Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Wildwuchs? Fehlanzeige
Problem Schwarzarbeit – Friseurverbände fordern Perspektiven für die zeitnahe Wiedereröffnung ihrer Salons
RAVENSBURG - Deutschlands Friseure drängen auf eine Wiedereröffnung ihrer Geschäfte. Bestärkt sehen sie sich durch eine Äußerung von Kanzlerin Angela Merkel. Kitas und Schulen sollen bei den Lockerungen zuerst berücksichtigt werden, „danach wird es nicht ganz einfach. Ich würde mal sagen aus praktischen Gründen müsste man dann bald die Friseure rannehmen“, sagte Merkel jüngst bei einer Bundespressekonferenz.
In seinen Forderungen ermutigt sieht sich das Friseurhandwerk auch durch die zuletzt deutlich gesunkenen Coronavirus-Infektionszahlen in Deutschland. So plädiert beispielsweise der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Friseurhandwerks, Harald Esser, für „klare Perspektiven für die Wiedereröffnung seiner Betriebe“. Als Voraussetzung nannte Esser, dass die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz unter 50 liege und sich die Reproduktionszahl ebenfalls stabil unter der kritischen Marke von 1,0 bewege.
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hatte unlängst eine Lockerung der Beschränkungen für Anfang Februar ins Spiel gebracht, diese jedoch nach dem Auftreten von Infektionen mit einer Virusmutation in einer Kita in Freiburg wieder revidiert: „Wir müssen uns deshalb noch strikter an die bestehenden Maßnahmen halten, damit die Infektionszahlen weiter sinken“, sagte Kretschmann. Jede Diskussion um bevorstehende Lockerungen sei damit erst einmal gegenstandslos geworden.
Keine guten Aussichten für das Friseurhandwerk, steht ihm doch nach eigenem Bekunden das Wasser bis zum Hals. „Es sind alle Rücklagen aufgebraucht, teilweise auch die Altersvorsorge – es geht um Existenzen“, sagte der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, Hans Peter Wollseifer, am Dienstag in Köln über die Situation in vielen Betrieben. Die Branche sende einen „Notruf“. Mit Blick auf die Schließungen sagte Wollseifer: „Jeder Tag verschlimmert die Lage noch weiter.“Es dauere zu lang, bis Corona-Hilfen ankommen, und dann kompensierten sie nur einen viel zu kleinen Teil der Umsatzeinbußen. Eine Perspektive sei nötig, wann wieder aufgemacht werden könne.
In Deutschland gibt es mehr als 80 000 Friseurbetriebe mit rund 240 000 Mitarbeitern. Seit Mitte Dezember sind die Salons wegen der Pandemie geschlossen. Bei den staatlichen Fördermaßnahmen 2020 kam die Branche schlecht weg. Im Frühjahr bekamen sie zwar Soforthilfen, mussten diese Gelder später vielfach aber wieder zurückzahlen – weil es in einem längeren Zeitraum insgesamt doch nicht so schlecht lief wie befürchtet. Anspruch auf die relativ üppigen Dezemberhilfen haben die Friseure zumeist nicht, weil sie den halben Dezember noch arbeiten konnten. Das neue Förderprogramm, die „Überbrückungshilfe III“, fällt relativ spärlich aus, da es sich an Fixkosten – etwa Miete – orientiert und nicht am Vorjahresumsatz, wie dies bei den vorigen November- beziehungsweise Dezemberhilfen der Fall war. Esser wies darauf hin, dass die Friseurbetriebe 2020 im Schnitt 30 Prozent weniger Umsatz hatten. Die Rendite liege in der Regel nicht höher als zehn Prozent vom Umsatz – entsprechend angespannt sei die finanzielle Lage. Seit sechs Wochen seien die Salons zu, aber noch immer sei kein Geld geflossen, monierte Esser. „Es besteht die Gefahr, dass viele Unternehmen die Pandemie nicht überstehen.“
Immer wieder kommen Friseure deshalb in die Bredouille, wenn Kunden anrufen und um einen „privaten“Besuch samt Haareschneiden bitten. „Auf gar keinen Fall“dürfe man sich darauf einlassen, sagte Mike Engels von der Friseurinnung Köln. Aber: „Viele machen das aus Verzweiflung – wenn du Umsatz brauchst, greifst du zum letzten Strohhalm.“
Nicht nur Engels sieht die Gefahr vom Abwandern vieler Friseure in die Schwarzarbeit. Bis zu mehrere Tausend Euro Strafe können denen drohen, die sich erwischen lassen.
Ein Risiko, das eine selbstständige Friseurin aus Mitteldeutschland, die anonym bleiben möchte, eingeht. „Ich muss halt in die Illegalität – etwas mit schlechtem Gewissen machen, um zu überleben“, sagt sie. Weil ihr Salon geschlossen sei, habe sie keine Einnahmen mehr, die Kosten wie Miete, Heizung und Krankenversicherung liefen aber weiter. Während ihre Teilzeitangestellte Kurzarbeitergeld erhalte, habe sie noch keine Hilfen vom Staat bekommen, klagt sie. Ohne die Schwarzarbeit käme sie nicht über die Runden. „Im Endeffekt ist es eine Schweinerei, dass ich für meinen Lebensunterhalt nicht sorgen darf, die Kosten weiterlaufen und den Staat das nicht interessiert.“Mehrmals die Woche besuche sie deshalb ihre Kunden zu Hause, um Haare zu färben oder zu schneiden. Viele davon kenne sie seit Jahrzehnten. „Ich komme als Freundin zu denen“, sagt sie. Sie verlange nichts, freue sich aber, wenn ihre Kunden ihr dafür nachträglich etwas Geld zum Geburtstag schenkten.
Hinweise, dass in Deutschland weiter frisiert werde, gebe es zuhauf, meint Jörg Müller, Hauptgeschäftsführer vom Zentralverband des Friseurhandwerks. „Da muss man sich nur auf der Straße umschauen.“Angesichts
der Corona-Pandemie findet er das doppelt problematisch, denn Abstandsregeln und Hygienevorschriften würden dabei nicht eingehalten. „Sichere Friseurdienstleistungen sind nur in den Profi-Salons möglich.“
Der Verband fordert deshalb, diese ab dem 15. Februar wieder öffnen zu lassen. Überbrückungshilfen müssten schnell ausgezahlt werden und auch die Inhaber, die bisher leer ausgingen, müssten staatliche Unterstützung bekommen. Mit der Aktion „Licht an!“haben die Friseure am Sonntag bundesweit auf ihre Situation aufmerksam gemacht und für 24 Stunden das Licht in den leeren Salons brennen lassen.
Einen anderen Weg des Protests wählt der Ravensburger Friseurmeister Markus Herrmann. „Die Friseurbranche steht am Abgrund“, schreibt der Präsident von Intercoiffure Deutschland, einer weltweiten Vereinigung von Friseurunternehmen, in einem Brief an die Minister Heil (SPD), Spahn (CDU) und Braun (CDU) sowie an mehrere Abgeordnete in den Landtagen und dem Bundestag. Darin fordert er die handelnden Politiker auf, mehr Kontrollen gegen Schwarzarbeit anzuordnen. Herrmann verweist in seinen Ausführungen auch auf ein Schreiben an den Deutschen Fußballbund. Denn auf den Sportplätzen der Ligaprofis können Zuschauer samstäglich wie aus dem Ei gepellte Profis bestaunen.
Eine Beobachtung, die auch Roberto Laraia vom Fachverband Friseur und Kosmetik Baden-Württemberg nicht entgangen ist. Ihm sind die stets frisch gestylten Fußballerköpfe der Bundesligaprofis ein Dorn im Auge. Aber auch in der Politik und in der tv-medialen Unterhaltungsbranche seien kaum haarige Problemfälle zu beobachten. Ein deutliches Indiz dafür, dass hinter Deutschlands Haustüren eifrig gefärbt, geschnitten und gestylt werde. Für Laraia steht deshalb fest: „Da läuft was schief.“
Gleichzeitig darf als unangemessen erachtet werden, alle Bürger mit halbwegs passabler Haarpracht unter den Generalverdacht der Schwarzarbeit zu stellen. So sparen zahlreiche Mode- und Friseurportale derzeit kaum mit Tipps für den Do-it-yourself-Haarschnitt in den eigenen vier Wänden. Weniger talentierte Hobbyfriseure scheuen offenbar auch den Weg ins Nachbarland Luxemburg nicht, wo Friseure seit dem 11. Januar unter strengen Auflagen wieder zur Schere greifen dürfen. Davon berichtet unter anderem der Saarländische Rundfunk: So betreibt Friseurin Christina Helmling ihren Salon im luxemburgischen Wasserbillig. Wegen des Lockdowns in Deutschland gehen derzeit viele Deutsche zum Haareschneiden ins Nachbarland. „Es ist total verrückt momentan. Wir waren letzte Woche eigentlich schon für diese Woche komplett ausgebucht“, sagt die Friseurin. Sie habe viele Kunden aus Luxemburg. Aber die Terminanfragen aus Deutschland seien derzeit extrem.