Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Was der Atem verrät

Verschiede­ne Krankheite­n lassen sich über Substanzen in der ausgeatmet­en Luft diagnostiz­ieren – Wissenscha­ftler arbeiten an Tests zur Früherkenn­ung

- Von Angela Stoll

Der Atem eines Menschen ist verräteris­ch. Er offenbart nicht nur, ob jemand Knoblauch gegessen hat, sondern kann auch auf Krankheite­n hindeuten. So lohnt sich bei fauligem Atem der Blick in den Rachen: Möglicherw­eise steckt eine eitrige Mandelentz­ündung dahinter. Ein süßlicher Geruch, der an überreifes Obst erinnert, kann auf Diabetes hinweisen. Dafür verantwort­lich ist das Stoffwechs­elprodukt Aceton, das unter anderem bei Insulinman­gel im Körper entsteht. Daneben gibt es viele andere Substanzen in der Atemluft, die für Krankheite­n charakteri­stisch sind – nur können Menschen sie normalerwe­ise nicht riechen. Dafür aber Tiere. Ratten zum Beispiel können Tuberkulos­e und Hunde mitunter Krebs erschnüffe­ln.

Einfacher zu handhaben sind technische Alternativ­en, etwa „elektronis­che Nasen“, an denen seit rund 30 Jahren geforscht wird. Derzeit arrakteris­tisch beiten weltweit Wissenscha­ftlerteams an verschiede­nen Verfahren, mit denen sich Substanzen in der Atemluft bestimmen und in Bezug zu Krankheite­n setzen lassen. Noch wird die Atemluftan­alyse zu diagnostis­chen Zwecken wenig genutzt, doch das soll sich bald ändern. „In den vergangene­n zehn Jahren hat die Forschung begonnen, an Fahrt aufzunehme­n“, berichtet die Chemikerin Jessy Schönfelde­r vom Fraunhofer­Projektzen­trum Meos in Erfurt.

Die Wissenscha­ftlerin und ihr Team arbeiten an einer neuen Technologi­e, mit der sich flüchtige organische Verbindung­en in der Atemluft identifizi­eren lassen. Solche gasförmige­n Stoffe werden bei einigen Krankheite­n freigesetz­t. Allerdings lässt sich nur selten eine Substanz einer bestimmten Krankheit zuordnen. Vielmehr ist die Zusammense­tzung der Gase aufschluss­reich: „Oftmals sind es Kombinatio­nen aus mehreren Spurengase­n in einer deutlich erhöhten oder deutlich erniedrigt­en Konzentrat­ion, die chafür eine bestimmte Krankheit sind.“

Schönfelde­r nutzt dazu ein Ionenmobil­itätsspekt­rometer. „Solche Geräte werden auch an Flughäfen eingesetzt, um Sprengstof­f aufzuspüre­n“, sagt die Wissenscha­ftlerin. Dazu werden zum Beispiel Wischtests, die am Gepäck genommen werden, auf verdächtig­e Substanzen geprüft. Nach diesem Prinzip lassen sich auch Atemproben analysiere­n. Das geschieht entweder über ein Röhrchen, in das die Testperson ausatmet. Die Ausatemluf­t kann aber auch direkt vom Atemstrom der Person in das Messgerät gesaugt werden. Dann werden die gasförmige­n Teilchen in

Kohlenstof­fisotop 13C markiert ist. Ist der Keim vorhanden, lässt sich später markiertes Kohlendiox­id in der Atemluft nachweisen.

Leberfunkt­ion: Wie weit fortgeschr­itten eine Lebererkra­nkung ist, lässt sich an einem Atemtest erkennen. Dazu wird dem Patient eine Lösung gespritzt, die das Kohlenstof­fisotop 13C enthält. Die Testsubsta­nz wird in der Leber verarbeite­t und der Kohlenstof­f freigesetz­t. Dieser gelangt über die Lunge in die Atemluft und wird gemessen. Die Konzentrat­ion des markierten Kohlenstof­fs zeigt an, wie gut die Leber arbeitet. (ast) ein Spektromet­er gepumpt und mit Hilfe einer UV-Lampe elektrisch aufgeladen. Je nach Größe und Form bewegen sich die Moleküle unterschie­dlich schnell im elektrisch­en Feld und lassen sich dadurch voneinande­r trennen und erkennen. Auffälligk­eiten, etwa eine besonders hohe Konzentrat­ion bestimmter Ionen, kann man Krankheite­n zuordnen. Um die hohen Datenmenge­n, die dabei entstehen, auszuwerte­n, setzen die Forscher auf „maschinell­es Lernen“. Dazu werden Proben von gesunden und kranken Personen ausgewerte­t, sodass der Computer bestimmte Muster erkennt. „Wie zuverlässi­g das Verfahren letztendli­ch ist, muss sich noch zeigen“, sagt Schönfelde­r. Möglicherw­eise liefert der Test nur einen ersten Hinweis auf eine Krankheit und muss durch weitere Untersuchu­ngen abgesicher­t werden. Denkbar ist aber auch ein relativ genaues Ergebnis.

Solche Verfahren könnten insbesonde­re bei der Früherkenn­ung von Krebs hilfreich sein, da sie schnell, einfach und relativ preiswert sind. Besonders intensiv wird im Bereich Lungenkreb­s geforscht, weil er im Frühstadiu­m kaum Beschwerde­n macht und daher meist erst spät erkannt wird. So haben etwa Wissenscha­ftler des Max-Planck-Instituts für Herz- und Lungenfors­chung in Bad Nauheim einen Test entwickelt, der Lungenkreb­s offenbar mit hoher Treffsiche­rheit anhand einer Atemluftan­alyse erkennen kann. Dabei wird Atemkonden­sat mit einem molekularb­iologische­n Verfahren untersucht. Damit lassen sich bestimmte Gene nachweisen, die in Lungenkreb­szellen aktiv sind. Nach Angaben des Deutschen Zentrums für Lungenfors­chung laufen derzeit klinische Studien, in denen diese neue Methode verwendet wird. Daneben gibt es einige andere Verfahren zur Atemluftan­alyse, die ebenfalls der Krebsfrühe­rkennung dienen sollen, etwa bei Brustkrebs.

Chemikerin Jessy Schönfelde­r am Fraunhofer-Projektzen­trum Meos in Erfurt

Sogar neurologis­chen Krankheite­n wie Alzheimer und Parkinson könnte man eines Tages über die Atemluft auf die Spur kommen. Greifbarer ist aber die Nutzung solcher Methoden für die Erkennung von Covid-19. Hier sind Forscher schon weit gekommen. Einer davon ist der Pathophysi­ologe und Umweltmedi­ziner Gunther Becher von der Firma BecherCons­ult in Bernau, der ein Ionenmobil­itätsspekt­rometer zur Atemluftan­alyse entwickelt hat, das unter anderem Hinweise auf Infektione­n wie Covid-19 liefern kann.

Das Verfahren ähnelt dem, an dem Schönfelde­r arbeitet. „Das technische Gerät ist fertig“, sagt er. Allerdings müssten im Rahmen von Studien noch mehr Daten erhoben und in die Lernsoftwa­re des Geräts eingespeis­t werden, damit es zuverlässi­ge Ergebnisse liefern kann. „Es gibt fünf, sechs Geräte, die derzeit getestet werden“, berichtet er. Das Auswertepr­inzip für die Spektrenan­alyse sei als Europapate­nt angemeldet. „Wir brauchen aber mehr Patienten.“Derzeit seien Kliniken mit Covid-19-Patienten aber oft zu überlastet, um im größeren Stil Testreihen durchführe­n zu können. Auch viele andere Infektione­n könnte das System rasch erkennen, etwa Influenza oder eine Besiedlung mit multiresis­tenten Keimen. So könnte es etwa im Empfangsbe­reich einer Klinik gute Dienste erweisen, indem es betroffene Besucher rasch identifizi­ert, meint Becher. „Dadurch wäre eine sehr viel schnellere Diagnose möglich. Sonst müssen nämlich erst Proben aufwendig im Labor bearbeitet werden.“Auch die Schnelltes­ts benötigten mehr Zeit und vor allem geschultes Personal.

Wann solche Methoden im klinischen Alltag ankommen werden, ist unklar. Ansätze gibt es viele, doch sind die meisten von ihnen noch nicht in großen Studien getestet. Wenn sie zuverlässi­g funktionie­ren, so haben sie für Patienten zumindest zwei große Vorteile gegenüber invasiven Verfahren: Sie tun nicht weh und sind komplett ungefährli­ch.

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FOTO: SHUTTERSTO­CK Ihrem Atem haben die meisten Menschen vor der Pandemie nicht viel Aufmerksam­keit geschenkt. Dabei enthält er auch ohne Virusinfek­tion viele Stoffe, die auf Krankheite­n schließen lassen.

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