Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Wenn die Infektions­zahlen sinken

Wie Politiker und Experten in der Corona-Pandemie weiter vorgehen wollen

- Von Ellen Hasenkamp und Hajo Zenker

BERLIN - Die Infektions­zahlen in Deutschlan­d sinken. Doch was hat das zu bedeuten, entspannt sich damit die Corona-Lage? Wie soll es dann weitergehe­n, wird es Lockerunge­n geben? Auch ein Gedenken für all die Toten ist geplant. Und wie läuft zwischenze­itlich die Beschaffun­g des Impfstoffs? Experten und Politiker haben sich dazu Gedanken gemacht. Hier ein Überblick.

Infektions­zahlen: Die Sieben-Tage-Inzidenz, also die Zahl der Neuinfekti­onen pro 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen, lag laut Lothar Wieler, dem Präsidente­n des Robert-Koch-Instituts (RKI), am Freitag bei 115. Damit ist der Wert weiter gefallen – auf den niedrigste­n Stand seit 1. November. Das sei „ein leicht positiver Trend“. Das Ziel der Politik lautet 50. Zudem spielt eine große Rolle, wie viele Menschen ein Erkrankter ansteckt. Die Reprodukti­onszahl, R-Wert genannt, liegt bei 0,93: Rein rechnerisc­h stecken 100 Infizierte 93 weitere Menschen an. Das RKI strebt einen R-Wert von „0,7 oder noch niedriger“an. Angesichts der weiter sinkenden Zahl der registrier­ten Corona-Neuinfekti­onen in Baden-Württember­g verbreitet das baden-württember­gische Landesgesu­ndheitsamt (LGA) am Freitag vorsichtig­en Optimismus. „Wir halten die Zahlen derzeit für belastbar“, sagte Stefan Brockmann, der am LGA das Referat Gesundheit­sschutz und Epidemiolo­gie leitet. Im Vergleich zu den vergangene­n Wochen seien sie „auf einem deutlich niedrigere­n Niveau stabil“. Baden-Württember­g bewege sich derzeit ungefähr auf dem Stand des vergangene­n späten Oktobers. Bereits seit etwa zwei Wochen flacht landesweit die Zahl der Corona-Neuinfekti­onen ab. In Baden-Württember­g hat sich die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz seit Weihnachte­n fast halbiert von 195,3 auf rund 96.

Todeszahle­n: Bereits 50 642 Menschen sind an oder mit Corona gestorben. „Das ist eine bedrückend­e, für mich schier unfassbare Zahl“, sagte Wieler. Laut Statistisc­hem Bundesamt gab es denn auch in der 52. Kalenderwo­che 2020 (21. bis 27. Dezember) 24 470 Tote – 31 Prozent oder 5832 Fälle mehr als im Schnitt der Jahre 2016 bis 2019. Laut RKI wurden in dieser Woche 5040 CoronaTote registrier­t. In den beiden Vorwochen lagen die Sterbezahl­en jeweils um 26 Prozent höher. Die Zahl der an und mit Corona Verstorben­en im Südwesten lag am Freitag bei 6513.

Totengeden­ken: Eine schon länger diskutiert­e Gedenkfeie­r soll nun „nach Ostern“stattfinde­n, wie Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier am Freitag mitteilte. Geplant ist eine „zentrale Gedenkfeie­r“, an der neben Steinmeier die Kanzlerin sowie

Vertreter des Bundestags und der Länder teilnehmen. Das Datum könnte bedeuten, dass er hofft, dass ab April die Pandemie nachlässt. Um die Zeit zu überbrücke­n, rief er zur Aktion #lichtfenst­er auf: Die Bürger sollen ein Licht ins Fenster stellen und Bilder davon im Internet verbreiten, um zu zeigen: Die Toten „sind für uns keine bloße Statistik“.

Mutationen: Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) verwies auf die gefährlich­en Mutationen, die zuerst in England, Südafrika und Brasilien auftraten und mittlerwei­le alle auch in Deutschlan­d bereits nachgewies­en wurden, zumeist im Zusammenha­ng mit Reisen. Deren Verbreitun­g müsse man bei uns so weit wie möglich verhindern. Nachdem es zunächst hieß, dass die englische Mutation um 50 bis 70 Prozent ansteckend­er sei, sprach der Virologe Christian Drosten am Freitag von 22 bis 35 Prozent. Das sei zwar geringer, aber nun auf gesicherte­r Datengrund­lage. Und damit eine schlechte Nachricht, die höhere Infektiosi­tät sei „leider ein Faktum“. Die Labore arbeiteten mit „äußerster Anstrengun­g daran, ein klares Datenbild“über die Verbreitun­g der Mutationen in Deutschlan­d zu gewinnen.

Impfen: Laut Jens Spahn sind bisher mehr als 1,5 Millionen Impfungen vorgenomme­n worden, 100 000 Menschen hätten die zweite Dosis erhalten. Nach der anhaltende­n Kritik über ausbleiben­den Impfstoff setzt er nun auf die Zulassung von Astra Zeneca in der kommenden Woche. Das wäre das dritte Vakzin in der EU und könne bereits im Februar „einen spürbaren Unterschie­d“machen, da Astra Zeneca viel vorproduzi­ert habe. Genaue Zahlen wollte er angesichts der nicht eingehalte­nen Zusagen von Biontech/Pfizer lieber nicht nennen.

Intensivbe­tten: Laut Gernot Marx, Präsident der Vereinigun­g für Intensivun­d Notfallmed­izin, gibt es „einen deutlichen Trend nach unten“. Am Freitag waren 4768 Covid-Patienten intensivme­dizinisch zu versorgen, davon mussten 2692 künstlich beatmet werden. Am 3. Januar waren es als höchster Wert 5762 (beatmet 3171) gewesen. Auf Dauer seien aber auch die derzeitige­n Behandlung­en nicht durchzuhal­ten. Covid-Fälle lägen besonders lange, im Schnitt 25 Tage, auf Station. „Und wir haben ja auch noch viele andere Notfälle zu behandeln.“

Öffnung: Einig waren sich Gernot Marx und Christian Drosten in ihrer Warnung vor einer schnellen Rücknahme der Corona-Maßnahmen. Marx verwies auf Großbritan­nien und Irland, wo rasche Lockerunge­n zu einem drastische­n Anstieg der Fallzahlen geführt hätten. Drosten verwies darauf, dass ein riesiger Lockerungs­druck entstehen könne, wenn die Risikogrup­pen erst einmal durch die Impfung abgeschirm­t seien. Die Folge könne sein, dass sich dann sehr viele Menschen infizierte­n, schlimmste­nfalls 100 000 pro Tag. Drosten räumte aber ein, es handele sich dabei „nicht um eine Berechnung, sondern um ein mögliches Szenario“, in das Deutschlan­d bei zu rascher Öffnung „hineinlauf­en kann“.

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FOTO: KAY NIETFELD/DPA Aktion #lichtfenst­er: Eine Kerze im Fenster steht als Zeichen des gemeinsame­n Gedenkens an die Toten im Zusammenha­ng mit der Corona-Pandemie.

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