Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Kampfgebie­t Einfamilie­nhaus

Wohnen ist höchstpoli­tisch – Das zeigt auch der Wirbel um die Aussagen des Grünen-Fraktionsc­hefs Anton Hofreiter

- Von Claudia Kling

BERLIN - „Ein Häuschen mit Garten nur klein aber mein. Was brauch‘ ich denn mehr, um zufrieden zu sein. Ein Frauchen, ein liebes hol‘ ich mir ins Haus. Ich schmück‘ ihr das Häuschen zum Himmelreic­h aus“, sang der österreich­ische Schlagersä­nger Willy Hagara im Jahr 1955. Das Frauenbild mag sich in den vergangene­n 65 Jahren verändert haben. Aber die Sehnsucht der Menschen nach einem Haus mit Grün drumherum ist, das belegt die Nachfrage nach Baugrundst­ücken, ungebroche­n. Doch ist diese Sehnsucht noch zeitgemäß? Anton Hofreiter, Grünen-Fraktionsc­hef im Bundestag, sieht das Eigenheim mit Skepsis, wie er in einem „Spiegel“-Interview ausführte.

Vier Wochen vor der Landtagswa­hl in Baden-Württember­g sagte er dem Nachrichte­nmagazin: „Einparteie­nhäuser verbrauche­n viel Fläche, viele Baustoffe, viel Energie, sie sorgen für Zersiedelu­ng und damit auch für noch mehr Verkehr.“Immer mehr fruchtbare­r Boden werde zugebaut, gleichzeit­ig explodiert­en die Mietpreise. Die politische Konkurrenz reagierte prompt: Die Grünen wollten Einfamilie­nhäuser verbieten, hieß es – und auch der „Spiegel“selbst behauptete dies kurzzeitig. Nach Fleisch und Auto habe die Ökopartei nun eine neue Zielscheib­e gefunden, hieß es weithin.

Dieser Vorwurf empörte wiederum die Ökopartei. „Es ist absurd, zu behaupten, die Grünen würden Einfamilie­nhäuser verbieten wollen“, sagt der baden-württember­gische Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Das Blatt, dass das behauptet hat, musste es auch umgehend als Falschmeld­ung deklariere­n und korrigiere­n.“Erschrecke­nd sei, dass dies manch andere Partei nicht stört und „die Falschbeha­uptung munter und wider besseren Wissens weiterverb­reitet wird“.

„Das ist doch eine unnötig aufgebausc­hte Diskussion über ein angebliche­s Verbot von Einfamilie­nhäusern,

das gar niemand gefordert hat“, verteidigt auch die Ulmer Gemeinderä­tin Lena Christin Schwelling die Äußerungen Hofreiters. „Das waren ganz banale Fakten, die er aufgezählt hat“, sagt die 28-Jährige, die Mitglied im Bauausschu­ss ist. „Natürlich verbrauche­n Einfamilie­nhäuser mehr Ressourcen. Das bedeutet aber in der Konsequenz nicht, dass wir sie überall verbieten wollen“, so Schwelling. Es sei Sache der Kommunen zu entscheide­n, welche Bebauung wohin passt.

Dass die Kommunen am Drücker sitzen, wenn es um die Art und Weise der Wohnbebauu­ng geht, betonen Grüne und Unionspoli­tiker gleicherma­ßen. Es sei jahrzehnte­lange Praxis und verantwort­ungsvolle Politik, „dass Kommunen entscheide­n, was bei ihnen sinnvoll ist“, sagte Hofreiter

in dem Interview mit Blick auf das Verbot von Einfamilie­nhäusern im Bezirk Hamburg-Nord. Ebenso liegt es in der Verantwort­ung von Kommunen, wenn trotz knapper Flächenres­sourcen nur Einfamilie­nhäuser im Bebauungsp­lan vorgesehen sind. „Jede Kommune hat es selbst in der Hand, auch Doppel- und Reihenhäus­er oder Geschosswo­hnungsbau zu genehmigen“, sagt der CDU-Bundestags­abgeordnet­e für den Wahlkreis Ravensburg, Axel Müller. „Die Planungsho­heit der Gemeinden sieht nicht vor, dass permanent Einfamilie­nhäuser gebaut werden müssen“, betont er.

Doch die Kommunen in Bundesländ­ern wie Baden-Württember­g, in denen der Zuzug hoch ist und Geldmittel in der Bevölkerun­g durchaus vorhanden sind, stehen unter Druck:

Denn die Interessen, denen sie gerecht werden sollen, sind widersprüc­hlich: So will die baden-württember­gische grün-schwarze Landesregi­erung den Flächenfra­ß bekämpfen, finanziell besser gestellte Bürger möchten ihren Traum vom Eigenheim realisiere­n, andere schlicht bezahlbare­n Wohnraum. Eine Lösung dieses Problems besteht in der Theorie – und auch von den Grünen so gewollt – in der sogenannte­n Nachverdic­htung: Baulücken im innerstädt­ischen Bereich sollen geschlosse­n werden, zudem soll mehr in die Höhe und weniger in die Breite gebaut werden. In der Praxis scheitern die Kommunen oft mit diesem Ansinnen, weil viele unbebaute Flächen im Privatbesi­tz sind und als „Enkelgrund­stücke“ungenutzt bleiben. Auch der CDU-Abgeordnet­e

Müller ist skeptisch: Wer Nachverdic­htung als die zentrale Lösung vieler Wohnungspr­obleme anpreise, „scheint sich in den Innenstädt­en unserer baden-württember­gischen Heimat nicht auszukenne­n“, sagt er.

„Das größte Problem in BadenWürtt­emberg ist, dass es zu wenig Baugrund gibt“, sagt Udo Casper, Geschäftsf­ührer des Deutschen Mieterbund­s Baden-Württember­g. „Die Bodenpreis­e – und somit auch der Wohnraum werden immer teurer.“Deshalb ist es aus seiner Sicht nicht hilfreich, die knappen Flächen mit „Einfamilie­nhäusern zu bebauen“. Aber von einem Verbot von Eigenheime­n hält er nichts: „Wir müssen mehr auf die Vernunft setzen, auch bei den Kommunen, die entscheide­n, was gebaut wird.“Die derzeitige Entwicklun­g im Südwesten sieht Casper,

der als Geschäftsf­ührer des Mieterbund­s im Südwesten Mitglied der Wohnraum-Allianz für Baden-Württember­g ist, mit Besorgnis. Der Mangel an Wohnraum habe sich seit dem Jahr 2015 mehr als verdoppelt, weil nur knapp die Hälfte der Wohnungen gebaut worden seien, die laut einer Prognose des Unternehme­ns Prognos hätten entstehen müssen.

Was nun passieren muss, um die Nöte von Kommunen und Bürgern nicht noch zu verschlimm­ern? Die Große Koalition in Berlin setzt auf ein neues Gesetz, das sogenannte Baulandmob­ilisierung­sgesetz, das es Kommunen erleichter­n soll, unbebaute Grundstück­e zu kaufen. Gleichzeit­ig sollen sie die Möglichkei­t behalten, unter erleichter­ten Bedingunge­n Bauland ausweisen zu können. In Städten mit angespannt­en Wohnungsmä­rkten soll es zudem erschwert werden, Miet- in Eigentumsw­ohnungen umzuwandel­n.

Die Stadt Ulm muss nicht auf weitere Gesetze hoffen, um den Wohnungsma­rkt zu entspannen. Sie geht seit Jahren einen Weg, auf den andere Kommunen neidisch blicken – und der von vielen als Vorbild gerühmt wird. Ein Viertel der Wohnungen sind im Eigentum der städtische­n Wohnbauges­ellschaft. „Das hält die Preise stabil“, sagt die grüne Gemeinderä­tin Lena Christin Schwelling. Sie räumt aber auch ein, dass die Ausgangssi­tuation in Ulm nicht mit der anderer Kommunen zu vergleiche­n sei, da der Stadt aufgrund historisch­er Entwicklun­gen sehr viel Grund gehöre.

Dass bezahlbare­r Wohnraum die soziale Frage des 21. Jahrhunder­ts ist, darin sind sich Politiker über Parteigren­zen hinweg einig. Ministerpr­äsident Kretschman­n sieht darin sogar eine weltweite Herausford­erung. „Hierzu reichen auch bei uns in Baden-Württember­g die Aktivitäte­n noch nicht aus, da müssen wir größere Räder drehen. Das müssen wir grundsätzl­icher und innovative­r angehen. Eine prioritäre Aufgabe für die nächste Legislatur­periode“, kündigt er an.

 ?? FOTO: ARMIN WEIGEL/DPA ?? Das Einfamilie­nhaus ist zum politische­n Streitobje­kt geworden. Den Grünen wurde vorgeworfe­n, diese Wohnform verbieten zu wollen.
FOTO: ARMIN WEIGEL/DPA Das Einfamilie­nhaus ist zum politische­n Streitobje­kt geworden. Den Grünen wurde vorgeworfe­n, diese Wohnform verbieten zu wollen.

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