Schwäbische Zeitung (Laupheim)
„Den Zuschauern muss man auch den Vorwurf machen“
Roland Wehrle, Chef des Narrenverbands VSAN, zu Verstößen von Narren gegen die Corona-Regeln
RAVENSBURG - An mehreren Orten zogen am Wochenende und zum Wochenstart Narren durch die Städte – trotz Corona und dem Motto „Fasnet dahoim“für 2021. Vor allem in Überlingen und Rottweil kam es dabei zu Konflikten mit der Polizei. Im Interview mit Emanuel Hege nimmt Roland Wehrle, Präsident der Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte (VSAN, Foto: pr.), Stellung zu den umstrittenen Aktionen.
In Überlingen, Rottweil und Villingen waren dieser Tage Narren auf der Straße – ohne das Wissen der örtlichen Verwaltungen. Wie bewertet die VSAN das?
Wir hatten zunächst erwartet, dass alle Narren die Corona-Verordnung einhalten und dem Gesundheitsschutz den Vorrang geben. Überschreitungen davon müssen die Narren persönlich verantworten. Man kann hier aber schlecht ganze Zünfte verurteilen. Der Verband und alle Zünfte, soweit ich das überblicken kann, haben doch das Credo ausgegeben: Es gilt die Corona-Verordnung.
Wenige Narren haben sich bewusst zu größeren Versammlungen verabredet. Villingens Bürgermeister Jürgen Roth sagte, er hätte Verständnis für ein paar Narren gehabt, die herumstreunen – aber eine gezielte Verabredung mache ihn sauer. Haben sich Narren also unangemessen verhalten?
Ja. Genau diese Absprachen sind das, was wir nicht wollen. Wobei man auch sagen muss, dass es jeweils eine überschaubare Zahl an Narren war. Was mich viel mehr beschäftigt, sind die Zuschauer, die dazugekommen sind. In Rottweil, wenn ich das richtig mitbekommen habe, waren 400 bis 500 Menschen an der Straße. Das irritiert mich. Den Zuschauern muss man auch den Vorwurf machen, und sie müssen dafür juristisch geradestehen. Ich finde das ist das gleiche Phänomen wie bei Gaffern bei Unfällen und Feuerwehreinsätzen. Die wollten da nur etwas erleben. Ich drücke mich jetzt vorsichtig aus: Das finde ich schändlicher als das Verhalten der Narren, die vielleicht bei ihrer Aktion alle Corona-Regeln einhalten wollten.
Hätten die Narren in Rottweil nicht ahnen können, dass sich viele Menschen für den Narrensprung versammeln?
Ich hätte den Narren in Rottweil geraten, nicht morgens um 8 Uhr zu beginnen. Es war zu erwarten, dass dann viele Menschen kommen und gucken. Ich hätte mir gewünscht, dass die Narren sich wieder entfernt hätten, als sie die vielen Leute gesehen haben.
Ist das die Ansicht des gesamten Verbandes? Oder gibt es Befürworter des närrischen Treibens?
Grundsätzlich wird es im Verband niemand gut finden, wenn Narren der Auslöser für Menschenansammlungen sind. Wir haben einen großen
Konsens. Einzelaktionen durchzuführen soll möglich sein, wenn die Regeln eingehalten werden und keine Gefahr besteht. Und es gab tolle, coronakonforme Aktionen und Onlineveranstaltungen. Dagegen sind alle ganz bewusst gegen Corona-Regeln durchgeführten Veranstaltungen zu verurteilen.
Die Überlinger Narren kritisierten den Polizeieinsatz als „unverhältnismäßig“. Stimmen Sie dem zu?
Das ist aus der Distanz schwer zu beurteilen, aber ich kann sagen: Die Polizei hat bei uns in der Region Schwarzwald-Baar richtig reagiert. Sie ist eingeschritten, wo es Gefährdungen gab. Und sie ist dabei mit sehr viel Feingefühl und Augenmaß vorgegangen. Die Polizei wollte keine Auseinandersetzung – dafür will ich auch Danke sagen. So hatten wir das erhofft, denn wir hatten ja eine Diskussion mit dem Polizeipräsidium in Konstanz.
Ja, das war Anfang Februar. Die Polizei hat die Zünfte damals mit einem Schreiben in die Pflicht genommen, Narrenbäume und Bänder verboten. Sie haben die Polizei daraufhin kritisiert. Nach den Aktionen in Überlingen und Rottweil fühlt sich die Polizei nun wohl bestätigt in ihrem Kurs.
Nein, das glaube ich nicht. Wir wussten ja, dass wir gar keine Möglichkeit haben, wirklich alle Narren zu erreichen. Wir haben daran appelliert, dass jeder Narr eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung in der Pandemie zu übernehmen hat. Wir wollten Verständnis erzeugen und restriktive Maßnahmen verhindern. Wir wollten an die Vernunft appellieren. Bei denen, die keine Vernunft haben, haben wir eh keine Chance. Der Narr weiß, wie es ist, an Grenzen zu gehen. Aber er darf diese nicht überschreiten. In dem Schreiben der Polizei hat uns damals am meisten gestört, dass die Zünfte moralisch unter Druck gesetzt wurden. Es wurde verlangt, dass sie auf alle Narren einwirken müssen. Das können wir doch gar nicht. Da hat man uns im Vorfeld für etwas verantwortlich gemacht, für das wir nicht einstehen können. Später hat sich das dann aber etwas anders dargestellt. Am Ende hätten wir uns als Verband gewünscht, dass Einzelaktionen wie das Aufstellen des Narrenbaumes etwas differenzierter betrachtet werden. Denn alles, was auf der Straße stattfindet, hat man ja im Blick und kann gegebenenfalls eingreifen. Alles, was in Hinterhöfen passiert, ist doch deutlich gefährlicher.
Was ist Ihr Fazit zur Fasnet im Jahr 2021 unter Corona-Vorzeichen?
Man spürt, was einem fehlt. Jeder Narr hat die Fasnacht vermisst. Es ist die Zeit, in der man ausgelassen sein kann – die Fasnacht hat eine große psychohygienische Funktion. Ich finde es ganz toll, was unsere Zünfte an kleinen coronakonformen Aktionen auf die Beine gestellt haben. Das waren kleine Ventile, um eine schwierige Zeit zu überwinden. Wenn es bei dem bleibt, was ich kenne, können wir trotz der bekannten Auswüchse zufrieden sein mit der Fasnet 2021.