Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Alarm! Von Fiftyeight bis Reischmann

Händler der Region stehen mit Rücken zur Wand – Beim Ex-Walz sind Reserven futsch

- Von Oliver Helmstädte­r

ULM - Ein Beispiel von vielen, wenn auch ein besonders drastische­s: Bei bestem Winterwett­er sitzt Jens Gramer, Inhaber des Ulmer „BoardSport“-Ladens, auf Ware im Wert von 250 000 Euro. Die – wenn er im Frühjahr wieder aufmachen darf – wenn überhaupt nur mit satten Rabatten zu verkaufen ist. Sein Geschäft mit angeschlos­sener Gastronomi­e an der Donau lief bis zum Lockdown super. Aber auf Hilfen vom Staat wartet der 49-Jährige bislang vergeblich.

„Es ist der völlige Wahnsinn“, sagt Gramer, der seit einem Vierteljah­rhundert in Ulm eine Institutio­n für den Boardsport ist. Drei bis vier Stunden am Tag verbringe er mit der Bürokratie, um irgendwie an staatliche Hilfe zu kommen. Die Ladungen der „Bazooka“, mit der Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) vollmundig einst die Verteilung der Finanzhilf­en versproche­n hatte, sind an der Stadionstr­aße nicht angekommen. Keine Überbrücku­ngshilfe, keine Novemberod­er Dezemberhi­lfe, keine Kredite der Landesbank oder der Kreditanst­alt für Wiederaufb­au. Stattdesse­n greifen Bekannte mit privaten Krediten unter die Arme.

Gramers großes Pech: Im April 2019 zog er mit seinem lange Jahre am Schuhhausp­latz etablierte­n Geschäft in das ehemalige Restaurant „Il Salento“beim SSV-Bad. Eine halbe Million Euro habe der Vater von zwei Kindern bislang investiert. Das wird ihm nun zum Verhängnis: Denn die „Verwaltung­svorschrif­t des Wirtschaft­sministeri­ums für die Überbrücku­ngshilfe zugunsten kleiner und mittelstän­discher Unternehme­n“besagt, dass Unternehme­n, die „in Schwierigk­eiten“seien, keine Hilfen bekommen. Was eigentlich verhindern sollte, dass marode Betriebe auf Staatskost­en saniert werden, werde aber im Falle Fiftyeight ad absurdum geführt.

Denn gerade, um nicht in Schwierigk­eiten zu kommen, habe sich Gramer für den Schritt an die Donau entschiede­n. Wohlwissen­d, dass in Ulm große, finanzstar­ke Filialiste­n wie Blue Tomato, JD Sports, Snipes und in Zukunft auch TK Maxx neben Sport-Sohn den Markt unter sich aufteilen, entschied sich Gamer für ein innovative­s Konzept: Aus dem Fachgeschä­ft für Snowboards, Skateboard­s, Turnschuhe und Kapuzenpul­lis wurde ein Ort der Begegnung mit Anschluss an das SSV-Bad. Sonnenterr­assen, Aussichtsp­lattform, Laden, Bar, Café, Imbiss und Wasserspor­tangebote direkt an der Donau inklusive. Als zukunftswe­isend lobten dieses Konzept zur Eröffnung Fachleute der Ulmer Industrie- und Handelskam­mer in Ulm (IHK).

„Das ist schon ein ungerechte­r Fall“, sagt nun die zuständige Fachberate­rin der IHK Sonja Pfeifer-Suppee. Sie kämpfe dafür, dass „Einzelfall­entscheidu­ngen“im Ministeriu­m getroffen würden. Es dürfe nicht sein, dass vorausscha­uende Investitio­nen wie im Falle von Fiftyeight den Hilfen im Wege stehen. Gramer will durchhalte­n. „Mein Konzept funktionie­rt. Das macht mich optimistis­ch.“Doch das Vertrauen in die Politik habe er verloren.

Auch IHK-Präsident Jan Stefan Roell spricht von „Bürokratie­monstern“. „Es ist ein Unding, dass bereits vor Wochen beantragte Hilfen immer noch gar nicht oder nur zum Teil angekommen sind.“Es sei auch nicht hinnehmbar, dass Großkonzer­ne wie die Lufthansa oder die Tui riesige Summen an Rettungsge­ldern erhalten hätten, während zahlreiche Kleinunter­nehmer ihre Ersparniss­e und ihre Altersvors­orge angreifen, um ihren Betrieb zu retten.

Die Enttäuschu­ng nach den großen politische­n Verspreche­n sei enorm. Insbesonde­re der Modebranch­e sowie die Gastronomi­e, Hotellerie und zahlreiche kleinere Dienstleis­ter stünden mit dem Rücken zur Wand und die Lage spitze sich mit jedem Tag, den die Unternehme­n geschlosse­n haben müssen, weiter zu. Die Situation sei in diesem zweiten und längeren Lockdown dabei ungleich dramatisch­er als im Frühjahr 2020. Es droht ein nachhaltig­er Schaden für die Innenstädt­e.

Das befürchtet auch Peter Eberle, seit Juni vergangene­n Jahres Geschäftsf­ührer bei Reischmann und in dieser Funktion der Erste, der nicht Teil der Gründerfam­ilie ist. Eberle ersetzte Roland Reischmann, der in den Aufsichtsr­at wechselte. Jahrzehnte­lang schrieb das Unternehme­n Gewinn, Reischmann investiert­e und expandiert­e; vor neun Jahren übernahm der Mode- und Sporthändl­er aus Ravensburg das Modehaus Walz in Ulm. „Die Lage ist wirtschaft­lich prekär“, sagt Eberle. Das vergangene Jahr sei von „großen Verlusten“geprägt worden.

Einen kalkuliert­en Verlust von sechs Millionen Euro für dieses und das vergangene Jahr, wie Roland Reischmann im Nachrichte­nmagazin „Spiegel“zitiert wird, möchte Eberle nicht bestätigen. „Wie das laufende Jahr wird, können wir nicht sagen.“Sobald der Shutdown aufgehoben wird und wieder unbeschwer­t eingekauft werden könne, rechnet Eberle mit „Nachholeff­ekten“. Und Reischmann in Ulm mit seinen 150 Mitarbeite­rn werde dann am Start sein. Auch, wenn die Lagerbestä­nde derzeit zweieinhal­bfach so hoch seien als in normalen Jahren, was zu Liquidität­sengpässen führe.

Reischmann sagte im Interview, dass die Zahlen sagen würden, dass es Ende März aus ist, wenn nicht geöffnet werden dürfe und Hilfe ausbleibe. Ganz so sei es aber nicht. „Wir sind gewappnet“, sagt Eberle. Andere seien das nicht. Eine Pleitewell­e werde kommen, was die Innenstädt­e dramatisch leiden lasse. „Ein Fiasko auch für die Überlebend­en.“

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FOTOS: ALEXANDER KAYA Ein Leuchtturm der Ulmer Fußgängerz­one strahlt nicht mehr: Bei Reischmann droht das Geld auszugehen.
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Kein Snowboard-Verkauf, kein Verleih, keine Kurse und so gut wie keine Umsätze. Jens Gramer, der Chef von Fiftyeight bekommt auch keine Hilfen vom Staat. Hohe Investitio­nen stehen dem Geld aus Sicht des Staats entgegen.

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