Schwäbische Zeitung (Laupheim)
„Positive Auswirkungen auf Teamgefüge und Betriebsklima“
Ralf Gleißner von der Agentur für Arbeit spricht über Inklusion in der Berufswelt
BIBERACH - Laut UN-Behindertenrechtskonvention und §154 des Sozialgesetzbuchs IX sollten mindestens fünf Prozent der Mitarbeiter eines Unternehmens Menschen mit Behinderung sein. Diese Vorgabe gilt ab 20 Beschäftigten. Dabei geht es um Integration, Chancengleichheit und Teilhabe. Nicht alle Firmen erfüllen die vorgeschriebene Quote und müssen dann eine Ausgleichsabgabe zahlen. Welche Hürden es zu überwinden gilt und wie die Situation im Landkreis Biberach ist: Tanja Bosch hat mit Ralf Gleißner, Rehaund Schwerbehindertenberater bei der Agentur für Arbeit in Biberach, gesprochen.
Herr Gleißner, wie selbstverständlich ist es, dass Menschen mit Handicap eine Festanstellung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bekommen?
Selbstverständlich ist das nicht. Eine Festanstellung für Menschen mit Behinderung ist schon etwas Besonderes. Es kommt natürlich aber immer auf die Art der Behinderung an, denn der Arbeitsplatz muss zur jeweiligen Einschränkung des Menschen passen. Bis zum vergangenen Jahr lief die Vermittlung in diesem Bereich noch sehr gut, aber auch hier wird es aufgrund der Corona-Krise zunehmend schwieriger.
Würden Sie bei der Geschichte von Quentin Dorer von einer Erfolgsgeschichte sprechen?
Das ist auf jeden Fall eine tolle Erfolgsgeschichte. Herr Dorer war auf der Schwarzbachschule, also auf einer Schule für Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung. Die Absolventen gelangen meist gar nicht auf den allgemeinen Arbeitsmarkt, der Großteil der Absolventen beginnt in einer der Werkstätten für Behinderte, die wir im Landkreis haben. Quentin Dorer war auch nicht der erste junge Mensch mit Behinderung, den wir Boehringer Ingelheim für die freie Stelle vorgeschlagen haben. Die ersten drei Jugendlichen haben nicht gepasst. An diesem Beispiel sieht man, dass die Firmen am Ende nur jemanden einstellen, der auch den Anforderungen entspricht. Bei Quentin Dorer war das der Fall.
Wie werden Firmen, die sich dazu entschließen, eine Menschen mit Behinderung einzustellen, unterstützt?
Es gibt viele verschiedene Hilfen und Unterstützungsmöglichkeiten. Von
ANZEIGEN einem Eingliederungszuschuss über technische Hilfen bis hin zur Finanzierung der Ausbildung. Außerdem wird der behinderte Mensch auch immer von jemandem vom Integrationsfachdienst begleitet und unterstützt.
Gibt es viele Firmen im Landkreis Biberach, die sich dazu entscheiden, Menschen mit Handicap eine Chance zu geben?
Ja, es gibt einige Firmen, die ihrer sozialen Verantwortung nachkommen und fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze Menschen mit Behinderung zur Verfügung stellen. Es sind auch nicht nur große Firmen, die das tun, sondern auch viele kleine und mittelständische Firmen. Vor allem in Handwerksbetrieben kommen oftmals Menschen mit Behinderung unter. Für den Zuständigkeitsbezirk der Agentur für Arbeit Ulm hat es im Jahr 2018 beispielsweise 7728 Stellen gegeben, die laut Quote mit einem Menschen mit Behinderung besetzt werden hätten sollen. Tatsächlich waren es am Ende 5611 Stellen, die von Menschen mit Handicap besetzt waren. Das entspricht einer Quote von 3,5 Prozent. Hier gibt es auf jeden Fall noch Luft nach oben.
Welche Vorteile haben Firmen, die Menschen mit Handicap eine Chance geben?
Es hat auf jeden Fall positive Auswirkungen auf das Teamgefüge und das Betriebsklima. Behinderte Menschen sind oftmals mehr motiviert, zur Arbeit zu gehen und blühen in ihrer Tätigkeit auf, das wirkt ansteckend. Außerdem ist es für große Firmen auch eine gute Werbung, dass sie ihrer sozialen Verantwortung nachkommen. Möglicherweise spielt es auch eine Rolle, dass Firmen, wenn sie die Quote erfüllt haben, keine Ausgleichsabgabe für unbesetzte Plätze zahlen müssen.
Müssen noch Vorurteile abgebaut werden, wenn es um das Thema Inklusion geht?
Offenheit ist gut. Wobei Vorurteile auch immer abhängig von der Art der Behinderung sind. Körperlich behinderte Menschen müssen möglicherweise nicht mit so vielen Vorurteilen kämpfen wie geistig oder psychisch behinderte Menschen. An einem Arbeitsplatz muss am Ende jeder seine Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen. Nur oftmals bekommen behinderte Menschen erst gar keine Chance. Ich habe aber festgestellt, wenn die Firmen erst einmal persönliche Erfahrungen mit den jeweiligen Menschen machen, wie beispielsweise durch ein Praktikum, dann wird es einfacher. Es entsteht eine persönliche Betroffenheit und die macht es möglich, den Menschen am Ende eine Chance zu geben.