Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Die Virusmutationen sind angekommen
Öffnung von Schulen und Kitas verschoben – Labore sollen künftig alle Proben analysieren
STUTTGART - Nun steht es fest: „Kitas und Schulen bleiben bis zum 21. Februar geschlossen“, sie werden nicht wie angedacht am Montag öffnen. Das hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) per Video am Donnerstagabend verkündet. „Bis gestern Nachmittag sind wir noch davon ausgegangen, dass wir kommende Woche damit beginnen können, die Grundschulen und Kitas vorsichtig und schrittweise zu öffnen.“Corona-Infektionen in einer Kita in Freiburg hätten diese Pläne nun auf den Kopf gestellt. Lehrerverbände begrüßten die Entscheidung.
Am Dienstag hatte Kretschmann eine Öffnung von Kitas und Grundschulen für den 1. Februar in Aussicht gestellt. An den Grundschulen sollten je die Hälfte der Erst- und Zweitklässler im Wechsel zurück in die Klassenzimmer kommen dürfen, aber nicht müssen. Dafür hatte Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) zum Wohle der Kinder bereits vor Weihnachten plädiert – unabhängig vom Infektionsgeschehen, wie sie sagte. Das wollte Kretschmann so nicht mittragen.
Eine Kita in Freiburg hat die Öffnungspläne der Landesregierung dann am Mittwoch durchkreuzt. In der Kita Immergrün waren Infektionen mit einer mutierten Variante des Coronavirus nachgewiesen worden. Mutationen des Virus aus Großbritannien und Südafrika gelten als ansteckender. Die Zahl der Infizierten in Zusammenhang mit der Kita in Freiburg ist bis Donnerstag auf 18 gestiegen, wie das Landratsamt Breisgau-Hochschwarzwald erklärte.
Auf den Vorfall verwies auch Kretschmann. „Mittlerweile ist klar, dass es sich um das mutierte Virus aus Südafrika handelt“, so der Regierungschef. „Damit müssen wir feststellen: Die Mutanten sind nicht vor der Tür, sie sind leider schon da.“Bisher zeigten Untersuchungen positiver Tests, dass sich zwei bis drei Prozent der Neuinfizierten im Land mit einer der mutierten Varianten angesteckt hätten, so Kretschmann. „Das klingt wenig, kann aber schnell ansteigen.“Um die Ausbreitung der Virusmutationen genauer verfolgen zu können, sollen künftig alle positiven Tests auf eine mögliche Mutation mittels der sogenannten Sequenzierung untersucht werden.
Dem Landesgesundheitsamt seien seit Weihnachten 115 Fälle aus 25 Stadt- und Landkreisen übermittelt worden, erklärt eine Sprecherin. Jede dritte Infektion stehe in Verbindung zu einer Reise. Zwei Drittel der Fälle seien durch Stichprobenuntersuchung entdeckt worden, die einige Labore im Land diese Woche im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums durchgeführt haben. Von den 115 Infizierten trugen 52 die Variante aus Großbritannien in sich und 19 die südafrikanische Mutation. Die restlichen Proben müssten für eine Zuordnung noch genauer untersucht werden. Laut den zuständigen Landratsämtern wurden allein acht Infektionen mit einer der Mutationen im Kreis Ravensburg und zwei im Kreis Biberach nachgewiesen.
Die Ereignisse im Südwesten haben eine Strahlkraft über die Landesgrenzen hinaus. Das Kultusministerium im benachbarten RheinlandPfalz etwa hat seine Öffnungspläne mit Verweis auf den Freiburger Fall gestrichen. Eigentlich sollten dort ab Montag alle Grundschulkinder wieder zur Schule gehen dürfen.
In Baden-Württemberg ist derweil ein Streit zwischen Eisenmann und Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) über das weitere Vorgehen entbrannt. In den Worten von FDPFraktionschef Hans-Ulrich Rülke: „Minister Lucha und Ministerin Eisenmann streiten wie die Kesselflicker und kommen ihrer Aufgabe nicht mehr nach.“Eisenmann, die auch Spitzenkandidatin der CDU für die Landtagswahl Mitte März ist, fordert mehr Schnelltests an Schulen und in Kitas, um doch eine baldige Öffnungsperspektive zu bieten. Mit der inzwischen bundesweit bekannten Ärztin Lisa Federle hat Eisenmann ein Konzept für mehr Schnelltests erstellt. Federle hat dank sehr vieler Tests in Tübingen die Zahl der Infektionen dort maßgeblich gesenkt. Kommunen aus der gesamten Republik haben sich ihre Arbeitsweise zum Vorbild genommen.
Nach der Vorstellung von Federle und Eisenmann sollen sich Erzieherinnen und Lehrkräfte künftig dreimal pro Woche per Schnelltest auf das Coronavirus testen lassen können. Die Teststrategie des Landes werde entsprechend geändert, stellte nun auch Kretschmann in Aussicht. „Wir werden die Schnelltests an Schulen und Kitas forcieren und die Teststrategie so erweitern, dass auch Erzieherinnen, Lehrerinnen, Polizisten und andere intensiver getestet werden.“
In einem Brief forderte Lucha derweil von Eisenmann, die Zahl der Kinder in der Notbetreuung an Schulen und Kitas zu reduzieren. Bislang können Eltern ihre Kinder in die Notbetreuung bringen, wenn sie erklären, dass sie auf diese angewiesen seien. Eine Einschränkung etwa wie im Frühjahr 2020 auf Eltern, die in systemrelevanten Berufen arbeiten, gibt es nicht. Kita-Träger berichten daher davon, dass in manchen Einrichtungen die Hälfte oder sogar bis zu drei Viertel der Kinder in der Notbetreuung sind.
Einschränkungen plant das Land nicht. Doch Kretschmann plädierte in Sachen Notbetreuung an die Eltern: „Bitte nehmen Sie sie nur wahr, wenn Sie sie unbedingt brauchen.“Er kündigte zudem an, dass das Kultusministerium den Lehrkräften und dem Kita-Personal für die Zeit der Notbetreuung besonders gut schützende FFP2- oder vergleichbare Masken zukommen lassen werde.
Bis zum 15. Februar will der Ministerpräsident erklären, wie es ab 21. Februar weitergehen soll. „Wir können Kitas und Schulen ja nicht noch monatelang schließen“, sagte er und rief die Bürger auf, sich bis dahin weiter an die Corona-Schutzmaßnahmen zu halten. Erst wenn die Zahl der Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner unter 50 innerhalb einer Woche liege, seien Lockerungen, etwa bei der nächtlichen Ausgangssperre, denkbar. Aktuell liegt der Wert bei 75,6. „Das ist der Lohn Ihrer Bemühungen“, sagte Kretschmann an die Bürger gerichtet.