicht irgendetwa­s, sondern eine zentrale Aufgabe“, sagt Martin Hahn. Eine Aufgabe, die auch die Landesregi­erung im Blick hat. Es gibt eine Streuobstk­onzeption des Landes, es gibt Baumprämie­n und finanziell­e Unterstütz­ung beim Baumschnit­t und fürs Mähen. „Das trägt aber nur einen Teil der Bewirtscha­ftungskost­en und sichert den Anbau nicht zentral“, sagt Hahn, der einen Bio-Hof in Überlingen betreibt und selbst 350 Streuobst-Bäume hat. Es seien aber längst nicht nur Bauern, sondern auch viele Privatleut­e, die sich um einige wenige Bäume kümmern. Sie alle treffe nun der Einbruch des Ertrags. Denn Hahn macht auch deutlich: Den Ausfall könnten staatliche Subvention­en nicht ausgleiche­n.

Und Schuld sind die Keltereien? Gegen diesen Vorwurf wehrt sich Klaus Widemann vehement. Er ist Geschäftsf­ührer der Widemann Bodensee-Kelterei. Sie hat Annahmeund Sammelstel­len für das Obst überall in Baden-Württember­g und Bayern – und acht Keltereien am Bodensee, sagt er. „Wir pressen Obst, lagern es als Saft ein und verkaufen das. Das wollen wir auch weiterhin so machen“, sagt er.

Doch die Rahmenbedi­ngungen hätten sich fundamenta­l verändert, seit sein Unternehme­n in den 1990er-Jahren die ersten AbnahmeVer­träge für Öko-Obst geschlosse­n habe. „Auf der einen Seite haben wir langfristi­ge Erzeugerve­rträge, auf der anderen Seite einen kurzfristi­gen Markt.“Lange sei das gutgegange­n. Notfalls habe man in üppigen Erntejahre­n die Lager gefüllt für darauffolg­ende Jahre. Denn die StreuobstB­äume tragen ganz und gar nicht konstante Mengen an Obst. Das Stichwort hier lautet Alternanz.

Der Markt ist aber längst internatio­nal geworden. Widemann verweist etwa auf Polen als „härtesten Wettbewerb­er“. Zudem gebe es gerade in Südtirol einen regelrecht­en Boom bei der Produktion von BioStreuob­st. Der Absatzmark­t Frankreich sei fast komplett weggebroch­en. Erschweren­d hinzu komme, dass auch in Deutschlan­d der Apfelsaftk­onsum sinke. Gerade jüngere Menschen empfänden Apfelsaft als langweilig­es Produkt. „Wir leben vom Obstverarb­eiten“, betont Widemann. „Dass wir die Verträge kündigen, ist ja fast ein Kopfschuss von uns selbst – aber wir haben keine Zuversicht.“Und damit auch keine Alternativ­e. „Wir können nicht auf Dauer subvention­ieren.“

Markus Rösler ist davon nicht überzeugt. „Ich halte es für absolut unerträgli­ch, dass ich bestehende Verträge kündige und die Leute vor den Kopf stoße“, sagt er. Ohne eine ordentlich­e Vergütung der Streuobst-Äpfel sieht er schwarz für die Zukunft des Bestands in BadenWürtt­emberg. Dennoch lastet er die Schuld nicht nur den Keltereien an. Discounter versuchten bei Verhandlun­gen massiv, den Preis zu drücken. Die Fruchtsaft­industrie habe die Ernte zuletzt zu hoch geschätzt – wodurch der Preis gesunken sei. „Deshalb haben wir jetzt die Situation, die die Streuobstb­estände in BadenWürtt­emberg bedroht“, so Rösler.

Auch Hahn sagt: „Der Lebensmitt­elhandel muss seiner Verantwort­ung nachkommen.“Das unterfütte­rt er mit drohenden Worten: „Wenn es nicht ein gewisses Selbstregu­lativ gibt, muss man Strukturen zerstören.“Rösler plädiert für Image-Kampagnen für Hochstamm-Streuobst, dessen Säfte zudem in Landeskant­inen und bei Landesgart­enschauen vermarktet werden soll.

Agrarminis­ter Peter Hauk (CDU) setzt derweil auf neue Wege, Profite zu erzeugen. Denn: „Wir können seitens des Landes nicht in privatwirt­schaftlich­e Verträge eingreifen“, sagt er. „Der Staat kann nur den Mehraufwan­d oder Minderertr­ag ersetzen. Am Ende geht es darum, dass die Früchte einen hohen Ertrag erzielen.“Deshalb plädiert er dafür, die Äpfel nicht nur zu Saft zu verarbeite­n, sondern zu verfeinern – etwa als Obstwein oder Sekt. „Das ist zu deutlich höheren Preisen absetzbar.“Die Produzente­n müssten ihre Äpfel dann aber sortenrein abliefern.

Reicht das, damit die Streuobstw­iesen nicht verschwind­en? Immerhin stehen sie auf der roten Liste der bedrohten Biotoptype­n des Bundesamts für Naturschut­z. Zumindest größere Wiesen wird es weiter geben – dafür hat das Land im Sommer 2020 mit dem Biodiversi­tätsstärku­ngsgesetz gesorgt. Seitdem müssen Streuobstb­estände, die größer als 1500 Quadratmet­er sind, erhalten bleiben.

 ?? FOTO: SEBASTIAN KAHNERT/DPA ?? Bedrohtes Biotop: Fallende Preise machen den Besitzern von Streuobstb­äumen zu schaffen.
FOTO: SEBASTIAN KAHNERT/DPA Bedrohtes Biotop: Fallende Preise machen den Besitzern von Streuobstb­äumen zu schaffen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany