Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Sorgfalt soll nicht am Werkstor enden
Was der Entwurf des Lieferkettengesetzes beinhaltet und welche Punkte offen sind
BERLIN - An einem wichtigen Punkt des geplanten Lieferkettengesetzes findet sich augenblicklich noch eine Leerstelle. Die Bußgelder für Unternehmen, die gegen die Menschenrechte verstoßen, sind mit „Y“und „Z“angegeben. Hier wird die Auseinandersetzung zwischen Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) in den kommenden Wochen weitergehen. Und auch die Bundestagsfraktion der Union dürfte noch versuchen, den Gesetzentwurf in ihrem Sinne zu verändern.
Nach langen internen Verhandlungen hat Heil den fast fertigen Entwurf nun aber den anderen Ministerien zur Abstimmung zugeschickt. Der Einigung zwischen Arbeits-, Wirtschafts- und Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) am vergangenen Freitag ging ein jahrelanger Konflikt voraus. Heil und Müller plädierten für das Lieferketten- oder Sorgfaltspflichtengesetz, um hiesige Firmen anzuhalten, die Menschenrechte der Beschäftigten in ihren ausländischen Zulieferfabriken zu schützen. Altmaier versuchte, das Vorhaben zu verzögern und zu entschärfen. Nun soll in Kürze das Kabinett einen vorläufigen Haken an die Sache machen. „Den Bußgeldrahmen sollte das Gesetz regeln“, sagte Hermann Gröhe (CDU).
„Die Festsetzung einzelner Bußgelder wäre dann Aufgabe der zuständigen Behörde“, so der Unionsfraktionsvize für Arbeit und Soziales im Bundestag. Insgesamt sei „die Einigung der drei Minister eine gute Lösung“, erklärte Gröhe. Über „Änderungsbedarf“werde man jedoch „im Lichte der parlamentarischen Beratungen und einer Anhörung entscheiden“.
Konsumgüter, die hiesige Geschäfte verkaufen, werden im Ausland
nicht selten unter schlechten Arbeits- und Umweltbedingungen produziert. Deshalb listet der Entwurf nun auf, welche Menschenrechte die Zulieferer deutscher Unternehmen nicht verletzen dürfen. Dazu gehören unter anderem die Rechte der Beschäftigten auf Leben, Gesundheit, angemessenen Lohn und Lebensunterhalt, Freiheit von Zwangs- und Kinderarbeit, sowie die Vereinigungsfreiheit und das Recht auf Kollektivverhandlungen.
Letzteres bedeutet, dass die Arbeiter Gewerkschaften oder ähnlichen Organisationen beitreten dürfen, um ihre Interessen durchzusetzen. Außerdem beinhaltet das Gesetz einige „umweltbezogene Pflichten“. So muss das Personal vor Emissionen von Quecksilber und organischen Schadstoffen geschützt werden. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) in Eschborn soll kontrollieren, ob die Firmen diese Regeln einhalten. Tun sie es nicht, können Bußgelder verhängt werden.
Eine Frage ist, was das Gesetz für bekannte Konflikte im Welthandel bedeutet. So gilt die Vereinigungsfreiheit
in China nicht, freie Gewerkschaften verbietet die Kommunistische Partei. Und beispielsweise aus Westafrika kommen immer wieder Berichte über Kinderarbeit im Kakaoanbau, der Lieferkette der Schokoladen-Produzenten. Wie genau muss man sich die Umsetzung der neuen Regeln also vorstellen?
Beispielsweise VW wird für seine Autofabriken in China sogenannte Risikoberichte verfassen und analysieren, ob es dort zu Verstößen gegen die Menschenrechte kommt. Schätzungsweise stellt sich der Konzern dann auf den Standpunkt, dass es zwar keine unabhängige Gewerkschaft gibt, wohl aber Komitees, die die Interessen der Arbeiter vertreten. Zu Vorwürfen der Unterdrückung der Uiguren in Westchina könnte VWs Verteidigung lautet, dass diese in seinem dortigen Werk keine Rolle spielt. „Möglich wäre es für uns dann, eine Beschwerde beim Bafa einzureichen“, sagte Miriam Saage-Maaß von der juristischen Bürgerrechtsorganisation ECCHR in Berlin. „Wir müssten konkret belegen, dass der Bericht von VW falsch oder unvollständig ist.“
Der zweite Weg laut Gesetzentwurf: „Wenn sich geschädigte Beschäftigte an uns wenden, könnten wir vor hiesigen Gerichten klagen“, so Saage-Maaß. Dass einheimische Organisationen im Namen von Geschädigten deren Rechte durchsetzen können, ist neu. Die Gerichte würden dann darüber befinden, ob die Firmen Schadensersatz zahlen müssen. Auf dieser Basis dürfte es künftig einige interessante Prozesse geben.
Die Umweltorganisation Greenpeace bezeichnete den Gesetzentwurf trotzdem als „Schwindel“. Dieser Schriftzug wurde am Dienstagmorgen mit Scheinwerfern auf das Bundeskanzleramt projeziert. Die Ökologen meinen, Wirtschaftsminister Altmaier habe die Regeln ausgehöhlt.