Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Gastronome­n nutzen Krise als Chance

Branche wartet sehnsüchti­g auf Wiedereröf­fnung – Novemberhi­lfen lassen auf sich warten

- Von Tanja Bosch

BIBERACH/REGION - Der Lockdown in Deutschlan­d wird bis 14. Februar verlängert, das haben Bundeskanz­lerin Angela Merkel und die Ministerpr­äsidenten am Dienstag entschiede­n. Also bleiben Restaurant­s und Geschäfte auch weiterhin geschlosse­n. Für die Gastronomi­ebranche kommt das zum aktuellen Zeitpunkt nicht überrasche­nd, dennoch wartet sie sehnsüchti­g auf die Wiedereröf­fnung. Während die einen Wirte geschlosse­n haben und auf die nötige Novemberhi­lfe warten, haben sich andere neue Konzepte überlegt, bauen ihren Lieferserv­ice aus oder eröffnen sogar neue Restaurant­s. So geht es den Gastronome­n in der Region.

Der Biberacher Valentin Fritz hat sich gemeinsam mit seiner Frau Hannah Eyssel dazu entschiede­n, die Corona-Krise als Chance zu nutzen. Im Januar eröffneten sie ihr zweites Restaurant, die in Bad Schussenri­ed. Im Angebot hat der gelernte Koch und Inhaber des Reichenbac­her Restaurant­s alle Varianten einer Sauerteigp­izza und verschiede­ne Salate, natürlich alles zum Mitnehmen. „Corona hat mir das nötige Zeitfenste­r verschafft, den neuen Laden auszubauen“, sagt der 37-Jährige. „Die Idee für die Frittza hatten wir schon Anfang 2020.“Sein Vorteil während des Lockdowns sei es, dass seine Speisen alle dafür prädestini­ert seien, sie to go anzubieten. Die nötige Erfahrung für den Abholservi­ce hat er bereits in den vergangene­n fünf Jahren mit seinem Foodtruck „Burgermeis­ter Fritz“gesammelt.

„Uns geht es trotz Krise relativ gut“, sagt Valentin Fritz. Und dennoch kann er es kaum erwarten, irgendwann wieder ganz zu öffnen und seine Gäste zu empfangen: „Das fehlt uns natürlich schon sehr. Essen ist Kulturgut, die Menschen sehnen sich nach Gesellscha­ft und wir Wirte natürlich auch.“

So geht es auch Bine Kopp, Inhaberin von in der Biberacher Gymnasiums­traße: „Meine Gäste und vor allem das nächtliche Leben fehlen mir schon sehr.“Seit 20 Jahren ist die Kneipenwir­tin in der Gastronomi­eszene in Biberach tätig. „Normalerwe­ise sagt man doch immer, dass die Kneipenbra­nche krisensich­er ist.“Seit 2020 weiß sie, dass das nicht stimmt: „Dass so etwas mal passiert, hätte ich niemals gedacht“, sagt Bine Kopp. „Als der erste Lockdown kam, war das für mich eine Horror-Nachricht.“Mittlerwei­le hat sie sich damit abgefunden und versucht, optimistis­ch in die Zukunft zu blicken.

Was in Anbetracht der aktuellen Lage nicht immer einfach ist: „Die Novemberhi­lfe kommt verspätet und das Kurzarbeit­er-Geld lässt auch auf sich warten“, sagt die Wirtin. „Mein letztes Geld habe ich im Oktober verdient, so langsam wird es also echt Zeit.“Auch die Umsätze im Sommer seien nicht überragend gewesen: „Wir durften zwar die Außenbestu­hlung vergrößern, aber dann gab es Ärger mit den Anwohnern.“Ihren Stammgäste­n ist sie aber sehr dankbar: „Die Solidaritä­t ist wirklich groß, auch unter den Gastronome­n.“Seit dem ersten Lockdown haben einige Biberacher Wirte sich zu einem Runden Tisch zusammengs­chlossen und tauschen sich regelmäßig aus: „Wir basteln gemeinsam

„Fritzza“ „Zum Fritz“ „Frau Bines Wohnzimmer“

an neuen Ideen und versuchen, auch weiter positiv zu denken“, sagt Bine Kopp. „Was mir ein bisschen hilft, ist der Gedanke, dass es der ganzen Welt so geht und wir nicht allein sind.“Auch gerade im Hinblick auf den Einzelhand­el: „Denen geht es wirklich noch schlechter als uns, da wollen wir uns solidarisc­h zeigen.“

Aus Sicht von Simon Kaiser, Inhaber des Restaurant­s in Mittelbibe­rach, müsste sich die Gastronomi­ebranche fast schon neu erfinden. „So langsam ist die Luft raus“, sagt der 37-jährige Koch. „Die ganze Branche wartete auf die finanziell­en Hilfen vom Staat, das schlägt aufs Gemüt und die Motivation.“Während er Ende des vergangene­n Jahres noch Speisen zum Mitnehmen angeboten hatte, plante er nun für Januar gemeinsam mit seiner Frau Sarah ein neues Projekt. „Wir wollen mit einem Projekt starten, das auch über die Krise hinaus Bestand hat“, sagt Simon Kaiser.

So soll es eine sogenannte „Nose to Tail“-Box geben, die deutschlan­dweit verschickt werden kann. Dabei spielt die Ganztierve­rarbeitung eine entscheide­nde Rolle. Das Tier, in diesem Fall das Kalb, wird für die Box quasi vom Kopf bis zum Fuß verarbeite­t. In der Box gibt es dann sechs bis sieben Gerichte für zwei bis drei Personen, die am Ende nur erwärmt werden müssen. „Das Ganze gibt es auch als vegetarisc­he Erdapfel-Box, in der sich verschiede­ne Kartoffelg­erichte befinden“, sagt Simon Kaiser. Man dürfe in der Krise auch die regionalen Erzeuger nicht vergessen: „Es ist schon immer unsere Philosophi­e gewesen, die Wertschöpf­ungskette nicht abreißen zu lassen“, so der Koch. „Die Landwirte leiden ebenfalls darunter, dass die Gastronomi­ebranche geschlosse­n ist.“Deshalb ist auch hier Unterstütz­ung gefragt.

Mit ihrer neuen Idee würden sich Sarah und Simon Kaiser gerne ein zweites Standbein aufbauen: „Die Krise nutzen wir nun dazu, einfach etwas Neues auszuprobi­eren.“

„Esszimmer“

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FOTO: ANDY BRÜSTL Sarah und Simon Kaiser, Inhaber des Restaurant­s „Esszimmer“, wollen „Nose to Tail“-Boxen deutschlan­dweit verschicke­n.
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FOTO: ALFRED WEISS FOTOGRAFIE Valentin Fritz und seine Frau Hannah Eyssel haben mitten in der Krise ein neues Restaurant eröffnet.

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