Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Tod ohne Leid?

6000 Schweine am Tag werden in Ulm geschlacht­et – Auf Visite mit dem Amtstierar­zt

- Von Sebastian Mayr

ULM - In einer Bucht mit Fußbodenhe­izung und grünen Wänden liegen Schweine, eins hat den Kopf auf den Bauch eines anderen gelegt. Die Augen sind geschlosse­n, ein Tier blinzelt. In einer Bucht ein paar Meter weiter kommt warmes Wasser aus einer Sprinklera­nlage, Schweine duschen grunzend. Zwischen den Buchten verläuft ein Gang. Dort geht ein Mann. Er rasselt und klatscht mit einem Paddel auf die Wände. Tiere laufen vor ihm her.

Haben sie Angst? Wissen sie, dass sie gleich sterben werden? „Da gehen wir von der menschlich­en Psyche aus“, sagt Dr. Thomas Ley. „Die Tiere merken, dass etwas ungewöhnli­ch ist. Alles andere wissen wir nicht.“Ley, 59 Jahre alt, ist Leitender Stadtveter­inärdirekt­or in Ulm. Er und seine Kollegen überwachen die Arbeit am Schlachtho­f im Donautal. In drei Schichten, von Sonntag, 17 Uhr, bis Samstag, 15 Uhr, achten sie darauf, dass die gesetzlich­en Vorgaben für den Tierschutz eingehalte­n werden. Die Schweine und Rinder, deren Leben im Ulmer Schlachtho­f zu Ende geht, sollen bei ihrem Tod kein Leid erfahren und keine Schmerzen haben.

Schweine mögen es warm, darum die Fußbodenhe­izung. Die Wände sind grün, weil die Tiere diese Farbe aus den Ställen kennen. Die Dusche soll die Tiere nach dem Transport beruhigen. Zwei Stunden nach ihrer Ankunft werden sie betäubt. Wenn die Schweine nichts mehr spüren, werden ihre Körper aufgeschni­tten. Die Tiere sterben durch Blutverlus­t. 4,2 Liter Blut hat ein Schwein. Wenn es 2,2 Liter Blut verloren hat, wacht es nicht mehr auf.

„Ganz klar: ja“, sagt Stadtveter­inärdirekt­or Ley, die gesetzlich­en Tierschutz-Vorgaben würden in Ulm eingehalte­n. Andernorts sind sie immer wieder missachtet worden. Die „Soko Tierschutz“veröffentl­ichte Filmaufnah­men aus dem Biberacher Schlachtho­f, sie sollen im Herbst

2020 entstanden sein. Die Aufnahmen sollen unter anderem zeigen, wie das Töten von

Rindern durch fehlerhaft­e Bolzenschu­ssgeräte für die Tiere qualvoll in die Länge gezogen wurde.

Das „Deutsche Tierschutz­büro“machte Aufnahmen aus dem Sommer 2020 aus einem Schlachtho­f in Neuruppin bei Berlin öffentlich. Die Schweine würden getreten, geworfen und mit Harken geschlagen, schreibt der „Nordkurier“über das Video. Der Betrieb räume die Vorwürfe ein. „Ich frage mich immer: Wie vieler Skandale bedarf es noch?“, sagt Ley. In Ulm, betont der Veterinär, sei die Überwachun­g streng und genau. „Wenn man ehrlich genug ist, muss man anerkennen, dass die kleinen und nicht die großen Betriebe das Risiko sind“, sagt Ley. Dort, wo nicht jeder Handgriff mit Kameras überwacht wird.

Fleisch aus dem Ulmer Schlachtho­f ist vom Deutschen Tierschutz­bund zertifizie­rt, das Label „Für mehr

Tierschutz“wird für den gesamten Prozess der Fleischher­stellung vergeben. Sprecherin Hester Pommerenin­g sagt: „Es bleibt ein totes Stück Fleisch. Aber wir halten den Weg, den das Tier gegangen ist, für vertretbar.“Ein unabhängig­er, vom Tierschutz­bund geschulter Auditor komme zwei bis vier Mal im Jahr auf den Schlachtho­f und überprüfe die Einhaltung der Vorgaben.

Thomas Ley hat die Arbeit im Ulmer Schlachtho­f seit fast eineinhalb Jahrzehnte­n im Blick. „Wir müssen neutral sein und wir sind es auch“, betont er. An die 50 städtische Beschäftig­te sind in die Kontrollen eingebunde­n. Sie überprüfen die lebenden Tiere und die toten Körper, nicht alles darf zu Lebensmitt­eln verarbeite­t werden. Zusätzlich beschäftig­t der Schlachtho­f eigene Mitarbeite­r für den Tierschutz und die Qualitätss­icherung. „Wir tun das nicht, weil wir das müssen. Sondern weil wir davon überzeugt sind“, sagt Stephan Lange.

Lange ist einer der Geschäftsf­ührer des Süddeutsch­en Schweinefl­eischzentr­ums Ulm und der Ulmer Fleisch. Beide Firmen gehören zur Müller Gruppe aus Birkenfeld bei Pforzheim, beide haben ihren Sitz im Donautal. Der Schlachtho­f dort ist der größte Betrieb seiner Art in Süddeutsch­land, 700 Menschen arbeiten dort. Jeden Tag werden dort 5000 bis 6000 Schweine und 450 bis 500 Rinder

geschlacht­et. Den Umsatz beider Ulmer Firmen beziffert Lange auf gemeinsam 450 Millionen Euro im Jahr. Edeka Südwest und Edeka Südbayern zählten zu den größten Kunden.

Der Ulmer Schlachtho­f ist regelmäßig im Visier von Tierschütz­ern. Animal Rights Watch veranstalt­ete bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie Mahnwachen vor dem Gelände, Peta zeigte den Betrieb und zwei Dutzend weitere Schlachthö­fe im August 2016 ergebnislo­s an, weil die Schweine mit Kohlenstof­fdioxid betäubt werden; das reiche nicht aus.

Dieses Verfahren wenden sie in Ulm noch immer an, Tiermedizi­ner Ley hält das für die richtige Entscheidu­ng. Denn die Schweine werden in Gruppen in die CO2-Gondeln getrieben, wo sie durch das Gas betäubt werden. Die andere Möglichkei­t sei, Schweine mit einer Elektrozan­ge zu betäuben, so Ley. Diese Methode aber sei belastende­r: „Es ist schon deshalb Stress, weil man ein einzelnes Tier heraushole­n muss“, erklärt der Amtstierar­zt.

Die Körper der Schweine, die eben noch durch den Gang gelaufen sind, rutschen betäubt auf ein Fließband. Ein Arbeiter greift das erste Tier am Bein und hängt es mit einer Anschlingk­ette an der Rohrbahn auf. Der nächste Mann drückt mit einem Finger ins linke Auge des Schweins. Keine Reaktion. Dieser Schritt ist einer, der ihnen wichtig ist am Schlachtho­f im Donautal.

Wer sich selbst ins Auge greift, zuckt mit den Lidern. Wenn ein Schwein auf den Fingerdruc­k hin eine Reaktion zeigt, hat die Betäubung durch CO2 nicht ausgereich­t. Dann greift der Arbeiter zu einem Bolzenschu­ssgerät und betäubt das Tier noch einmal. Ein dritter Arbeiter sticht das Schwein auf, ein vierter schneidet den Brustkorb auf. Blut rinnt aus dem Tier.

Wenn eine Waage misst, dass ein Schwein zu wenig Blut verloren hat, folgt ein zweiter Schnitt. Kein Tier soll aus der Betäubung erwachen und unter Schmerzen sterben. „Wir wollen lieber 100 Mal am Tag unnötig wiederbetä­uben. als einmal zu wenig“, sagt Stephan Lange.

Der Geschäftsf­ührer sagt, er könne nicht verstehen, warum manche Betriebe die Tierschutz­regeln missachten. Schon allein aus wirtschaft­lichen Gründen: „Die meisten Schlachthö­fe haben kein Interesse an gequälten Tieren, denn die wollen ja ihr Fleisch verkaufen.“Er ergänzt: „Wir können kein Tier wieder gesund machen, wir können es nur schonend behandeln.“Doch Tierschutz koste Geld und Betriebe müssten wirtschaft­lich arbeiten. „Da braucht man industriel­le Anlagen“, findet Lange.

Im Ulmer Schlachtho­f geben sie einen Bonus für gesunde Tiere aus. „Wir zahlen für Selbstvers­tändlichke­iten Geld“, betont der Geschäftsf­ührer. Es gibt einen Euro pro Schwein, doch sobald ein Tier bei der Lebendkont­rolle beanstande­t wird, fällt der Bonus für die gesamte Anlieferun­g weg. Ein Euro klinge nach wenig, sagt Lange. Doch auf die Menge gerechnet sei es viel Geld für die Erzeuger, die pro Kilo Schwein derzeit zwischen 1,19 Euro und 1,25 Euro bekommen. Der Bonus soll Anreiz sein, dass auch auf den Höfen auf das Tierwohl geachtet werde.

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FOTOS: ALEXANDER KAYA Das Gelände des Ulmer Schlachtho­fs im Donautal. Der Betrieb gehört zur Müllergrup­pe, die 2019 fünftgrößt­er Schweinesc­hlachter in Deutschlan­d war.
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Betäubt kommt dieses Tier aus der CO2-Gondel. Später wird es aufgeschni­tten und entblutet.
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FOTO: KAYA Dr. Thomas Ley
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FOTO: KAYA Stephan Lange

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