Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Leicht im Minus
Es ist zwar bedauerlich, aber es hätte auch noch schlimmer kommen können. Die CoronaKrise hat 2020 die Zahl der neuen Ausbildungsverträge sinken lassen, auf die gesamte Wirtschaft bezogen jedoch nicht in dem von vielen erwarteten Maße. Die zwölf Industrie-und Handelskammern (IHK) Baden-Württembergs melden für 2020 einen Rückgang der Neuverträge um 12,9 Prozent auf 39 309. In diesem Durchschnittswert sind nach Angaben des Branchenverbandes Dehoga allerdings weit höhere Einbußen der von der Pandemie besonders betroffenen Hotellerie und Gastronomie (minus 21 Prozent) enthalten. Bei Tourismus-Kaufleuten ergab sich sogar eine Einbuße von 63 Prozent.
Auch die IHK Bodensee-Oberschwaben in Weingarten ist mit dem Rückgang der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge zum 1. September 2020 um 11,7 Prozent nicht zufrieden, betont aber zugleich, dass dieses Minus bei Weitem nicht so groß sei, wie ursprünglich befürchtet worden war. Nach schwachen Monaten hatte sich laut Hauptgeschäftsführer Peter Jany im Sommer ein deutlicher Nachholeffekt bemerkbar gemacht. Allein im August 2020 seien 289 neue Ausbildungsverträge geschlossen worden – mehr als im besonders ausbildungsstarken Vorjahr. Lediglich um 4,8 Prozent ist die Zahl der neuen Ausbildungsverträge im Bereich der Handwerkskammer Ulm gesunken. 3021 junge Menschen haben 2020 mit einer Ausbildung in einem Handwerksberuf
ANZEIGEN
begonnen. Das waren nur 153 weniger als im Jahr davor. Als besonders bemerkenswert hebt die Handwerkskammer hervor, dass sich unter den neuen Auszubildenden 444 Abiturienten befinden. Deren Anteil an der Gesamtzahl der Anfänger einer Handwerksausbildung sei damit sogar noch gestiegen, von 13,7 auf 14,7 Prozent. Für ganz Baden-Württemberg sehen die Zahlen noch günstiger aus. Laut Handwerkskammertag ergab sich hier ein Rückgang der neuen Ausbildungsverträge um 2,5 Prozent auf 18 666.
Auch wenn sich die negativen Auswirkungen von Corona auf den gesamten Ausbildungsstellenmarkt noch einigermaßen in Grenzen hielten, so stellt die Pandemie die jungen Leute, die einen Ausbildungsplatz
suchen, aber auch die ausbildenden Unternehmen doch vor besondere Herausforderungen. Viele Betriebe sahen sich gezwungen, die Digitalisierung des Bewerbungsprozesses erheblich zu forcieren. Immer häufiger werden Telefonund Videointerviews angeboten. Teilweise, so schreibt die auf Personal- und Ausbildungsfragen spezialisierte Hamburger Kommunikationsagentur Territory Embrace, seien auch Videobewerbungen möglich.
Von den digitalen Angeboten Gebrauch zu machen, lohnt sich auch, denn in einer ganzen Reihe von Branchen sind Azubis nach wie vor gesucht. Das gilt nicht zuletzt für die unter chronischem Fachkräftemangel leidenden Pflegeberufe und auch für das Handwerk. Mehr als 400 Ausbildungsplätze sind derzeit im Bezirk der Ulmer Handwerkskammer unbesetzt. Über Einzelheiten können sich Interessenten online im Lehrstellenradar der Kammer informieren. Auszubildende treibt in diesen Zeiten auch die Frage um, was geschieht, wenn sie zur Abschlussprüfung an Corona erkrankt sind. Dazu heißt es in einer Mitteilung von Territory Embrace, dass eine Corona-Infektion ebenso wie Quarantäne als triftige Gründe für die Nicht-Teilnahme an einer Abschlussprüfung akzeptiert werden. Wichtig sei aber, dass der Auszubildende alle Beteiligten frühzeitig informiert und eine Kopie des ärztlichen Attestes oder der Bescheinigung des Gesundheitsamtes an die zuständige IHK oder Handwerkskammer, an die Berufsschule und den Arbeitgeber schickt. Wenn eine Abschlussprüfung wegen Corona nicht stattfinden kann, verlängert sich dadurch die Ausbildungszeit nicht automatisch. Darauf weist die IHK Karlsruhe hin und bezieht sich dabei auf das Berufsbildungsgesetz. Allerdings könne die IHK bei einer längeren Unterbrechung der Ausbildung im Betrieb oder in der Berufsschule dem Antrag einer Verlängerung der Ausbildungszeit zustimmen, wenn diese zum Erreichen des Ausbildungsziels erforderlich ist.
In der Corona-Krise müssen sehr viele Unternehmen Kurzarbeit beantragen. Aber können auch Auszubildende in Kurzarbeit geschickt werden? Nein, sagt die IHK Karlsruhe, Kurzarbeit bei Ausbildungsverhältnissen sei grundsätzlich nicht möglich. Der Ausbildungsbetrieb müsse vielmehr von allen Möglichkeiten Gebrauch machen, um seine Ausbildungspflicht auch in Kurzarbeitsphasen zu erfüllen. Solche Möglichkeiten seien beispielsweise die Umstellung des Lehrplans durch Vorziehen anderer Lehrinhalte, die Versetzung des
Auszubildenden in eine andere Abteilung, die Rückversetzung in die Lehrwerkstatt oder die Organisation spezieller Ausbildungsveranstaltungen. Lediglich in absoluten Ausnahmefällen, wenn alle erdenklichen Maßnahmen zur Fortführung einer geregelten Ausbildung ausgeschöpft sind, könne auch für Auszubildende Kurzarbeit in Betracht kommen.
Die Insolvenz eines Ausbildungsbetriebs hat ebenfalls keine unmittelbaren Auswirkungen auf den Ausbildungsvertrag, erläutert die IHK Bodensee-Oberschwaben. Alle Rechte und Pflichten aus dem Ausbildungsvertrag gingen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf den Insolvenzverwalter über. Sollte der Betrieb verkauft werden, so tritt der Käufer in die Rechte und Pflichten des Ausbildungsverhältnisses ein. Baden-württembergische Firmen, die Auszubildende von insolventen oder unvorhersehbar geschlossenen Betrieben übernehmen und weiter ausbilden, können beim Wirtschaftsministerium eine spezielle Förderung in Höhe von 1200 beantragen.