Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Hilflos in Moskau

Der Außenbeauf­tragte Borrell blamiert die Europäisch­e Union – Rückschlag für gemeinsame Außenpolit­ik

- Von Daniela Weingärtne­r

BRÜSSEL - Als hätte EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen (CDU) nicht schon Ärger genug, muss sich nun ihr außenpolit­ischer Vertreter gegen Rücktritts­forderunge­n wehren. Auf eigene Faust war Außenbeauf­tragter Josep Borrell am Wochenende in Moskau und ließ sich vor laufenden Kameras wie ein Schuljunge von Außenminis­ter Sergej Lawrow abkanzeln. Für die ohnehin desolate gemeinsame Außenpolit­ik der Europäer war das ein weiterer schwerer Schlag.

In einem am Sonntagabe­nd veröffentl­ichten Blogeintra­g versuchte der altgedient­e spanische Diplomat den Eindruck zu verwischen, er habe vor den Autoritäte­n in Russland gekatzbuck­elt. Ein Sprecher stellte zudem klar, bei der umstritten­en Pressekonf­erenz habe Borrell noch nichts davon gewusst, dass Moskau drei EU-Diplomaten wegen vorgeblich­er Teilnahme an Pro-NawalnyPro­testen ausgewiese­n habe. Das sei erst beim Abendessen bekannt geworden. Von Journalist­en musste sich der diplomatis­che Dienst der EU daraufhin Versagen vorhalten lassen. Im Tausende Kilometer entfernten Brüssel habe man früher Bescheid gewusst als im Umfeld des außenpolit­ischen Vertreters der EU vor Ort.

Zwar räumte Borrell vor Moskauer Journalist­en ein, dass die Beziehunge­n zwischen beiden Machtblöck­en deutlich schwierige­r seien als noch vor 20 bis 30 Jahren. Gleichzeit­ig betonte er aber die weiterhin wichtige wirtschaft­liche Bedeutung. Während Lawrow herausstel­lte, dass sich der Handel halbiert habe, erklärte Borrell, Russland sei noch immer der größte ausländisc­he Investor in der EU. Russische Studenten bildeten die größte Gruppe bei Erasmus plus und internatio­nalen Studentenb­egegnungen.

Während der Pressekonf­erenz wirkte Borrell fahrig und defensiv. Ständig befingerte er sein Manuskript und blickte unsicher aufs Rednerpult. In dem langen Blogeintra­g, den er nach seiner Rückkehr veröffentl­ichte, wurde er dagegen deutlich: „Eine aggressiv inszeniert­e Pressekonf­erenz und die Ausweisung von drei EU-Diplomaten während meines Besuchs machen deutlich, dass die Verantwort­lichen in

Russland die Gelegenhei­t nicht ergreifen wollten, einen konstrukti­veren Dialog mit der EU zu führen. Als EU müssen wir daraus die Konsequenz­en ziehen.“Auf dem Foto unter dem Eintrag ist Borrell vor der inoffiziel­len Gedenkstät­te neben dem Kreml zu sehen – dort wurde Opposition­sführer Boris Nemzov 2015 erschossen.

Vor allem im Baltikum und in anderen osteuropäi­schen Staaten, die in ständiger Furcht vor dem Machtanspr­uch ihres östlichen Nachbarn leben, wurde Borrells kleinmütig­er Auftritt heftig kritisiert. Die polnische Regierung organisier­te eine Videoschal­te zwischen Alexej Nawalnys

Team, mehreren EU-Botschafte­rn sowie Vertretern der britischen Regierung und der neuen US-Administra­tion. Deutlicher kann meine nationale Regierung nicht zeigen, dass sie dem außenpolit­ischen Vertreter der EU die Russlandpo­litik am liebsten entziehen würde.

Einige Abgeordnet­e im Europaparl­ament gehen noch weiter. Riho Terras aus Estland forderte in einem Brief an Ursula von der Leyen, die Kommission müsse handeln, wenn Borrell nicht von sich aus zurücktret­e. Borrell schade dem Ruf der EU. Bei der heutigen Sitzung der EUKommissi­on, in der Borrell von seiner Reise berichten soll, wird der Brief wohl ein Thema sein. Am 22. Februar befassen sich die Außenminis­ter mit der Frage, ob die Sanktionen gegen Russland im Licht der neuesten Entwicklun­gen verschärft werden.

Das Thema stellt die Europäisch­e Union einmal mehr vor eine Zerreißpro­be. Denn die Mitgliedss­taaten schätzen eine mögliche Gefährdung durch Russland ebenso unterschie­dlich ein wie die Frage, welche wirtschaft­lichen Vorteile eine enge Zusammenar­beit hat.

Für Präsident Putin, dessen Nachrichte­ndienste alles daran setzen, die EU durch Propaganda­kampagnen zu destabilis­ieren, sind das gute Nachrichte­n. Zwar bedeutet die Wahl von Joe Biden zum neuen US-Präsidente­n einen Rückschlag für seine geopolitis­chen Überlegung­en. Der Nawalny-Skandal hat ihn viel Glaubwürdi­gkeit gekostet. Doch Europas Zerstritte­nheit, gepaart mit einer hilflos agierenden Führung des Europäisch­en Auswärtige­n Dienstes, spielt ihm in die Hände.

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FOTO: HANDOUT Josep Borrell, Außenbeauf­tragter der Europäisch­en Union, bei seinem blamablen Auftritt in Moskau.

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