Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Pflichtbew­usster Antiheld

Pilot Chesley Sullenberg­er, der vor zwölf Jahren 155 Menschen rettete, wird 70

- Von Barbara Munker

SAN FRANCISCO/NEW YORK (dpa) Bescheiden­heit zeichnet den „Held vom Hudson“auch heute noch aus. „Gegen das ,H'-Wort habe ich mich immer gewehrt“, sagt der amerikanis­che Pilot Chesley B. Sullenberg­er. Fliegerei sei ein „Teamsport“und wie so oft im Leben habe Zusammenar­beit damals zum Erfolg geführt und Leben gerettet. Sully, so sein Spitzname, blickt zwölf Jahre zurück – auf seine spektakulä­re Notwasseru­ng vom 15. Januar 2009 auf dem New Yorker Hudson River.

„Wenn wir uns auf Mitmenschl­ichkeit besinnen und zusammenar­beiten, gibt es kaum etwas, was wir nicht schaffen können“, betont Sullenberg­er im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur kurz vor seinem 70. Geburtstag am Samstag.

Ob er es mag oder nicht, für viele Menschen ist Sully der „Hero“schlechthi­n. 155 Menschen waren an Bord von US-Airways-Flug 1549, nach einer Stunde Flug sollte der Airbus in Charlotte im US-Staat North Carolina landen. Doch kurz nach dem Start auf dem New Yorker LaGuardia Flughafen fielen durch die Kollision mit einem Gänseschwa­rm beide Triebwerke aus. Die Motoren brannten, die Schubkraft war weg, an eine Rückkehr zur Startbahn oder den Anflug eines anderen Flughafens war nicht zu denken. CoPilot Jeff Skiles gab das Steuer an Sullenberg­er ab.

„Ich wusste sofort, dass dies ein einzigarti­ger Notstand ist, die größte Herausford­erung, der schlimmste Tag meines Lebens“, erinnert sich Sullenberg­er. In den ersten Sekunden habe er drei Gedanken gehabt: „Das kann nicht wahr sein! Das kann mir doch nicht passieren! Und dann die Erkenntnis, dass im Gegensatz zu all meinen früheren Flügen dieser wohl nicht unversehrt auf einer Landebahn endet.“Doch sein Ziel sei klar gewesen, die Maschine intakt zu Boden zu bringen und damit alle Menschen an Bord zu retten. „Wenn nur eine Person nicht überlebt hätte, hätte ich das als tragisches Versagen empfunden und mein Leben lang zutiefst bedauert.“

„Wir gehen auf den Hudson runter“, funkte der damals 57-Jährige mit ruhiger Stimme an den Tower. Die Landung im eisigen Hudson River vor der Skyline von New York war eine fliegerisc­he Meisterlei­stung. Der Airbus überschläg­t sich nicht, bricht nicht auseinande­r, als er mit Tempo 250 auf das Wasser knallt. Ein Schnitt im Bein einer Stewardess ist die schlimmste Verletzung. Binnen weniger Minuten und fast ohne Panik klettern die Passagiere auf die Tragfläche­n des schwimmend­en Fliegers. Boote kommen zur Rettung. Sullenberg­er, ein ehemaliger Militärpil­ot mit 40 Jahren Flugerfahr­ung, geht als Letzter von Bord. Er sucht zuvor noch einmal die sinkende Maschine ab, um auch wirklich niemanden zurückzula­ssen. Den Dank eines Passagiers quittiert er mit einem Lächeln und den Worten „Gern geschehen“. Seiner Frau Lorrie und den beiden Töchtern in Kalifornie­n erklärt er kurz danach am Telefon ruhig: „Hier gab es einen Unfall.“

Nach dem „Wunder vom Hudson“bricht eine Art „Sullymanie“aus, auch wenn der bescheiden­e „Held“in Hunderten Interviews und Talkshows immer wieder seine Crew lobt. Noch-Präsident George W. Bush gratuliert dem Piloten, Barack Obama lädt ihn kurz nach dem Unglück zu seiner Vereidigun­g nach Washington ein. „Dies war eines der großen Highlights“, sagt Sullenberg­er.

Er habe Obama mit Erfolg darum gebeten, dass auch seine Crew und deren Familien zu den Feierlichk­eiten kommen durften.

Die weltweite Aufmerksam­keit sei überwältig­end gewesen, sagt Sullenberg­er. „In den ersten Monaten bekamen wir 50 000 Briefe und EMails.“Auf seiner Facebook-Seite hat er mehr als 600 000 Fans. Er schrieb eine Autobiogra­fie („Man muss kein Held sein“) – später die Vorlage für Clint Eastwoods Film „Sully“(2016). Der drehte sich auch um die weniger bekannten Nachwehen des Flugdramas: Die monatelang­e Crash-Untersuchu­ng der Flugsicher­heitsbehör­de und den Medienrumm­el. Tom Hanks spielt den Piloten mit grauen Haaren und ordentlich getrimmtem Schnäuzer.

Seit 2010 ist Sullenberg­er im Ruhestand, setzt sich als Experte aber weiter für Flugsicher­heit und Unfallermi­ttlungen ein. Auf seiner Webseite nennt der Aktivist als neueste Mission: „Unsere Demokratie schützen“. Es wäre eine „Pflichtver­letzung“, wenn er sich als bekannte Figur nicht für so etwas Wichtiges einsetzen würde, sagt er. Die Wahl des Demokraten Joe Biden zum neuen US-Präsidente­n mit Kamala Harris als Vizepräsid­entin betrachte er als ein willkommen­es Geburtstag­sgeschenk. „Ich freue mich auf die Biden-HarrisRegi­erung, um unser Land auf den richtigen Kurs zu bringen und die vielen, schwierige­n Herausford­erungen anzugehen.“

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FOTO: EPA JUSTIN LANE Spektakulä­re Rettungsak­tion auf dem Hudson River: Alle 155 Menschen an Bord überlebten die Notwasseru­ng.
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FOTO: A2800 EPA HANDOUT/DPA Pilot Chesley B. „Sully“Sullenberg­er.

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