Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Spahn und Merkel zünden den Impf-Turbo
Ein Gipfel zwischen Bund und Ländern soll mehr Verlässlicheit bei Vakzin-Mengen und bessere Planbarkeit bringen
BERLIN (dpa) - Lieferprobleme, zu wenig Impfstoffe, überlastete Hotlines bei der Terminvergabe: Angesichts erheblicher Kritik am schleppenden Impfbeginn will Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am heutigen Montag mit den Ministerpräsidenten beim Impfgipfel über die Lage beraten. An einer Videokonferenz sollen auch mehrere Bundesminister, Impfstoffhersteller sowie Vertreter der EU-Kommission teilnehmen, die für die gesamte EU Impfstoff bei Herstellern einkauft.
Am Sonntag hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit den Vorstandschefs jener Hersteller gesprochen, mit denen die EU Lieferverträge abgeschlossen hat. Am Ende stand eine gute Nachricht: Der britisch-schwedische Hersteller Astra-Zeneca sagte nach EU-Angaben zu, im ersten Quartal nun doch mehr Impfstoff an die Europäische Union zu liefern als angekündigt. Es kämen neun Millionen Dosen hinzu, also insgesamt 40 Millionen Dosen, teilte von der Leyen auf Twitter mit.
Astra-Zeneca hatte vor gut einer Woche überraschend mitgeteilt, im ersten Quartal statt 80 Millionen nur 31 Millionen Dosen Impfstoff an die EU-Staaten zu liefern. Die EU reagierte empört und setzte die Firma unter Druck, die Lieferkürzung zurückzunehmen. Der Impfstoff ist seit Freitag in der EU für Erwachsene ohne Altersbegrenzung zugelassen. In Deutschland empfiehlt die Ständige Impfkommission das Mittel aber nur für Erwachsene unter 65 Jahren.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zeigte am Samstag Verständnis für Frust und Ungeduld, warb aber auch um Vertrauen. „Es kommen jede Woche Impfstoffe, und es werden auch mehr, Zug um Zug.“Man habe ein Jahr nach Beginn der Pandemie drei zugelassene wirksame Impfstoffe – neben dem Präparat von Astra-Zeneca auch die Vakzine von Biontech/Pfizer und Moderna. Spahn hat sich grundsätzlich offen dafür gezeigt, Corona-Impfstoffe aus Russland und China auch in Deutschland einzusetzen. Dagegen spreche nichts, sagte Spahn der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“.
Laut Gesundheitsministerium wurden seit Beginn der Impfkampagne in Deutschland über 3,5 Millionen Dosen ausgeliefert und 2,2 Millionen Dosen gespritzt. Bis zum 22. Februar würden mindestens weitere 5 Millionen Impfdosen an die Länder geliefert, teilte das Ministerium am Samstag via Twitter mit. Was die Erhöhung der Liefermengen von AstraZeneca an die EU für Deutschland bedeutet, war am Sonntagabend zunächst noch nicht klar.
Regierungschefs der Länder erhöhten vor den Beratungen den Druck auf die Bundesregierung. „Wir brauchen klare Transparenz beim Impfstoff“, sagte Bayerns Ministerpräsident
Markus Söder (CSU) der „Augsburger Allgemeinen“. „Die Menschen sind völlig verunsichert.“Die Logistik stehe, aber es könne nicht geimpft werden. „Daher bedarf es endlich eines verlässlichen Lieferplans für die nächsten Wochen und Monate.“Auch SPD-Regierungschefs wie Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller als Vorsitzender
der Ministerpräsidentenkonferenz und Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil forderten einen nationalen Impfplan. Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) twitterte, es müsse das Versprechen eingehalten werden können, bis September allen Menschen in Deutschland eine Impfung anzubieten. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) beklagte in der „Bild am Sonntag“, trotz der angekündigten fünf Millionen weiteren Impfdosen habe man nicht einmal für vier Wochen Lieferklarheit.
Klare Worte fand auch der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Helmut Dedy. „Die Städte erwarten keine vagen Versprechungen mehr, sondern eindeutige Antworten auf die zwei wesentlichen Fragen: Wann gibt es ausreichend Impfstoff? Wann wird welcher Impfstoff ins Impfzentrum geliefert“, sagte Dedy. „Zurzeit können wir dort wegen der geringen Impfstoffmengen nur mit angezogener Handbremse agieren.“
Bei dem Impfgipfel sollen nach den Worten Spahns auch die Probleme bei der Terminvergabe besprochen werden. „Das muss besser werden“, sagte der Minister. Zum Start der Impftermin-Vergabe in NRW etwa waren Anmelde-Webseiten und Hotlines überrannt worden. Zahlreiche impfwillige Menschen ab 80 Jahren oder ihre Angehörigen kamen telefonisch nicht durch und hatten auch online zunächst keinen Erfolg. Spahn sagte, es mache Sinn, wie einige Länder es machten, nicht gleich alle aus einer Altersgruppe einzuladen – sondern die Gruppen, die einen Termin vereinbaren könnten, kleiner zu machen.
Spahn kündigte außerdem eine Überarbeitung der Impfverordnung an. Hintergrund: Die Ständige Impfkommission hatte den Astra-ZenecaImpfstoff nur für Personen im Alter von 18 bis 64 Jahren empfohlen. Zur Beurteilung der Impfeffektivität ab 65 Jahren lägen bisher keine ausreichenden Daten vor, hieß es. Zuvor hatte die EU-Arzneimittelbehörde EMA die europaweite Zulassung des Impfstoffs empfohlen, und zwar für Erwachsene ab 18 Jahren ohne eine Altersbegrenzung.
Die europapolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Franziska Brantner, dämpfte die Erwartungen an den Impfgipfel. „Ein nationaler Impfgipfel allein hilft nicht weiter. Pharmaunternehmen sind in der Regel multinational aufgestellt. Hier muss die EU tätig werden“, sagte Brantner dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Grünen-Chef Robert Habeck forderte gegenüber der Funke Mediengruppe eine „Notimpfstoffwirtschaft“, um mehr Impfstoff zu produzieren. Alle Pharmakonzerne seien „unverzüglich ihren Fähigkeiten entsprechend in die Produktion einzubeziehen“, verlangte Habeck.