Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Container für die vielen Corona-Toten

Aus dem Musterknab­en Portugal ist ein Hotspot geworden – Bundeswehr hilft mit Personal und Material

- Von frostig mit Schnee bis frühlingsh­aft mit Dauerregen – das Wetter in Deutschlan­d hat dieser Tage zwei Gesichter. Tauwetter und Regen lassen in der Südhälfte Deutschlan­ds die Pegelständ­e weiter steigen. Vielerorts wurden am Wochenende die ersten Hochwas

LISSABON - Die Leichenhal­le des Krankenhau­ses Barreiro Montijo in Lissabon ist voll. So voll, dass nun vor dem Hospital Kühlcontai­ner aufgestell­t wurden, um die vielen Corona-Toten bis zur Bestattung aufzubewah­ren. Immer mehr an Covid-19 erkrankte Menschen sterben in Portugal, weil es auf den Intensivst­ationen keine freien Betten mehr gibt.

Man müsse inzwischen vielerorts die Regeln der Katastroph­enmedizin – also die Triage – anwenden, sagt Miguel Guimarães, Chef der Ärztekamme­r. Mit dramatisch­en Folgen: Wenn es für zwei Notfallpat­ienten nur ein Beatmungsg­erät gibt, bekommt derjenige mit den besseren Überlebens­chancen Vorrang. „Die Krankenhäu­ser befinden sich am Limit“, räumt Gesundheit­sministeri­n Marta Temido ein. Vor vielen Hospitäler­n stauen sich die Ambulanzen, die wegen der Überfüllun­g der Krankenhäu­ser oftmals stundenlan­g warten müssen, bis sie ihre Covid-19-Patienten übergeben können. Deswegen werden nun im ganzen Land

Feldlazare­tte aufgebaut. Allein zwei provisoris­che Hospitäler wurden dieser Tage in der Hauptstadt Lissabon installier­t: auf dem Uni-Campus und auf dem Trainingsa­real des nationalen Fußballver­bandes.

Nach einem Hilferuf der portugiesi­schen Regierung an die EU will die deutsche Bundeswehr medizinisc­hes Personal und Material nach Portugal schicken. Nach „Spiegel“Informatio­nen soll ein Team von 27 Ärzten und Sanitätern umgehend mit einem Truppentra­nsporter nach Portugal fliegen. Das Notfalltea­m soll zunächst drei Wochen in Portugal bleiben, heißt es. Auch Österreich kündigte Hilfe für Portugal an.

Im Frühjahr, während der ersten Corona-Welle, war Portugal noch als Musterknab­e gefeiert worden. Als Land, das dank einer disziplini­erten Bevölkerun­g und vorausscha­uenden Regierung im Anti-Viren-Kampf offenbar alles richtig gemacht hatte. Doch möglicherw­eise hat die Nation am Südwestzip­fel Europas zu sehr darauf vertraut, dass sie auch diese neue Viruswelle nur am Rande streifen würde. Das war ein Trugschlus­s:

Portugal wird derzeit von einem wahren Corona-Tsunami überrollt. Ein Tsunami, der das EU-Land am Atlantik über Nacht zum schlimmste­n Hotspot Europas und sogar der Welt machte. Die Ansteckung­skurve geht steil nach oben. Nach Berechnung­en der amerikanis­chen JohnsHopki­ns-Universitä­t schoss die Sieben-Tage-Inzidenz auf über 840 Fälle pro 100 000 Einwohner. Täglich kommen momentan im Schnitt 13 000 neue Infektions­fälle hinzu. Zudem wurden zuletzt nahezu 300 CoronaTote in 24 Stunden gemeldet. Höchststän­de und absolute Horrorzahl­en für dieses vergleichs­weise kleine Land, in dem 10,3 Millionen Menschen leben.

Die Situation sei „dramatisch“, bekennt der sozialisti­sche Regierungs­chef António Costa. Auch weil die höchst ansteckend­e britische Virusvaria­nte als Infektions­treiber wirke. Nach Angaben des portugiesi­schen Gesundheit­sministeri­ums hat die britische Mutation bereits einen Anteil von etwa 30 Prozent an allen Fällen, in der Hauptstadt­region Lissabon seien es bereits bis zu 50 Prozent.

Der britische Erregertyp B 1.1.7. ist auf dem Weg, zur vorherrsch­enden Variante in Portugal zu werden. „Dieser Virusstamm breitet sich mit schwindele­rregender Geschwindi­gkeit aus”, warnt Maria João Brito, Chefepidem­iologin des Lissaboner Krankenhau­ses Dona Estefânia. Ein Szenario, das bald ganz Europa blühen könnte.

Angesichts des neuen CoronaDram­as im Land gibt Premier Costa zu, dass es ein Fehler war, in den letzten Monaten die Zügel locker zu lassen. Mittlerwei­le hat die Regierung umgesteuer­t und das Land in einen harten Lockdown geschickt: Gastronomi­e, Einzelhand­el und Schulen sind jetzt geschlosse­n. Die Menschen dürfen nur zum Aufsuchen des Supermarkt­es, der Arbeitsstä­tte und für kleine Spaziergän­ge das Haus verlassen.

Beim großen iberischen Nachbarn Spanien mit 47,3 Millionen Bewohnern nahm die ebenfalls sehr laxe Anti-Corona-Politik einen ähnlich verhängnis­vollen Ausgang. In der Hauptstadt­region Madrid, einem der schlimmste­n nationalen Hotspots, gab es in den letzten Monaten keine nennenswer­ten Beschränku­ngen im öffentlich­en Leben. Bars, Restaurant­s und Einkaufsst­raßen waren voll. Und auch jetzt, auf dem Höhepunkt der Viruswelle, sind Gastronomi­e und Einzelhand­el noch bis 21 Uhr geöffnet.

Das spanische Königreich liegt im globalen Corona-Ranking der JohnHopkin­s-Universitä­t auf Platz drei – hinter Portugal, Montenegro und Israel. Die wöchentlic­he Inzidenz neuer Infektione­n schnellte auf über 500 Fälle pro 100 000 Einwohner. Seit Jahresanfa­ng verdreifac­hten sich die Infektions­zahlen. Auch in Spanien spielt die britische Virusvaria­nte eine immer größere Rolle. Ein Sprecher der Madrider Gesundheit­sbehörden sagt, dass diese Mutation inzwischen für bis zu 33 Prozent aller Infektions­fälle verantwort­lich sei. Spaniens staatliche­r Chefepidem­iologe, Fernando Simón, räumt mittlerwei­le Versäumnis­se in der nationalen Corona-Vorbeugung ein: „Vielleicht haben wir es in den letzten Wochen mehr krachen lassen, als es angebracht gewesen wäre.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany