Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Das Comeback der Terrormili­z

Der sogenannte Islamische Staat bekennt sich zu den Selbstmord­attentaten in Bagdad

- Von Martin Gehlen

TUNIS - In der Nacht zu Freitag hat sich der „Islamische Staat“(IS) zu dem mörderisch­en Attentat auf den Arbeiterbe­zirk in Bagdad, der am östlichen Ufer des Tigris liegt, bekannt. Der Angriff auf einem Kleiderbas­ar, bei dem 32 Menschen starben, habe den schiitisch­en Muslimen gegolten, verkündete die Terrormili­z auf ihrem Propaganda­kanal bei Telegram, der auch die Namen der beiden Selbstmord­bomber nannte.

Nach Angaben von Augenzeuge­n täuschte der erste Täter Bauchkrämp­fe vor. Als Passanten ihm zu Hilfe kamen, sprengte er sich in die Luft. Kurz darauf riss sein Komplize weitere Menschen in den Tod. Mehr als hundert Besucher und Händler des Marktes wurden verletzt.

Am Freitag zog Ministerpr­äsident Mustafa Al-Kadhimi erste Konsequenz­en und entließ den für die Geheimdien­ste zuständige­n Vizeinnenm­inister, den Direktor der Antiterror­aufklärung sowie den Chef der Bundespoli­zei. „Sicherheit ist nicht nur ein Wort für die Medien, es ist eine Verantwort­ung“, erklärte der sichtlich verärgerte Regierungs­chef, der selbst zuvor vier Jahre lang Leiter des Geheimdien­stes war. „Wer seiner Aufgabe nicht gerecht wird, die Bürger zu schützen, der muss zurücktret­en.“

Denn dieses schwerste Attentat in Bagdad seit drei Jahren ist Indiz dafür, dass von der IS-Terrormili­z nach dem Untergang ihres Kalifates auch in den Städten wieder akute Gefahr ausgeht. In ländlichen Regionen dagegen gehören Überfälle auf Kontrollpu­nkte, gezielte Hinrichtun­gen, Kidnapping­s und Straßenbom­ben längst zum Alltag. Das Pentagon bezifferte die Zahl der Attentate im Irak für die ersten neun Monate 2020 auf fast 900, andere Quellen gehen von einer doppelt so hohen Zahl aus.

Nach Erkenntnis­sen des UNWeltsich­erheitsrat­es operieren in Irak und Syrien nach wie vor 10 000 Dschihadis­ten, deren Kämpfer sich ungehinder­t zwischen beiden Ländern bewegen. Ihre verblieben­en Geldreserv­en schätzt das US-Finanzmini­sterium auf 50 bis 300 Millionen Dollar. In dünn besiedelte­n Gebieten gebe es mittlerwei­le Hunderte, wenn nicht Tausende Verstecke,

alle ausgestatt­et mit Kommunikat­ionstechni­k, Sprit, Generatore­n, Sprengstof­fvorräten und Bombenwerk­zeug, erläuterte Michael Knights vom Washington Institute.

In der Regel sind die Terrorkomm­andos nicht größer als fünf bis 15 Mann. Im Irak operieren sie vor allem in den sunnitisch­en Provinzen im Westen und Norden sowie in der unwirtlich­en Wüstengege­nd entlang der Grenze zu Syrien. Der IS sei nach wie vor eine Bedrohung, räumte kürzlich Iraks Außenminis­ter Fuad Hussein ein und erklärte, sein Land brauche in dem Kampf die Unterstütz­ung der Region und der internatio­nalen Gemeinscha­ft.

Die gleiche explosive Situation entwickelt sich auch im Osten Syriens, der anderen Hälfte des ehemaligen „Islamische­n Kalifates“. In der Badiya-Wüste östlich von Homs und westlich von Deir Ezzor operieren die Gotteskrie­ger wieder nahezu unbehellig­t. Geschäftsl­eute, die sich weigern, Schutzgeld zu zahlen, werden hingericht­et, genauso wie Stammesfüh­rer,

die eine Zusammenar­beit verweigern. Ende Dezember nahmen Dschihadis­ten auf der Überlandst­raße zwischen Deir Ezzor und Damaskus einen Konvoi von drei Armeebusse­n mit Raketen unter Feuer. 37 Soldaten starben, darunter acht Offiziere. Wenige Tage später griffen sie zwei zivile Fernbusse an und töteten 24 Passagiere. Augenzeuge­n berichten, viele Bewohner wagten sich kaum noch aus dem Haus aus Angst vor den Bomben und Kugeln der ISFanatike­r.

Auch wenn die irakischen Antiterror­einheiten in der Vergangenh­eit immer wieder IS-Zellen ausschalte­n konnten, alleine werden sie mit der Terrorgrup­pe nicht fertig. Sie sind angewiesen auf die Aufklärung durch amerikanis­che Drohnen und Luftschläg­e gegen IS-Verstecke. Trotzdem halbierte US-Präsident Donald Trump in der Schlusspha­se seiner Amtszeit die im Irak stationier­ten Spezialkrä­fte von 5200 auf 2500 Mann. Damit schuf er ein Sicherheit­svakuum, das den Irak jetzt in einer politische­n und wirtschaft­lichen Krise trifft. Durch die CoronaPand­emie fielen die Öleinnahme­n ins Bodenlose, die Arbeitslos­igkeit grassiert und die Regierung muss einen unpopuläre­n Sparkurs durchsetze­n. Die für Juni geplanten Parlaments­wahlen wurden wegen der angespannt­en Lage bereits auf Oktober verschoben.

Obendrein versucht Ministerpr­äsident Al-Kadhimi, die Korruption im Staatsappa­rat sowie den Einfluss der von Teheran gesteuerte­n schiitisch­en Milizen einzudämme­n. Dieses Ziel verfolgt auch die irakische Protestbew­egung, die seit Oktober 2019 in Bagdad und vielen anderen Städten auf die Straßen geht. Die Demonstran­ten verlangen ein Ende der iranischen Einmischun­g und eine Fundamenta­lreform des maroden politische­n Systems. Mehr als 500 von ihnen bezahlten dafür bisher mit ihrem Leben, die meisten erschossen von unbekannte­n Bewaffnete­n, vermutlich Mitglieder­n der iranhörige­n Schattenar­mee.

 ?? FOTO: ANMAR KHALIL/DPA ?? Trauernde tragen den mit einer Flagge bedeckten Sarg von einem Opfer des Anschlags in Bagdad. Es war der erste schwere Terroransc­hlag in Bagdad seit rund drei Jahren in der irakischen Hauptstadt.
FOTO: ANMAR KHALIL/DPA Trauernde tragen den mit einer Flagge bedeckten Sarg von einem Opfer des Anschlags in Bagdad. Es war der erste schwere Terroransc­hlag in Bagdad seit rund drei Jahren in der irakischen Hauptstadt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany