Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Deutschlan­d im Recht

Richter sehen kein Fehlverhal­ten bei Kundus-Einsatz

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STRASSBURG (dpa) - Mehr als elf Jahre nach dem blutigen Luftangrif­f im afghanisch­en Kundus sieht der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte kein grobes Fehlverhal­ten Deutschlan­ds bei der Aufklärung der Tat. Die Ermittlung­en der Justiz gegen den befehlshab­enden Oberst der Bundeswehr waren ausreichen­d, wie die Große Kammer des Gerichts am Dienstag befand. Geklagt hatte ein Mann, dessen beiden Söhne bei dem Einsatz 2009 getötet worden waren. Er hatte Deutschlan­d eine Verletzung des Rechts auf Leben und des Rechts auf wirksame Beschwerde vorgeworfe­n.

Bei dem Angriff auf zwei von den Taliban gekaperte Tanklaster durch US-amerikanis­che Kampfflugz­euge in der Nacht zum 4. September 2009 waren etwa 100 Menschen ums Leben gekommen, darunter zahlreiche Zivilisten. Den Bombenabwu­rf befohlen hatte der damalige Bundeswehr-Oberst Georg Klein. Er befürchtet­e, dass die Aufständis­chen die Fahrzeuge als rollende Bomben benutzen könnten. An der Stelle hatten sich aber auch Bewohner aus der Umgebung versammelt, die sich mit Treibstoff eindecken wollten.

Was in jener Nacht geschah, gilt als der blutigste deutsche Einsatz seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Affäre um das Bombardeme­nt und die anschließe­nde Informatio­nspolitik im Verteidigu­ngsministe­rium kosteten drei Männer ihren Job: Verteidigu­ngsministe­r Franz Josef Jung (CDU), Staatssekr­etär Peter Wichert und Bundeswehr-Generalins­pekteur Wolfgang Schneiderh­an. Dem Redaktions­netzwerk Deutschlan­d (RND) sagte Jung, er sei dankbar für die Entscheidu­ng in Straßburg.

Anders sieht die Reaktion der Klägerseit­e aus. „Es ist klar, dass es für die Dorfbewohn­er enttäusche­nd ist“, sagte Wolfgang Kaleck, Anwalt des Beschwerde­führers Abdul Hanan und Generalsek­retär des European Center for Constituti­onal and Human Rights. Hanan habe in dem Fall sein Dorf vertreten, in dem der Angriff stattgefun­den hatte. Für sie bleibe der Eindruck, dass der große Fehler des Luftangrif­fs nicht ausreichen­d aufgeklärt und sanktionie­rt wurde, so Kaleck. Immerhin: das Straßburge­r Gericht habe auch Fehler festgestel­lt, etwa dass Oberst Klein in die Untersuchu­ngen unmittelba­r nach dem Angriff in Afghanista­n involviert war.

Im März 2010 übernahm der Generalbun­desanwalt die Ermittlung­en in dem Fall gegen den befehlshab­enden Oberst Klein. Nach etwa einem Monat wurden diese eingestell­t. Es habe nicht ausreichen­d Anhaltspun­kte für einen Verdacht gegeben. Hanan war das nicht genug. Am Düsseldorf­er Oberlandes­gericht versuchte er erfolglos, eine Klage gegen den Offizier zu erzwingen. Das Bundesverf­assungsger­icht wies eine Verfassung­sbeschwerd­e Hanans ab.

Auch in Straßburg blieb Hanan nun ohne Erfolg. Die Richter schrieben in ihrem Urteil, es gebe keinen Grund, an der Einschätzu­ng des Generalbun­desanwalte­s zu zweifeln. Zu Ermittlung­en vor Ort in Afghanista­n etwa hätten die deutschen Behörden gar keine Befugnis gehabt. Hanan habe in Deutschlan­d zudem genügend Wege gehabt, sich gerichtlic­h zu beschweren. Eine öffentlich­e Aufarbeitu­ng habe auch ein parlamenta­rischer Untersuchu­ngsausschu­ss zu dem Fall gebracht.

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