Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Der Job ist noch stressiger geworden

Die Pandemie erschwert den Hebammen die Arbeit – viel Eigeniniti­ative ist gefragt

- Von Verena Pauer

LAUPHEIM/ACHSTETTEN - Elisabeth Liebhardt-Böhm ist viel unterwegs. Sie sitzt im Auto auf dem Weg zu einem Termin. Liebhardt-Böhm ist von Beruf Hebamme. Zusammen mit vier Kolleginne­n bildet sie das Team der Hebammenpr­axis Laupheim. Gerade hat sie noch ein Baby im Rathaus angemeldet – eine ungeplante Hausgeburt. Jetzt fährt sie eine halbe Stunde zum nächsten Termin. „Seit fünf bis sechs Jahren sind wir chronisch unterbeset­zt“, sagt sie. Die Corona-Pandemie hat die Situation noch einmal verschärft: FFP2-Maske ist Pflicht. Kurse finden online statt oder fallen aus. Und immer wieder müssen Hebammen in Quarantäne. „Es ist deutlich stressiger“, sagt die 58-Jährige. „Und stressig war es vorher schon.“

Termine müssten nun viel intensiver vor- und nachbereit­et werden, sagt auch Jutta Eichenauer, Erste Vorsitzend­e des Hebammenve­rbands Baden-Württember­g. Vorab führen viele ihrer Kolleginne­n Telefonate durch, klären Fragen, um so wenig Zeit wie möglich bei den Frauen zu Hause zu verbringen. Auch Desinfizie­ren zwischen den Terminen und das Ausfüllen von neuen Formularen raube Zeit. Dazu komme außerdem, dass immer wieder eine Hebamme in Quarantäne müsse. Im Landkreis Biberach würden dann die anderen Hebammen die Termine übernehmen, sagt Liebhardt-Böhm.

Besonders zu Beginn der Pandemie sei die Unsicherhe­it groß gewesen, erzählt die Hebamme: „Wir wussten nicht: Dürfen wir Hausbesuch­e machen? Wer darf dabei sein? Müssen wir den Mann und die Kinder wegschicke­n?“Die Politik habe dazu keine Regeln vorgegeben. Auch Schutzausr­üstung sei am Anfang Mangelware gewesen. „Es gab praktisch nichts“, bestätigt Eichenauer. „Wir haben Kontakt mit den Kommunen aufgenomme­n, um so Dinge wie Masken und Handschuhe zu bekommen.“Einige Kreise hätten ihre Hebammen daraufhin versorgt, andere nicht.

Doch die Schutzausr­üstung ist wichtig. Denn die Hebammen gehen weiterhin zu den werdenden und frisch gebackenen Müttern nach Hause. Vorsorgeun­tersuchung­en oder Wochenbett­betreuung könnten nicht online stattfinde­n, sagt die Landesvors­itzende. Außerdem würden die Frauen auch während der Pandemie alle Hilfe bekommen wollen, die sie brauchen, erzählt Liebhardt-Böhm. Nur während der ersten Welle hätten die Frauen weniger Hausbesuch­e gewünscht. Viele Hebammen hätten sich deshalb in Eigeniniti­ative die fehlenden FFP2Masken, Handschuhe und Desinfekti­onsmittel besorgt. Das Geld hätten sie nur in geringen Teilen von der Krankenkas­se erstattet bekommen. Für die 62 Cent Hygienezus­chlag, die Liebhardt-Böhm für einen Hausbesuch bekommt, kann sie sich keine FFP2-Maske leisten.

Deshalb fordert der Hebammenve­rband Baden-Württember­g auch, dass Hebammen früher geimpft werden. Denn anders als in anderen Bundesländ­ern gehören sie hier nicht zur Impfgruppe eins, sondern werden in die zweite Gruppe eingeordne­t. „Du kannst Schwangere nicht impfen. Du kannst Stillende nicht impfen“, sagt die Vorsitzend­e Eichenauer. „Da sollten wir doch in die Gruppe gehören, die geimpft wird, damit wir die Schwangere­n schützen können.“Auch seien die Hebammen, die bei einer Geburt helfen, dabei sehr stark Aerosolen ausgesetzt. Zwar tragen die Geburtshel­ferinnen Schutzklei­dung. Die Gebärenden könnten aber keine Maske tragen, sagt Eichenauer. Auch Plexiglas oder Lüften seien im Kreißsaal nicht möglich. Bisher gab es aus dem Sozialmini­sterium Baden-Württember­g noch keine Rückmeldun­g. Es sei schon schwer gewesen, den Beruf der Hebamme als systemrele­vant einstufen zu lassen. Doch nur so konnten ihre Kolleginne­n zu Beginn ihre Kinder in die Notbetreuu­ng schicken.

Auch die Regelungen der Krankenkas­sen seien zu Beginn der Pandemie ein großes Problem gewesen, sagt Eichenauer: „Onlinekurs­e haben sie vor der Pandemie nicht finanziert.“Zu Beginn seien sie dann nur für drei Monate von der Krankenkas­se übernommen worden – eine Verlängeru­ng der Kostenüber­nahme nicht sicher. So hätten die Hebammen jedoch nur schwer planen können, sagt die Vorsitzend­e. Mittlerwei­le würde die Finanzieru­ng der Onlinekurs­e zumindest immer im halbjährli­chen Rhythmus verlängert. Zwar seien – unter Einhalten der geltenden Regeln – auch weiterhin Kurse in Präsenz erlaubt. Doch die kleineren Gruppen sind für viele nicht rentabel oder die Hebammen wollen Kurse in Präsenz während der Pandemie nicht verantwort­en.

Elisabeth Liebhardt-Böhm gibt ihre Kurse deshalb jetzt online – zumindest soweit das möglich ist: „Kurse wie die Babymassag­e finden zum Beispiel gerade nicht statt.“Die Angebote in ein Onlineform­at umzuwandel­n, sei eine der größten Umstellung­en gewesen, erzählt sie. Weder sie noch ihre Kolleginne­n hätten sich außerdem mit der Technik ausgekannt: „Wir sind Praktikeri­nnen und nicht unbedingt computerbe­wandert.“So hätten sich die Hebammen zu Beginn erst einmal einarbeite­n müssen. Bei Kolleginne­n im Umkreis seien die Kurse ausgefalle­n. Das habe sich auch in der Hebammenpr­axis bemerkbar gemacht. Auf einmal gab es wesentlich mehr Anfragen für die Onlineange­bote.

Auch für die Schwangere­n und frisch gebackenen Mütter ist das neue Format eine Umstellung. Denn in den Onlinekurs­en ist es für die Frauen nicht möglich, andere Mütter kennenzule­rnen und sich auszutausc­hen. „Aber sie sind auch froh, dass sie fundierte Infos bekommen und nicht alles im Internet suchen müssen“, erklärt Liebhardt-Böhm. Doch die Onlinekurs­e bieten auch neue Möglichkei­ten. Eine Bekannte Liebhardt-Böhms wohnt in Bolivien,

Hebamme Elisabeth Liebhardt-Böhm über die Situation.

kann aber an den Kursen teilnehmen. Eine andere Schwangere betreut die Hebamme ausschließ­lich online. Sie wohne nicht in Laupheim, habe in ihrer Region aber keine Hebamme gefunden.

Dass eine Schwangere keine Hebamme findet, komme immer wieder vor, sagt Liebhardt-Böhm. Rund um Laupheim sind alle Hebammen bis September ausgebucht. „Wir kriegen täglich Anrufe von Frauen, die ihren Entbindung­stermin im August haben.“Wenn die auch nach dem zwanzigste­n Anruf noch keine Hebamme finden könnten, sei der Frust groß. Auch sie habe erst lernen müssen, „Nein“zu sagen. „Aber das muss man tun, sonst geht man zugrunde und kann niemandem mehr helfen.“

Denn eine Hebamme habe nie Feierabend, erzählt LiebhardtB­öhm. „Man ist immer auf Abruf.“Auch um 23 Uhr, morgens um sechs oder an Weihnachte­n würden sich frisch gebackene Mütter bei ihr melden. Notfälle seien das nicht immer. Auch wenn es sich für die Frauen so anfühle. Immer auf Abruf bereit zu sein, das vertrage nicht jede Beziehung, weiß Liebhardt-Böhm. Sie wundere es deshalb auch nicht, dass in manchen Ausbildung­sjahrgänge­n nach zwei Jahren im Beruf nur noch ungefähr die Hälfte als Hebamme arbeite.

Auch wenn sie ihren Job gerne macht: „Ich würde den Beruf immer nochmal wählen. Ich finde ihn super interessan­t und spannend.“Es sei schön, Familien zu unterstütz­en. Daran ändere auch die Pandemie nichts. Dass die Hebammen sich nicht unterkrieg­en lassen, dessen ist sich auch die Vorsitzend­e Eichenauer sicher. Hebammen seien schließlic­h Kämpferinn­en.

„Seit fünf bis sechs Jahren sind wir chronisch unterbeset­zt.“

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SYMBOLFOTO: CAROLINE SEIDEL, DPA Vorsorgeun­tersuchung­en durch die Hebamme sind nicht online möglich, deshalb gehen Hebammen auch in der Pandemie zu werdenden Müttern nach Hause.

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