Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Beruhigungspillen für den VfB
Nächster Paukenschlag: Hitzlsperger zieht seine Präsidentschaftskandidatur zurück
STUTTGART - Einen ganzen Monat lang war der VfB Stuttgart abseits des Platzes der Chaosclub der Bundesliga, lieferten sich der Vorstandsvorsitzende Thomas Hitzlsperger und Präsident Claus Vogt eine öffentliche Schlammschlacht mit anschließendem Burgfrieden. Als sich der VfB gerade anschickte, mit dem 2:0 (0:0) gegen den FSV Mainz 05, dem ersten Heimsieg der Saison, einen dünnen Schleier über die ganze Affäre zu decken, zündete Hitzlsperger den nächsten Knaller: Am späten Sonntagabend zog der 38-Jährige seine höchst umstrittene Kandidatur als Präsident zurück und stellte die Uhren wieder auf null. All das, was seit den letzten Dezembertagen für einen riesigen Aufschrei gesorgt hatte, die Fans auf die Barrikaden trieb, ist nun mit einem Mal größtenteils nicht mehr vorhanden. Zumindest Hitzlsperger selbst möchte nun Vogt – den er als unfähig für dieses Amt bezeichnete – nicht mehr herausfordern und strebt damit auch nicht mehr die umstrittene Ämterhäufung auf seiner Person an.
„Ich mache das aus Verantwortung gegenüber unserem Verein und meinen Mitarbeitern“, sagte Hitzlsperger während seines 1:39 Minuten langen Videos, in dem er den Rückzug seiner Kandidatur begründete. „Wir brauchen wieder Ruhe im Verein. Mit meiner Entscheidung will ich jetzt meinen Teil dazu beitragen.“Auch zu den Sonnenkönig-Vorwürfen nahm der VfB-Vorstandsvorsitzende Stellung. „2017 wurde Euch versprochen, dass bei der Ausgliederung des Profibereichs Eure Interessen gegenüber der neuen AG gewahrt bleiben. Daran möchte ich auch nichts ändern, aber meine Bewerbung hat das nicht genug berücksichtigt“, sagte Hitzslsperger, der vor allem um Vertrauen warb. Er schloss mit den Worten, dass er dem dann gewählten Präsidenten schon jetzt eine gute Zusammenarbeit anbiete.
Versöhnende Worte, doch dürften diese sicherlich nicht in Richtung Vogt gesprochen sein. Vielmehr scheint sich bereits jetzt eine Lösung abzuzeichnen, die keinen der bisher so prominenten Bewerber an der Spitze des Vereins sieht. Bereits zuvor
SOliver Kahn
chon prägte den Spruch „weiter, immer weiter“und untermauerte so mit Worten seinen unbändigen Willen, immer mehr Leistung aus sich herauszuholen und nie aufzugeben. Auch in den Sportredaktionen geht es immer weiter, solange der Ball rollt, fliegt, geworfen wird oder die Reifen quietschen. Und genau aus diesem Grund erwartet Sie, liebe Leser, an dieser Stelle ab sofort statt des „Bundesliga intern“die Kolumne „Hauptsache Sport“. Anstatt König Fußball aus Tradition weiterhin noch mehr Platz einzuräumen und ausschließlich die Geschehnisse auf den Rasenplätzen zu beleuchten, drehen sich in Zukunft die Zeilen hier um alles, was sich so der Leibesertüchtigung widmet. Als Bewegungsmelder richten wir den Fokus auch auf Eishockey, Motorsport, Skispringen und und und ... – und halten wie gewohnt mit unserer Meinung nicht hinter dem Berg. Natürlich dürfen sich auch die Kicker nicht vollkommen sicher fühlen, doch geht der Blick an dieser prominenten Stelle ab sofort kritisch in alle Richtungen. Getreu dem Motto: Hauptsache Sport.
So war das Ereignis mit der größten weltweiten Strahlkraft sicherlich die Handball-WM. Ein Großturnier während einer Pandemie. Ohne Zuschauer, damit ohne Stimmung von den Rängen. Ohne Gruppengucken vor dem Fernseher. Nicht einmal im Freundeskreis. Nach zwei vorab aufgrund von Corona-Infizierten ausgetauschten Mannschaften sowie einer während des Turniers hatte Ex-Nationalspieler schon in der „Schwäbischen Zeitung“gesagt: „Wenn das Halbfinale abgesagt werden muss und ein Team ohne Spiel ins Finale kommt, dann ist das
Martin Strobel
hatte Ex-VfB-Kicker Kevin Kuranyi zu einer Kandidatur des Unternehmers Volker Zeh aus dem Remstal gesagt: „Ich traue ihm zu, den Verein zu befrieden. Was nicht leicht wird, aber bitter nötig ist.“
Und dies ist weiterhin trotz aller versöhnlicher Statements nötig. Denn der Riss im Club geht weit über die zwei großen Streithähne hinaus. So hatte sich der schmutzige Disput zwischen Vogt und der Clubführung zuletzt weiter zugespitzt. Vogt hatte in einer Mitteilung am Mittwoch angekündigt, die für den 18. März geplante Mitgliederversammlung auf September verschieben zu wollen, und schrieb von der „größten internen Krise, die dieser Verein in seiner lebhaften Geschichte erlebt hat“.
Als Grund für die Verschiebung nannte Vogt „berechtigte Interessen der Mitglieder“, also mögliche technische Probleme bei der digitalen Veranstaltung sowie die noch fehlende lückenlose Aufklärung der „Datenaffäre“, die nun auch Hitzlsperger verstärkt angehen will. Doch spaltet diese weiter die Lager. Ein Auftrag für eine „notwendige rechtliche Bewertung“
Gelächter an mancher Stelle wieder groß.“Auf der anderen Seite sei es „richtig, an Konzepten mitzuwirken, die auch in Zukunft Bestandteil solcher Veranstaltungen werden müssen. Anzufangen, wenn andere uns überholt haben, wäre fatal, und daher
an eine Rechtsanwaltskanzlei nach der Weitergabe von Mitgliederdaten an Dritte sei laut Vogt noch nicht erteilt worden. Bereits am Montag könnten zudem die Ermittler der Firma Esecon ihren Bericht vorstellen und damit neuen Schwung in die Datenaffäre bringen.
Eine Verschiebung des vereinbarten Termins der Mitgliederversammlung würde allerdings gegen die Satzung des Vereins verstoßen, entgegneten die beiden weiteren Präsidiumsmitglieder Bernd Gaiser und Rainer Mutschler. Es gebe einen „erkennbaren Riss im Präsidium“, einen „Dissens zu zahlreichen Themen seit geraumer Zeit“.
Wie es nun weitergeht, ist offen. „Wir haben auf jeder Ebene wirklich tolle Arbeit geleistet und wir spielen eine fantastische Saison. Darauf können wir alle sehr stolz sein, und darauf will ich mich auch weiterhin konzentrieren“, sagte Hitzlsperger und fügte an: „Ich möchte durch meine Entscheidung auch den Druck vom Vereinsbeirat nehmen.“
Druck dürfte auch etwas von der Mannschaft abfallen. Nicht nur aufgrund war es wichtig, an der Zukunft mitzuwirken.“Nachdem das Turnier nun ohne weitere Zwischenfälle über die Bühne – oder besser gesagt über die Platte – gegangen ist, muss man zugeben, dass die Entscheidung in Teilen richtig war. Auch der Autor der öffentlichen Befriedung der Führungsetage, sondern auch nach dem ersten Heimsieg im neunten Versuch seit dem Wiederaufstieg in die Bundesliga. „Ich glaube nicht, dass wir so nah an einer sportlichen Krise waren. Jetzt sind wir noch weiter weg“, sagte Trainer Pellegrino Matarazzo. Gegen engagierte Mainzer vertraute die Matarazzo-Elf auf ihre spielerischen Fähigkeiten – und wurde belohnt. Stürmer Sasa Kalajdzic (55. Minute) traf erstmals wieder seit sechs Spielen, Top-Torjäger Silas Wamangituka (72.) gelang nach einem 80-Meter-Solo das elfte Saisontor.
Damit wandelt der 21-Jährige auf den Spuren von Fredi Bobic. Nur der heutige Sportvorstand von Eintracht Frankfurt hatte es für die Schwaben in der Saison 1996/97 auf elf Tore nach 19 Spieltagen gebracht. Der Österreicher Kalajdzic freute sich über die Tore und den Heimsieg, sagte: „Geil, ein geiles Gefühl. Ich bin überglücklich.“Beruhigungspillen nach den turbulenten Wochen hatten alle Beteiligten sowie die Fans nach dem Wochenende ja auch zur Genüge.
dieser Zeilen war lange kritisch und sah Teile der WM als Farce, doch es zeigt, dass die Maschinerie weiterlaufen kann. Das Überleben ist gesichert. Nicht nur für den Handball, sondern für Eishockey und wie sie alle heißen. Auch König Fußball wird wahrscheinlich seine europäische Endrunde im Sommer durchziehen.
Die Handballfamilie hat es noch einmal bestätigt: Die Blase rund um die Spieler kann funktionieren, ein Turnier kann möglich sein. Auch wenn über allem das Worst-Case-Szenario des Abbruchs steht, kann sich die Sportart in einem Großereignis präsentieren und ihren Besten küren – und nicht zuletzt Einnahmen generieren. Eine paneuropäische EM in noch angedachten zwölf Ländern ist und bleibt aktuell aber natürlich Humbug. Auch das haben die Entscheider längst erkannt, doch wollen sie es den beteiligten Nationen noch nicht offenbaren. Wie bereits das Champions-League-Endrundenturnier wird wahrscheinlich auch die EM an so wenigen Standorten wie möglich stattfinden. Der Ball wird rollen, und die Spieler werden kaserniert aus ihren Hotels in die Welt grüßen. Wie schon in der Königsklasse dürfte auch die EM mit hochklassigem Fußball überzeugen und auch der Sieger ein verdienter sein. Doch eines ist unbestritten: So schön der pure Sport, das reine Spiel auch anzuschauen sein mag, gerade ein Länderturnier – allen voran der Fußball – lebt eben von seinem Rudelgucken, seinen Fanmeilen, den Autokorsos, den geschminkten Gesichtern und peinlichen Schland-Perücken. Der Handball hat noch einmal gezeigt, dass es möglich ist. Allein ob es wirklich sinnvoll ist, bleibt, wie so häufig dieser Tage, offen.