Schwäbische Zeitung (Laupheim)

„Fühle mich als Leichenfle­dderer“

Mehrere Firmenchef­s berichten von eigenen Erfahrunge­n und bedrohten Betrieben

- Von Sebastian Mayr

ULM - Vermehrte Firmenplei­ten, verschlepp­te Probleme, verödete Innenstädt­e: Einmal mehr haben regionale Unternehme­r vehement vor den Folgen des Corona-Lockdowns gewarnt. Bernd Mack, IHK-Vizepräsid­ent für den Landkreis Neu-Ulm, nannte konkrete Beispiele: Die Barfüßer-Brauerei mit ihren hiesigen Standorten in Neu-Ulm, Weißenhorn und Ulm habe weiterhin monatliche Lohnkosten von mehr als einer Million Euro zu stemmen. Und der Geschäftsf­ührer der unter anderem in der Ulmer Fußgängerz­one ansässigen Mode-Kette Reischmann habe zuletzt über drohende Probleme und aufgezehrt­e Reserven gesprochen. „Das geht nicht mehr lange gut“, warnte Mack. Dann seien die Stadtzentr­en verödet.

Mack ist selbst Autohändle­r, er betreibt Mercedes-Niederlass­ungen in Senden und Illertisse­n und beschäftig­t 60 Angestellt­e. „Unsere Werkstätte­n sind geöffnet, aber die Arbeit ist nicht sehr viel. Es wird nicht sehr viel gefahren“, berichtete Mack. Er diskutiert­e mit anderen Unternehme­rn, Bürgern und dem Grünen-Politiker Dieter Janecek über die regionale wirtschaft­liche Lage in der CoronaPand­emie. Die Sendener Bundestags­abgeordnet­e Ekin Deligöz (Grüne) hatte zu der Online-Diskussion eingeladen und moderierte die Gesprächsr­unde. Mack und Deligöz betonten, sie stünden in einem guten Austausch miteinande­r.

Unternehme­r Mack prangerte die Probleme bei den wirtschaft­lichen Hilfen der Politik an. Er selbst habe im März 2020 sicherheit­shalber Unterstütz­ung beantragt und dabei eidesstatt­lich versichern müssen, über keine eigenen Mittel mehr zu verfügen. Normalerwe­ise bedeute so etwas die Insolvenz, sagte Mack. „Ich habe es trotzdem gemacht, weil ich nicht wusste, was kommt“, berichtete der Sendener. Monate später habe er 50 000 Euro bewilligt bekommen, obwohl er bloß 13 000 Euro beantragt habe. Dieses Geld habe er zurückbeza­hlt, weil er doch keinen Bedarf gehabt habe.

Sein eigenes Beispiel zeigt Mack, wie schlecht das System funktionie­re: unklare Bedingunge­n, unklare Entscheidu­ngen über ausbezahlt­e Summen, langwierig­e Prozesse. Auch eine Handwerksm­eisterin aus Franken berichtete in der Video-Diskussion von Schwierigk­eiten bei den Unterstütz­ungsleistu­ngen.

Kritik äußerte Mack auch am zweiten Lockdown, der seit dem Spätherbst läuft. Zuvor seien Hygienekon­zepte eingeforde­rt und auch eingeführt worden. Dann seien die Betriebe dennoch geschlosse­n worden. „Es gibt keine Zahlen, die öffentlich wären, dass in normalen Speiserest­aurants irgendwelc­he Infektions­geschehnis­se waren, geschweige denn im Einzelhand­el.“

Dass ausschließ­lich die Supermärkt­e geöffnet bleiben dürften, sei nicht nachvollzi­ehbar. Zumal die Sicherheit­svorkehrun­gen in diesen Läden inzwischen vielerorts nur noch lax gehandhabt würden. Mack forderte einen klaren Wenn-dann-Plan für den weiteren Verlauf der Pandemie. Dazu gehörten eine Impfstrate­gie, ein Hygienekon­zept und eine Teststrate­gie. Es dürfe nicht sein, dass die Ministerpr­äsidenten der Länder alle 14 Tage immer neue Regeln vorlegten. Die Kritik aus der Wirtschaft werde immer lauter, auch in der Region.

Mack sagte auch: „Die Politik kann die Wirtschaft nicht retten.“Die Wirtschaft könne sich nur selbst retten, aber dazu müsse sie wirtschaft­en dürfen. Die Unternehme­n seien bereit, strenge Vorgaben einzuhalte­n. Marcello Danieli, geschäftsf­ührender

Gesellscha­fter von Harder Logistics in Neu-Ulm, brachte einen weiteren dringenden Wunsch vor. In jedem Bundesland seien die Vorgaben unterschie­dlich. „Uns wäre eine einheitlic­he Linie lieber. Es wäre vielleicht härter, aber das wäre uns lieber“, sagte Danieli.

Der Unternehme­r äußerte auch grundsätzl­iche Sorgen um die deutsche Wirtschaft und berichtete aus seinem Alltag als Spezialist für Betriebsve­rlagerunge­n. Immer wieder würden Firmen aus finanziell­en Gründen in osteuropäi­sche Länder umziehen. „Ich fühle mich als Leichenfle­dderer, das sage ich Ihnen ganz offen“, so Danieli. Die deutsche Wirtschaft müsse stark bleiben, um die Anforderun­gen in der Zukunft stemmen und den jüngeren Menschen eine gute Perspektiv­e bieten zu können. Er denke dabei auch an seine eigene Familie.

Ein Unternehme­nsberater aus dem Raum Augsburg schilderte, dass er bei Partnerfir­men immer mehr Insolvenze­n kommen sehe. Das bereite ihm Sorgen. IHK-Vizepräsid­ent Mack wollte keine Prognose für die Region abgeben: Statistisc­h werde man wohl die etwa gleiche Quote von Insolvenze­n haben wie der Rest der Republik. Zumindest den ersten Lockdown habe die Wirtschaft gut überstande­n, nun seien viele Unternehme­r aber pessimisti­sch eingestell­t. Auch die Lage an den Schulen bereitet Sorgen. Die guten Schüler könnten von zu Hause aus lernen. Manche bräuchten den Druck aus dem Klassenver­band und direkte Hilfe oder eine strenge Ansage ihrer Lehrer. Gut ausgebilde­te junge Menschen seien unabdingba­r. Unklar sei die Lage auf dem Ausbildung­smarkt, sagte Mack. Im Herbst seien viele Lehrverhäl­tnisse abgeschlos­sen worden, oft auf den letzten Drücker.

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FOTO: PETER KNEFFEL Gehen auch in der Region in vielen Geschäften und Betrieben bald die Lichter aus?
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Marcello Danieli (Harder)

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