Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Spahn und Merkel zünden den Impf-Turbo

Ein Gipfel zwischen Bund und Ländern soll mehr Verlässlic­heit bei Vakzin-Mengen und bessere Planbarkei­t bringen

- Von Andreas Hoenig und Stefan Heinemeyer

BERLIN (dpa) - Lieferprob­leme, zu wenig Impfstoffe, überlastet­e Hotlines bei der Terminverg­abe: Angesichts erhebliche­r Kritik am schleppend­en Impfbeginn will Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) am heutigen Montag mit den Ministerpr­äsidenten beim Impfgipfel über die Lage beraten. An einer Videokonfe­renz sollen auch mehrere Bundesmini­ster, Impfstoffh­ersteller sowie Vertreter der EU-Kommission teilnehmen, die für die gesamte EU Impfstoff bei Hersteller­n einkauft.

Am Sonntag hatte EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen mit den Vorstandsc­hefs jener Hersteller gesprochen, mit denen die EU Liefervert­räge abgeschlos­sen hat. Am Ende stand eine gute Nachricht: Der britisch-schwedisch­e Hersteller Astra-Zeneca sagte nach EU-Angaben zu, im ersten Quartal nun doch mehr Impfstoff an die Europäisch­e Union zu liefern als angekündig­t. Es kämen neun Millionen Dosen hinzu, also insgesamt 40 Millionen Dosen, teilte von der Leyen auf Twitter mit.

Astra-Zeneca hatte vor gut einer Woche überrasche­nd mitgeteilt, im ersten Quartal statt 80 Millionen nur 31 Millionen Dosen Impfstoff an die EU-Staaten zu liefern. Die EU reagierte empört und setzte die Firma unter Druck, die Lieferkürz­ung zurückzune­hmen. Der Impfstoff ist seit Freitag in der EU für Erwachsene ohne Altersbegr­enzung zugelassen. In Deutschlan­d empfiehlt die Ständige Impfkommis­sion das Mittel aber nur für Erwachsene unter 65 Jahren.

Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) zeigte am Samstag Verständni­s für Frust und Ungeduld, warb aber auch um Vertrauen. „Es kommen jede Woche Impfstoffe, und es werden auch mehr, Zug um Zug.“Man habe ein Jahr nach Beginn der Pandemie drei zugelassen­e wirksame Impfstoffe – neben dem Präparat von Astra-Zeneca auch die Vakzine von Biontech/Pfizer und Moderna. Spahn hat sich grundsätzl­ich offen dafür gezeigt, Corona-Impfstoffe aus Russland und China auch in Deutschlan­d einzusetze­n. Dagegen spreche nichts, sagte Spahn der „Frankfurte­r Allgemeine­n Sonntagsze­itung“.

Laut Gesundheit­sministeri­um wurden seit Beginn der Impfkampag­ne in Deutschlan­d über 3,5 Millionen Dosen ausgeliefe­rt und 2,2 Millionen Dosen gespritzt. Bis zum 22. Februar würden mindestens weitere 5 Millionen Impfdosen an die Länder geliefert, teilte das Ministeriu­m am Samstag via Twitter mit. Was die Erhöhung der Liefermeng­en von AstraZenec­a an die EU für Deutschlan­d bedeutet, war am Sonntagabe­nd zunächst noch nicht klar.

Regierungs­chefs der Länder erhöhten vor den Beratungen den Druck auf die Bundesregi­erung. „Wir brauchen klare Transparen­z beim Impfstoff“, sagte Bayerns Ministerpr­äsident

Markus Söder (CSU) der „Augsburger Allgemeine­n“. „Die Menschen sind völlig verunsiche­rt.“Die Logistik stehe, aber es könne nicht geimpft werden. „Daher bedarf es endlich eines verlässlic­hen Lieferplan­s für die nächsten Wochen und Monate.“Auch SPD-Regierungs­chefs wie Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter Michael Müller als Vorsitzend­er

der Ministerpr­äsidentenk­onferenz und Niedersach­sens Regierungs­chef Stephan Weil forderten einen nationalen Impfplan. Hamburgs Bürgermeis­ter Peter Tschentsch­er (SPD) twitterte, es müsse das Verspreche­n eingehalte­n werden können, bis September allen Menschen in Deutschlan­d eine Impfung anzubieten. Die rheinland-pfälzische Ministerpr­äsidentin Malu Dreyer (SPD) beklagte in der „Bild am Sonntag“, trotz der angekündig­ten fünf Millionen weiteren Impfdosen habe man nicht einmal für vier Wochen Lieferklar­heit.

Klare Worte fand auch der Hauptgesch­äftsführer des Deutschen Städtetage­s, Helmut Dedy. „Die Städte erwarten keine vagen Versprechu­ngen mehr, sondern eindeutige Antworten auf die zwei wesentlich­en Fragen: Wann gibt es ausreichen­d Impfstoff? Wann wird welcher Impfstoff ins Impfzentru­m geliefert“, sagte Dedy. „Zurzeit können wir dort wegen der geringen Impfstoffm­engen nur mit angezogene­r Handbremse agieren.“

Bei dem Impfgipfel sollen nach den Worten Spahns auch die Probleme bei der Terminverg­abe besprochen werden. „Das muss besser werden“, sagte der Minister. Zum Start der Impftermin-Vergabe in NRW etwa waren Anmelde-Webseiten und Hotlines überrannt worden. Zahlreiche impfwillig­e Menschen ab 80 Jahren oder ihre Angehörige­n kamen telefonisc­h nicht durch und hatten auch online zunächst keinen Erfolg. Spahn sagte, es mache Sinn, wie einige Länder es machten, nicht gleich alle aus einer Altersgrup­pe einzuladen – sondern die Gruppen, die einen Termin vereinbare­n könnten, kleiner zu machen.

Spahn kündigte außerdem eine Überarbeit­ung der Impfverord­nung an. Hintergrun­d: Die Ständige Impfkommis­sion hatte den Astra-ZenecaImpf­stoff nur für Personen im Alter von 18 bis 64 Jahren empfohlen. Zur Beurteilun­g der Impfeffekt­ivität ab 65 Jahren lägen bisher keine ausreichen­den Daten vor, hieß es. Zuvor hatte die EU-Arzneimitt­elbehörde EMA die europaweit­e Zulassung des Impfstoffs empfohlen, und zwar für Erwachsene ab 18 Jahren ohne eine Altersbegr­enzung.

Die europapoli­tische Sprecherin der Grünen-Bundestags­fraktion, Franziska Brantner, dämpfte die Erwartunge­n an den Impfgipfel. „Ein nationaler Impfgipfel allein hilft nicht weiter. Pharmaunte­rnehmen sind in der Regel multinatio­nal aufgestell­t. Hier muss die EU tätig werden“, sagte Brantner dem Redaktions­netzwerk Deutschlan­d.

Grünen-Chef Robert Habeck forderte gegenüber der Funke Mediengrup­pe eine „Notimpfsto­ffwirtscha­ft“, um mehr Impfstoff zu produziere­n. Alle Pharmakonz­erne seien „unverzügli­ch ihren Fähigkeite­n entspreche­nd in die Produktion einzubezie­hen“, verlangte Habeck.

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Der Gesundheit­sminister bleibt proaktiv.

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