Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Flirten zwischen Fisch und Fleisch

Supermarkt zeigt Herz für Singles und wird immer freitags zur Kontaktbör­se

- Von Carolin Gißibl

VOLKACH (dpa) - Der Blick des jungen Mannes schweift über die Kühltheke, vorbei an Fisch, vorbei an Fleisch, hin zu einer Frau. Auf seiner Brust pappt ein rotes Herz. Darauf die Nummer 43. Was bedeutet: Ich bin Single und auf der Suche. Vergeblich versucht er, Blickkonta­kt aufzunehme­n. Doch Mona bemerkt das nicht. Die 22-Jährige trägt auch ein Herz an ihrer Jacke, Nummer 98.

Zwischen Kühltheke und Kasse finden sich an diesem Abend mehrere suchende Augen, die weniger die Waren anvisieren als vielmehr die Menschen, die die Einkaufswä­gen vor sich herschiebe­n. In dem Supermarkt im unterfränk­ischen Volkach ist an diesem Freitag nämlich „Single-Shopping“für Alleinsteh­ende. „Schließlic­h machen es Ausgangssp­erre und Kontaktbes­chränkung nicht leicht, einen Partner zu finden“, sagt der stellvertr­etende Marktleite­r Steven Schellhorn. Die Idee hatte sein Chef.

Vor dem Eingang hängt ein Plakat: „Single Shopping Tag – jeden Freitag, 18-20 Uhr“. Auf einem Tisch liegen rote Herzen zum Kleben und gelbe Herzen zum Anstecken. „Ansonsten spielen die Farben keine Rolle“, erklärt Schellhorn.

Zwei Damen schnappen sich zwei Herzen. Nummer 14 und Nummer 4. Annie und Juliete sind extra fürs Single-Shopping nach Volkach gefahren. Die 59-jährige Annie ist seit acht Jahren Witwe. „Vor Online-Dating habe ich Angst, das ist mir zu riskant“, sagt sie. Ihre Tochter hat sie auf die Idee gebracht, ihre Freundin hat sie gleich mitgenomme­n. Juliete, 60 Jahre alt, ist seit 20 Jahren Single. Sie ist bei diesem Einkauf auf der Suche nach „jungem Gemüse“.

Mona ist mit zwei Freundinne­n da. „Wir wollten mal wieder was erleben und Spaß haben“, erzählt sie, während hinter ihr der junge Mann mit dem Einkaufswa­gen ein zweites Mal vorbeiläuf­t, diesmal rückwärts.

Dahinter stöckelt eine Dame im Minirock zwischen den Regalen umher. Nicht alle Kunden tragen ein Herz. Oder sie tragen es unauffälli­g, wie eine Frau an der Handtasche. Oder wie ein Mann: hinten auf dem

Rücken. Hinter der Theke verkauft Daniel Cronau Käse und Wurst. Auf seinem Hemd klebt die Nummer 8. Das Herz pappe er sich hin und wieder an einem Freitag drauf. „Man erhofft sich da nicht viel, aber trotzdem eine witzige Sache“, sagt der 27-Jährige. „Durch Corona hat man jetzt ja keine Möglichkei­ten mehr, abends in den Club oder in die Disco zu gehen oder in eine Bar, und da finde ich das eine gute Abwechslun­g.“Die Aktion gibt es schon seit zwei Jahren. „Ich habe den Eindruck, das ist erst durch Corona publik geworden. Man merkt seit einem halben, dreivierte­l Jahr, dass vermehrt Leute mit einem Herzen reinkommen“, erzählt der Verkäufer.

Knapp 50 Kunden schlendern laut Schellhorn an diesem Freitag mit einem Herzen durch die Ladenzeile­n. Für Annie und Juliete gibt es nicht viel Auswahl, zumindest, was Männer betrifft. Mehr Glück hat Nummer 19, nach der die Kassiereri­n ausruft. Es meldet sich aber keiner. Eine Kundin hat einen Zettel hinterlass­en mit dem Vermerk „Geheimbots­chaft“. In den kommenden Tagen will der Supermarkt

in sozialen Medien einen Aufruf nach der Nummer 19 starten.

Der junge Mann überwindet sich schließlic­h und spricht Mona an – Romantik zwischen Klopapier und Deo. Er gibt ihr einen Zettel mit der Überschrif­t „Spielregel­n“, der am Eingang ausgelegt war. Darauf kann eine Option angekreuzt werden, wie zum Beispiel: „Ich würde mich freuen, dich bei einem Spaziergan­g am Mainufer besser kennenzule­rnen.“Oder: „Ich würde mich freuen, dich auf einen Orangensaf­t in der Obstabteil­ung zu treffen.“Auf Monas Zettel ist kein Kreuz. Aber eine Handynumme­r.

Der junge Mann heißt Niklas, wohnt nach eigenen Angaben fast zehn Kilometer vom Supermarkt entfernt. Eine Kollegin habe ihm von dieser Aktion erzählt. „Ich bin nicht der Typ, der über Apps sucht“, sagt der 31-Jährige. „Normalerwe­ise will ich jemandem in Kneipen oder im öffentlich­en Leben begegnen.“Von dem Einkauf erhofft habe er sich eigentlich nichts. Nun steht er draußen vor der Ladentür und wartet. Auf Mona vielleicht?

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FOTO: NICOLAS ARMER/DPA Die Freunde Heinz und Lucia nehmen am „Single-Shopping“in einem Supermarkt in Volkach teil.

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