Schwäbische Zeitung (Laupheim)

„Bizarre Eigenbrötl­erei hat zerstöreri­sche Kraft“

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Diesen Leserbrief haben wir bekommen zum Artikel „Reichsbürg­er sprengt Grünen-Talk“(5. Februar):

Es mag zwar zunächst ganz amüsant klingen, wenn das Treiben des Berghüler Unternehme­rs Georg Schöll, der sich als „Untertan“eines imaginären „Königreich­s Deutschlan­d“fühlt, ebenso wie das seines in der Phantasie regierende­n „Königs“und „Wundertäte­rs“Peter Fitzek als bizarre Eigenbrötl­erei erscheint. Es wäre aber höchst wünschensw­ert, dass ebenso auf weitere Facetten der ideologisc­hen Wahnwelt dieses „Königreich­s“aufmerksam gemacht würde: Dass nämlich diese Leute auch Anhänger der „Germanisch­en Neuen Medizin“des seinerzeit mehrfach straffälli­g gewordenen (und inzwischen verstorben­en) Scharlatan­s Ryke Geerd Hamer sind, der nicht nur die Lehre einer Ablehnung jeder schulmediz­inischen Krebsthera­pie verbreitet­e, sondern vor allem einen verschwöru­ngsgläubig­en und brandgefäh­rlichen Antisemiti­smus. So gehörte es zu Hamers Wahnvorste­llungen, dass Juden und „Talmud-Zionisten“hinter aller Schulmediz­in und vor allem ihren Krebsthera­pien stünden, wobei während der Chemothera­pie den Patienten „Chips“mit „Giftkammer­n“eingepflan­zt würden, die von Juden per Satellit ausgelöst werden könnten, um die Patienten zu töten...(!) Vertreter dieser abstrusen Wahnvorste­llungen waren im Jahr 2013 von Georg Schöll als Referenten nach Berghülen eingeladen worden, um ihre Ideologie vor etwa siebzig Zuhörern auszubreit­en, wogegen sich dann zwar eine Protest-Initiative von Medizinern gebildet hatte – der Aspekt des Antisemiti­smus geriet dabei jedoch wohl eher ins Hintertref­fen.

Es dürfte bekannt sein, dass Verschwöru­ngs-Antisemiti­smus zwar zunächst als Hirngespin­st in der Phantasie von Wirrköpfen unabhängig von der Existenz realer Juden/Jüdinnen entsteht und weitergege­ben wird, dann aber irgendwann zerstöreri­sche Kraft entfaltet und sich gegen reales jüdisches Leben richtet: Das hat das rechtsterr­oristische Attentat gegen die Synagoge in Halle im Oktober 2019 sowie die Zunahme von Schmähunge­n und Angriffen gegen reale jüdische Menschen während der letzten Jahre in erschrecke­nder Weise gezeigt. Diese Hintergrun­d-Informatio­n zum verhängnis­voll wirkmächti­gen Treiben solcher Zeitgenoss­en, mit denen auch die Querdenker sympathisi­eren, sollte deshalb bei seiner Darstellun­g als skurrile Spinnerei nicht unter den Tisch geschwiege­n werden.

Es ist gut, dass der Grünen-Kandidat Robert Jungwirth diesem Mann gegenüber spät, aber nicht zu spät die Reißleine gezogen und ihn ausgeladen hat.

Christiane Schmelzkop­f, Laichingen

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