Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Uni Ulm will Tierversuche reduzieren und verbessern
Forschende sind am landesweiten 3R-Netzwerk beteiligt – 300 000 Euro Förderung von Landesregierung
mit dem Thema Tierschutz auch auf die Verbesserung der Forschungsqualität insgesamt ab“, so Wissenschaftsministerin Theresia Bauer.
Die häufigste Todesursache bei jüngeren Menschen unter 45 Jahren sind schwere körperliche Verletzungen – oftmals ausgelöst durch Unfälle. Über alle Altersgruppen hinweg sterben die meisten Patientinnen und Patienten an Herz-Kreislauferkrankungen
und Krebs. An der Universität Ulm wird auf höchstem Niveau zu Traumata und ihren Folgen sowie zu neuen Krebstherapien oder altersassoziierten Krankheiten geforscht. Dabei sind nach wie vor Tierversuche nötig, denn komplexe Wechselwirkungen können oft nur im lebenden Organismus nachvollzogen werden. Auch die jetzt zugelassenen Corona-Impfstoffe wurden zunächst im Tiermodell erprobt.
An der Universität Ulm kommen meist Mäuse zum Einsatz, die ähnliche Krankheitszustände wie Unfallopfer, Krebskranke oder etwa Menschen mit neurodegenerativen Erkrankungen aufweisen. „So lange es keine gleichwertigen, tierfreien Alternativen zu solchen Experimenten gibt, müssen wir Wege finden, um die Belastung der Tiere auf ein Minimum zu reduzieren“, sagt Professor Jan Tuckermann, Leiter der Tierforschungskommission der Universität Ulm.
Genau dieses Ziel verfolgt das neue Projekt „Etablierung und Verbesserung von Refinementmaßnahmen für Tiere“, das Teil des badenwürttembergischen 3R-Netzwerks ist. 3R steht für „Replacement, Reduction und Refinement“– also Ersatz, Verringerung und Verbesserung von Tierexperimenten.
An der Universität Ulm wird die Belastung der Tiere schon jetzt kontinuierlich mit „Score sheets“überwacht und festgehalten. Im Zuge des neuen Projekts sollen solche Refinementmaßnahmen standardisiert und landesweit eingesetzt werden. Weitere Mittel zur Verbesserung der experimentellen Rahmenbedingungen reichen von zusätzlichen Verstecken und Nestbaumaterialien bis zur berührungsfreien Medikamentengabe. „Wenn Tiere eingefangen werden, um sie zu untersuchen oder um ihnen Wirkstoffe wie Schmerzmittel zu verabreichen, bedeutet das Stress für sie. Es gilt also Wege zu finden, Medikamente über Gele oder das Trinkwasser zu geben“, erklärt die Leiterin des Tierforschungszentrums, Dr. Inken Beck. Ziel seien datenund erfahrungsbasierte Anleitungen, die auch anderen Gruppen im Land zur Verfügung stehen.
Im Vorfeld des neuen Projekts haben die Ulmer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Untersuchungen aus der Traumaforschung begleitet und Belastungs-Parameter identifiziert. Demnach lässt sich Stress über den Cortisolwert in den Ausscheidungen der Tiere messen. Stoffwechsel-Parameter werden über den Energieverbrauch erfasst. Bei der Einschätzung des Zustands der Tiere helfen künftig so genannte Phenotyping-Käfige, die einige Messungen automatisiert und somit stressfrei durchführen.
Im baden-württembergischen 3RNetzwerk werden die Ulmer Forschenden ihr Wissen zum Refinement in Schulungen und Leitfäden weitergeben. Besonders wichtig ist ihnen der flächendeckende Einsatz einheitlicher Score sheets, mit denen Verhalten und Gesundheitszustand der Tiere dokumentiert werden.
Darüber hinaus bieten Dozierende um Dr. Sibylle Ott, Tierärztin an der Uni Ulm, anerkannte 5R-Kurse zur Qualitätsverbesserung von Tierexperimenten an – die beiden zusätzlichen „Rs“stehen für Genauigkeit und Reproduzierbarkeit (Rigour and Reproducibility) von Versuchen. Die mit 16 000 Euro geförderten Weiterbildungen richten sich an Forschende, Tierschutzbeauftragte, Behördenvertreter oder fortgeschrittene Studierende. Teilnehmende sollen in die Lage versetzt werden, Belastungen im Tierversuch zu erkennen und zu reduzieren. Insgesamt trägt ein funktionierendes Qualitätsmanagement dazu bei, dass die Versuche wiederholbar und Ergebnisse schneller auf den Menschen übertragbar werden.
Alle Aktivitäten zur Verbesserung von Tierversuchen laufen parallel zur Entwicklung tierfreier Alternativen. An der Universität Ulm wird beispielsweise intensiv an einem menschlichen Vollblutmodell zur Simulation von Gerinnungs- und Abwehrvorgängen gearbeitet. Weiterhin entwickeln Forschende „Minidärme“, „Minigehirne“oder künstliche, zellbasierte Lungenbläschen, um Tierversuche ersetzen zu können. In einigen Fällen helfen Computersimulationen dabei, Vorgänge im menschlichen Körper zu verstehen. Trotz dieser Alternativen werden Forschende in absehbarer Zeit nicht auf Tierversuche verzichten können. Umso wichtiger sind die in Ulm beforschten Refinement-Maßnahmen und das Engagement im landesweiten 3R-Netzwerk.