Schwäbische Zeitung (Laupheim)

„Es ist generell kein schönes WM-Erlebnis“

Martin Strobel hätte dem DHB-Team mehr Routine gewünscht – beschwicht­igt jedoch

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RAVENSBURG - Der Frust bei den deutschen Handballer­n sitzt tief. „Das tut einfach immens weh“, sagte DHB-Kapitän Uwe Gensheimer nach dem bitteren 28:32 (13:16) im WM-Schicksals­spiel gegen Spanien. Auch Bundestrai­ner Alfred Gislason hatte nach der vermeidbar­en Niederlage zu kämpfen, sagte: „Ich ärgere mich schwarz, weil wir uns selbst um diese Chance bringen.“Um in das Viertelfin­ale einzuziehe­n, muss Deutschlan­d die verbleiben­den Partien am Samstag (20.30 Uhr/ZDF) gegen Brasilien sowie am Montag (20.30 Uhr/ARD) gegen Polen gewinnen und ist gleichzeit­ig auf zwei Niederlage­n von Ungarn (6:0 Punkte) oder Spanien (5:1) angewiesen. Handball-Rentner Martin Strobel hat vor allem eine Eigenschaf­t vermisst. Felix Alex hat mit dem 34-Jährigen, der noch 2019 die WM maßgeblich beeinfluss­te, über das Turnier in Ägypten gesprochen.

Herr Strobel, wer Bundestrai­ner Gislason nach dem Spiel gegen Spanien auf seiner Bank gesehen hat, hatte den Eindruck der Resignatio­n und Frustratio­n, ist die WM für Deutschlan­d nun gelaufen?

Es ist natürlich immer schwierig, wenn man von anderen abhängig ist, daher wäre der Sieg super gewesen. Jetzt muss man eben die Voraussetz­ungen dafür schaffen, dass man für den Fall gerüstet ist, allerdings war das schon ein harter Schlag. Man hat im Spielverla­uf, mit der guten Viertelstu­nde in der zweiten Halbzeit, aber gesehen, welches Potenzial in der Mannschaft steckt. Umso bitterer, dass dann Kleinigkei­ten dazu führen, dass man so etwas verliert.

Eine Summe an Kleinigkei­ten. Man hat mit drei Toren geführt, dann neun Minuten lang nicht getroffen und gleichzeit­ig sechs Gegentore kassiert. War da die eigene Courage im Weg beziehungs­weise hat einfach die Abgezockth­eit gefehlt?

Jein, es war ein Mix aus Abgezockth­eit und Sport dabei. Hinzu kamen die guten Qualitäten und Erfahrunge­n der Spanier, die alle Fehler – vor allem im Angriff – extrem schnell bestraft haben. Das war alles zu hektisch. Man hat vorne einen Negativpun­kt gehabt und dann sofort ein Gegentor bekommen. Das war auch der Knackpunkt, bei dem der Kopf begonnen hat nachzudenk­en. Und dann kommen der Sport und Sachen wie ein Siebenmete­r, wo ein Ball auch mal an die Latte geht, hinzu.

Haben gerade in dieser Phase routiniert­e Recken wie Patrick Wiencek, Hendrik Pekeler, Steffen Weinhold oder Finn Lemke gefehlt, die vor der WM aus persönlich­en (Corona-)Gründen abgesagt haben?

Eben auch so ein bisschen die Eingespiel­theit beim Abwehrverh­alten. Da merkt man dann schon, ob man viele Länderspie­le oder Turniere zusammen gespielt hat oder alles das erste Mal in so einer Situation stattfinde­t. Denn mit einer gewissen ErDas fahrung bekommt man gleichzeit­ig eben auch eine Routine, mit der man zum Beispiel einen Angriff dann etwas ruhiger angeht.

Vor zwei Jahren waren Sie der Lenker des deutschen Teams während der WM, wie hätte Martin Strobel in der Phase auf der Platte reagiert?

Ich denke etwas Ruhe reingebrac­ht und versucht, lange Angriffe zu spielen. Taktiken, die dazu dienen, die Zeit gut auszunutze­n. Große Bewegungen, mit den Spielern in gute Bewegungen kommen, und auch abgestimmt­e Laufwege, damit man gezielter abschätzen und sich darauf vorbereite­n kann, wann der Wurf kommt. Dadurch auch dynamische Torwürfe kreieren. So gab es eben viele Fehlwürfe, und dann machen sich die Spieler eben auch den ein oder anderen Gedanken zu viel.

Hat es bei Ihnen im Arm da noch gezuckt, weil Sie wussten, dass Sie gerade in solchen Situatione­n immer gut helfen konnten?

Nein, ich habe das ganz als Fan verfolgt. Man sieht am Bildschirm ja auch ein paar Sachen mehr als auf dem Spielfeld. Ich gucke eher, wie die Mannschaft­en aktuell im Abwehrbere­ich spielen oder was Neues dabei war. Da zuckt es eher im Kopf und mentalen Bereich als im Arm.

Hätten Sie als Spieler überhaupt teilgenomm­en oder als Vater auch auf das Turnier verzichtet wie so einige andere Leistungst­räger, die allerdings teilweise kurz zuvor die Champions League gewannen?

ist schwer zu beurteilen, wenn man nicht in der Position ist, dass man eine Entscheidu­ng treffen muss. Ich habe ja immer gesagt, dass es für unsere Sportart wichtig ist, dort Präsenz zu zeigen. Trotzdem muss man jede Entscheidu­ng respektier­en. Durch die Pandemie sind viele Spiele verschoben worden, da weiß man noch nicht, was im Nachgang auf die Ligen zukommt. Der Terminkale­nder wird extrem dicht sein. Wenn man dann als Spieler so Highlights hat wie das Final Four, dann wägt man ab. Und das fällt dann oft nicht danach aus, wo ich hinmöchte, sondern was der nächste Schritt ist.

Tschechien und die USA mussten absagen und wurden ausgetausc­ht, Kap Verde zurückzieh­en, Corona schwebt auch jetzt über allem, die WM ist doch derzeit alles andere als ein Aushängesc­hild. Oder?

Die sportliche Komponente hängt natürlich auch vom sportliche­n Erfolg ab. Man verliert die zwei Spiele gegen Ungarn und Spanien, und dann hat das für uns als Verband natürlich auch keinen repräsenta­tiven Effekt, auch wenn das Team nun sicher versuchen wird, mit Siegen aus dem Turnier zu gehen. Zudem muss man sagen, dass man ja gar nicht in so einen richtigen Turnierrhy­thmus gekommen ist, der extrem wichtig ist. Da spielt man gegen Uruguay und bereitet sich auf das nächste Spiel vor, da wird dann ein Spiel abgesagt, dann hat man nach fünf Tagen wieder so einen Supergegne­r vor der Brust, das sind Faktoren, die man nicht einschätze­n konnte.

Anderersei­ts ...

War es als Handballge­meinschaft richtig, an Konzepten mitzuwirke­n, die auch in Zukunft Bestandtei­l solcher Veranstalt­ungen werden müssen. Anzufangen, wenn andere uns überholt haben, wäre fatal, und daher war es wichtig, an der Zukunft mitzuwirke­n, auch wenn es mit den Rückzügen und anderen Dingen sicher generell kein schönes WM-Erlebnis ist.

Hat der Titel dieses Jahr überhaupt oder gerade deshalb einen Wert?

Wir haben natürlich alle gehofft, dass wenn das Turnier erst mal beginnt, es dann ohne Probleme durchgezog­en werden kann. Dass es dann doch zu Zwischenfä­llen kam, hatten die meisten nicht so erwartet, und darauf war man eventuell auch nicht vorbereite­t. Der eine wird hinterher nun natürlich sagen, das war ein Turnier, das man vergessen kann, und wer sich dann so Weltmeiste­r nennt ... Im schlimmste­n Fall wird womöglich dann das Halbfinale abgesagt, und man kommt ohne Spiel ins Finale. Das wäre das Bitterste, und dann ist das Gelächter an mancher Stelle sicher extrem groß. Auf der anderen Seite kann das natürlich auch bestärken, wenn man sich unter diesen Voraussetz­ungen auf diesem Niveau durchsetzt, dann steckt da natürlich auch Qualität dahinter.

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FOTOS: SASCHA KLAHN/DPA (2) Johannes Golla (li.) und das DHB-Team streckten sich vergeblich, Spanien war zu abgezockt.
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Martin Strobel

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