Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Hilflos in Moskau
Der Außenbeauftragte Borrell blamiert die Europäische Union – Rückschlag für gemeinsame Außenpolitik
BRÜSSEL - Als hätte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) nicht schon Ärger genug, muss sich nun ihr außenpolitischer Vertreter gegen Rücktrittsforderungen wehren. Auf eigene Faust war Außenbeauftragter Josep Borrell am Wochenende in Moskau und ließ sich vor laufenden Kameras wie ein Schuljunge von Außenminister Sergej Lawrow abkanzeln. Für die ohnehin desolate gemeinsame Außenpolitik der Europäer war das ein weiterer schwerer Schlag.
In einem am Sonntagabend veröffentlichten Blogeintrag versuchte der altgediente spanische Diplomat den Eindruck zu verwischen, er habe vor den Autoritäten in Russland gekatzbuckelt. Ein Sprecher stellte zudem klar, bei der umstrittenen Pressekonferenz habe Borrell noch nichts davon gewusst, dass Moskau drei EU-Diplomaten wegen vorgeblicher Teilnahme an Pro-NawalnyProtesten ausgewiesen habe. Das sei erst beim Abendessen bekannt geworden. Von Journalisten musste sich der diplomatische Dienst der EU daraufhin Versagen vorhalten lassen. Im Tausende Kilometer entfernten Brüssel habe man früher Bescheid gewusst als im Umfeld des außenpolitischen Vertreters der EU vor Ort.
Zwar räumte Borrell vor Moskauer Journalisten ein, dass die Beziehungen zwischen beiden Machtblöcken deutlich schwieriger seien als noch vor 20 bis 30 Jahren. Gleichzeitig betonte er aber die weiterhin wichtige wirtschaftliche Bedeutung. Während Lawrow herausstellte, dass sich der Handel halbiert habe, erklärte Borrell, Russland sei noch immer der größte ausländische Investor in der EU. Russische Studenten bildeten die größte Gruppe bei Erasmus plus und internationalen Studentenbegegnungen.
Während der Pressekonferenz wirkte Borrell fahrig und defensiv. Ständig befingerte er sein Manuskript und blickte unsicher aufs Rednerpult. In dem langen Blogeintrag, den er nach seiner Rückkehr veröffentlichte, wurde er dagegen deutlich: „Eine aggressiv inszenierte Pressekonferenz und die Ausweisung von drei EU-Diplomaten während meines Besuchs machen deutlich, dass die Verantwortlichen in
Russland die Gelegenheit nicht ergreifen wollten, einen konstruktiveren Dialog mit der EU zu führen. Als EU müssen wir daraus die Konsequenzen ziehen.“Auf dem Foto unter dem Eintrag ist Borrell vor der inoffiziellen Gedenkstätte neben dem Kreml zu sehen – dort wurde Oppositionsführer Boris Nemzov 2015 erschossen.
Vor allem im Baltikum und in anderen osteuropäischen Staaten, die in ständiger Furcht vor dem Machtanspruch ihres östlichen Nachbarn leben, wurde Borrells kleinmütiger Auftritt heftig kritisiert. Die polnische Regierung organisierte eine Videoschalte zwischen Alexej Nawalnys
Team, mehreren EU-Botschaftern sowie Vertretern der britischen Regierung und der neuen US-Administration. Deutlicher kann meine nationale Regierung nicht zeigen, dass sie dem außenpolitischen Vertreter der EU die Russlandpolitik am liebsten entziehen würde.
Einige Abgeordnete im Europaparlament gehen noch weiter. Riho Terras aus Estland forderte in einem Brief an Ursula von der Leyen, die Kommission müsse handeln, wenn Borrell nicht von sich aus zurücktrete. Borrell schade dem Ruf der EU. Bei der heutigen Sitzung der EUKommission, in der Borrell von seiner Reise berichten soll, wird der Brief wohl ein Thema sein. Am 22. Februar befassen sich die Außenminister mit der Frage, ob die Sanktionen gegen Russland im Licht der neuesten Entwicklungen verschärft werden.
Das Thema stellt die Europäische Union einmal mehr vor eine Zerreißprobe. Denn die Mitgliedsstaaten schätzen eine mögliche Gefährdung durch Russland ebenso unterschiedlich ein wie die Frage, welche wirtschaftlichen Vorteile eine enge Zusammenarbeit hat.
Für Präsident Putin, dessen Nachrichtendienste alles daran setzen, die EU durch Propagandakampagnen zu destabilisieren, sind das gute Nachrichten. Zwar bedeutet die Wahl von Joe Biden zum neuen US-Präsidenten einen Rückschlag für seine geopolitischen Überlegungen. Der Nawalny-Skandal hat ihn viel Glaubwürdigkeit gekostet. Doch Europas Zerstrittenheit, gepaart mit einer hilflos agierenden Führung des Europäischen Auswärtigen Dienstes, spielt ihm in die Hände.