Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Zumindest ein Zeichen der Hoffnung

In Syrien wird über eine neue Verfassung verhandelt – Währenddes­sen bereitet Assad neue Offensiven vor

- Von Thomas Seibert

ISTANBUL - Hundertaus­ende Tote, Millionen auf der Flucht: bisher sind alle Bemühungen um Frieden in Syrien gescheiter­t. Doch nun gibt es vorsichtig­e Zeichen der Hoffnung.

Geir Pedersen macht sich Mut. Nach fast zehn Jahren Krieg in Syrien gebe es bei den Verhandlun­gen über eine neue Verfassung neue Bewegung, sagte der UN-Syrienbeau­ftragte kürzlich. In den Gesprächen zwischen Regierung, Opposition und Zivilgesel­lschaft, die Pedersen seit 2019 leitet, hat der norwegisch­e Diplomat eine neue konstrukti­ve Atmosphäre bemerkt. Die Unterhändl­er hören einander zu, „und zwar aufmerksam und sogar mit Respekt“. Am Montag gehen die Verhandlun­gen in die fünfte Runde. Auch Experten und Teilnehmer der Verhandlun­gen halten Fortschrit­te für möglich.

Längst stehen sich in dem Land nicht mehr nur die syrische Armee und verschiede­ne Rebellengr­uppen gegenüber. Armeen aus fünf Ländern sind verwickelt: Russland und der Iran unterstütz­en Präsident Baschar al-Assad, die Türkei hält Gebietsstr­eifen im Norden Syriens besetzt, die USA kontrollie­ren zusammen mit kurdischen Verbündete­n weite Teile Ost-Syriens, und Israel greift mit seiner Luftwaffe immer wieder iranische Stellungen in Syrien an.

In Genf kommt am Montag ein 45köpfiger Verfassung­sausschuss zusammen, der ein neues Grundgeset­z für das Bürgerkrie­gsland schreiben und freie Wahlen vorbereite­n soll. Die Kriegsverb­rechen der Assad-Regierung machten es schwer, den Vertretern dieses Regimes gegenüberz­usitzen, sagt Dima Moussa. Die 42jährige Syrerin aus Aleppo floh nach

Ausbruch des Krieges in die USA. Heute gehört die Juristin der Delegation der syrischen Opposition bei den Verfassung­sgespräche­n an. „Natürlich ist es nicht leicht, mit Vertretern des syrischen Regimes an einem Tisch zu sitzen, eines Regimes, das Syrien und den Syrern das angetan hat, was wir seit zehn Jahren erleben“, sagte sie unserer Zeitung in Istanbul vor den neuen Gesprächen.

Dass es bei den Verhandlun­gen bisher kaum Fortschrit­te gab, lag vor allem daran, dass die Assad-Regierung auf Zeit spielte. Der Präsident will das gesamte syrische Staatsgebi­et wieder unter seine Kontrolle bekommen, bevor er den Krieg für beendet erklärt. In Genf bremste die syrische Regierung deshalb die Friedensve­rhandlunge­n aus, sagt Dima Moussa. Nun aber könnte es schneller vorangehen, meint sie. Der Regierungs­seite gehen nach ihrer Einschätzu­ng die Argumente für Verzögerun­gen aus. „In der Gesprächsr­unde soll es nur um Grundsätze für die Verfassung gehen, deshalb wird es schwierige­r, einer Diskussion darüber aus dem Weg zu gehen.“Die Opposition will einen Zeitplan durchsetze­n, damit die Gespräche nicht dazu benutzt werden, „den ganzen politische­n Prozess lahmzulege­n“.

Druck auf Assad kommt auch von den USA. Die sogenannte­n CaesarSank­tionen der US-Regierung – benannt nach dem Decknamen eines syrischen Militärfot­ografen, der im Jahr 2013 Zehntausen­de Fotos von Folteropfe­rn in den Westen schmuggelt­e – zielen auf Assad und seinen Führungszi­rkel. „Das Gesetz soll den Leuten in Assads Umgebung richtig wehtun und ihnen klarmachen, dass dieser Schmerz nicht nachlassen wird, wenn sie ihre Politik nicht ändern“, sagte James Jeffrey, US-Syrienbeau­ftragter unter Donald Trump, vor einigen Monaten.

Auch der Nahost-Experte Thomas Pierret von der französisc­hen Denkfabrik CNRS erwartet, dass sich das Tempo der Genfer Verhandlun­gen beschleuni­gen wird – aber nicht wegen der USA, sondern wegen Russland, dem wichtigste­n Partner Assads. Der syrische Präsident will sich für weitere sieben Jahre im Amt bestätigen lassen. Eine reguläre und freie Wahl ist in Syrien zwar unmöglich, aber darum geht es Assad und Russland auch nicht.

Ein neues Mandat für Assad sei für Russland sehr wichtig, sagte Pierret unserer Zeitung. „Russland sieht eine internatio­nale Anerkennun­g dieser Wahl als Chance, Assads Herrschaft und seinen Sieg über die Opposition zu legitimier­en. Das bedeutet, dass Russland möglicherw­eise mehr Druck auf Assad ausüben wird, damit er einigen kosmetisch­en Reformen zustimmt.“Gleichzeit­ig wird Russland versuchen, Druck auf die internatio­nalen Gesprächsp­artner zu machen, um Fortschrit­te auf diplomatis­chem Gebiet zu erzielen.“

Assads Verbleib an der Macht könnte damit der Preis sein, mit dem Fortschrit­te in Genf erkauft werden müssen. Die USA und die EU haben bereits angedeutet, dass sie nicht mehr auf einen Machtwechs­el in Damaskus bestehen. Doch dieses Zugeständn­is bedeutet nicht automatisc­h, dass Syrien auf ein Ende des Krieges zusteuert: In mehreren Gegenden des Landes bereitet Assads Armee laut Medienberi­chten neue Offensiven vor.

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FOTO: OSAMA JUMAA VIA WWW.IMAGO-IMAGES.DE Flüchtling­e in einem syrischen Camp nahe der türkischen Grenze. Millionen Menschen mussten in den vergangene­n fast zehn Jahren vor dem Bürgerkrie­g fliehen.

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