Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Die eigenen vier Wände immer mit dabei
Corona beschert Wohnmobilbranche Rekordumsatz – Volle Auftragsbücher auch bei Herstellern im Südwesten
RAVENSBURG - Ein integrierter Grill oder höhenverstellbare Betten, sogar aufs Kaminfeuer muss man im Wohnmobil nicht verzichten – auch wenn es aus Sicherheitsgründen nur ein abgefilmtes Kaminfeuer ist, das auf dem Fernsehbildschirm flackert und knistert: Ein heimeliges Zuhause auf vier Rädern wird immer gefragter. Mehr denn je ist das in der Corona-Krise so. In den eigenen Wänden zu verreisen – mit maximalem Komfort, aber Abstand – schien für viele Deutsche im vergangenen Jahr die perfekte Reisemöglichkeit.
Während die Hotelbetten und Flugzeugsitze 2020 leer blieben, erfreute sich die Caravaning-Branche eines Umsatzrekordes. Mit dem Verkauf von Wohnmobilen, Wohnwagen und Zubehör nahmen die Unternehmen der Branche rund 12,5 Milliarden Euro ein. Das sind über sechs Prozent mehr als im Vorjahr, wie der Caravaning Industrie Verband (CIVD) am Donnerstag berichtete. 5,6 Milliarden Euro und damit der Löwenanteil entfielen auf den Absatz von Wohnmobilen. Mit Wohnwagen wurden 900 Millionen Euro umgesetzt. Mit gebrauchten Fahrzeugen fuhr der Caravaning Handel einen Umsatz von 4,9 Milliarden ein. Das Zubehörgeschäft brachte 1,1 Milliarden Euro.
„Caravaning-Urlaub ist in Pandemiezeiten besonders sicher“, sagte der Präsident des CIVD, Hermann Pfaff, zur Erklärung des Booms. „Man verreist individuell und nur mit Personen des eigenen Haushalts und ist durch eigene Wohn-, Schlaf-, Koch- und Sanitärmöglichkeiten weitestgehend autark.“Deshalb hätten sich viele Kunden erstmals für den Kauf oder die Miete eines Reisemobils interessiert.
Insgesamt wurden rund 107 000 Wohnmobile und Wohnwagen im vergangenen Jahr zugelassen – satte 33 Prozent mehr als im Vorjahr. Besonders gefragt waren dabei gebrauchte Fahrzeuge. „2020 wechselten rund 94 500 Wohnmobile den Besitzer, 18,2 Prozent mehr als im Vorjahr“, sagte Pfaff. An fehlenden Käufern mangelte es der Branche also nicht. „Die starke Nachfrage überstieg teilweise das Angebot.“Die Auftragsbücher seien voll.
Doch bei der Produktion haperte es. Denn das Coronavirus ließ im vergangenen Frühjahr die Lieferketten stocken und zur Pandemiebekämpfung mussten einige Werke zeitweise schließen. Der Produktionsrückstand habe „trotz Überstunden und Mehrarbeit nicht aufgeholt werden können“, sagte Pfaff. Dies führte letztlich dazu, dass die Zahl hierzulande gefertigter Wohnmobile und -wagen um 6,9 Prozent sank. Trotzdem liefen im vergangenen Jahr aber immer noch rund 116 000 Fabrikate von den Bändern deutscher Hersteller.
Dass besonders die Deutschen in der Krise gerne Wohnmobil fuhren, zeigt sich im europäischen Vergleich. Deutschland war hier das Land, in dem mit Abstand sowohl am meisten Wohnmobile als auch Wohnwagen zugelassen wurden.
Davon profitierten letztlich auch die Hersteller in Baden-Württemberg. „Die Verluste nach dem Lockdown im Frühjahr konnten wir mehr als kompensieren“, sagt eine Sprecherin der Erwin Hymer Group (EHG) auf Nachfrage. Zur Hymer Group mit Hauptsitz in Bad Waldsee im Landkreis Ravensburg gehören neben der Ursprungsmarke Hymer unter anderem auch die Marken Bürstner und Dethleffs. Im Geschäftsjahr 2019/20, das im Juli endete, machte die Gruppe 2,2 Milliarden Euro Umsatz. Dies waren fünf Prozent weniger im Vergleich zum vorherigen Geschäftsjahr – hier schlug vor allem der Lockdown zu Buche. Doch als der Handel wieder geöffnet hatte, strömten die Aufträge bei der EHG nur so ein. Der Auftragsbestand lag Ende Juli 2020 schon bei 1,4 Milliarden Euro, ein Plus von 79 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Zur Entwicklung in der ersten Hälfte des neuen Geschäftsjahres 2020/21 macht das Unternehmen bisher keine Angaben. Aber: Volle Auftragsbücher und eine auf Monate ausgelastete Produktion hätten dazu geführt, dass „wir allein im ersten Quartal des Geschäftsjahres 2021 nahezu 400 Mitarbeiter eingestellt haben“, sagt die Sprecherin.
Ähnlich sieht es beim Konkurrenten Carthago in Aulendorf im Landkreis
Ravensburg aus. „Unsere Marken haben überdurchschnittlich performt in der Premiumklasse“, sagt Bernd Wuschack, Vertriebschef des Reisemobilherstellers, der sich vor allem auf Luxusfahrzeuge spezialisiert hat. Im Wirtschaftsjahr 2019/20 erzielte das Unternehmen einen Umsatz von rund 340 Millionen Euro und konnte damit das Vorjahresniveau halten. 5000 Fahrzeuge der Marken Carthago und Malibu habe das Unternehmen verkauft.
Gleichzeitig sei es aber auch bei den Zulieferpartnern von Carthago zu Engpässen gekommen. „Je nach Fahrzeugelement kam es daher zu etwas längeren Lieferzeiten von bis zu sechs Monaten und mehr“, sagt Wuschack. Carthago blicke zuversichtlich auf das Jahr 2021 und erwarte, „dass die Nachfrage nach unseren Fahrzeugen auch in diesem Jahr groß bleiben wird“.
Von diesem Trend geht auch CIVD-Präsident Hermann Pfaff aus. Der Verband rechnet mit steigenden
Zahlen im Jahr 2021. Den Umsatz der gesamten Branche für das Jahr 2021 prognostiziert der Verband auf 13,6 Milliarden Euro, das wäre ein erneutes Plus von 9,3 Prozent.
Denn auch wenn die Pandemie abebbe, profitiere die Branche weiterhin vom demografischen Wandel. „Die solvente und unternehmungsfreudige Zielgruppe 50 plus wächst kontinuierlich“, sagte Pfaff. Zusätzlich lege das Reisemobil auch bei den Jüngeren immer mehr das „spießige Image“ab und werde „cool“. Preiswert ist der Kauf eines Reisemobils oder Wohnwagens dabei aber weder für die eine noch die andere Zielgruppe. Mitte vergangenen Jahres hatte der CIVD den durchschnittlichen Neupreis eines Heims auf vier Rädern mit mehr als 70 000 Euro beziffert.
Die Käufer scheint das bisher nicht abzuhalten – zu groß ist die Lust auf das eigene komfortable Zuhause auf vier Rädern, mit dem man in Pandemiezeiten auch gut Abstand halten kann.