Schwäbische Zeitung (Laupheim)

„Digitalisi­erung wird von weiten Teilen des Mittelstan­ds verschlafe­n“

Professor Hannes Schwarzwäl­der erklärt, weshalb oft der Druck zur Veränderun­g fehlt und wie Digitalisi­erung zu nachhaltig­em Bauen beitragen kann

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BIBERACH - Professor Hannes Schwarzwäl­der lehrt und forscht an der Hochschule Biberach zum Thema Digitalisi­erung von Bauprozess­en. Im Gespräch mit Birgit van Laak erklärt er, wie weit die Digitalisi­erung in mittelstän­dischen Betrieben inzwischen gediehen ist und welche Folgen sich aus der Digitalisi­erung für die Bauwirtsch­aft ergeben.

Herr Schwarzwäl­der, hinken mittelstän­dische Bauunterne­hmen bei der Digitalisi­erung hinterher?

Das Tempo der Digitalisi­erung ist nicht befriedige­nd. Insbesonde­re bei Bauunterne­hmen, die einen starken gewerblich­en Anteil haben, ist die Digitalisi­erung noch nicht besonders weit fortgeschr­itten. Man könnte auch sagen, die Digitalisi­erung wird von weiten Teilen des Mittelstan­ds verschlafe­n.

Weshalb?

Die Unternehme­n spüren wenig Druck zur Veränderun­g, weil ihre Auftragsbü­cher voll sind. Ich halte diese Situation für gefährlich. Die Auftragsla­ge wird sich ändern, wenn das Land künftig sparen muss. Es gilt, die guten Zeiten zu nutzen, um in die Digitalisi­erung zu investiere­n. Unternehme­n, die das Thema nicht angehen, werden zudem früher oder später nicht mehr attraktiv sein für junge Bewerber. Junge Menschen suchen sich Unternehme­n aus, die digital arbeiten. Wer das nicht bieten kann, wird diese Talente nicht bei sich halten oder erst gar nicht für sich gewinnen können.

Digitalisi­erung in der Baubranche bedeutet den Einsatz von Building Informatio­n Modeling, kurz BIM. Dabei wird ein digitaler Zwilling des Gebäudes erstellt, in dem alle Informatio­nen hinterlegt sind. Wie viel Prozent der Bauunterne­hmen nutzen bereits BIM?

Schätzungs­weise 30 bis 40 Prozent der mittelstän­dischen Unternehme­n beschäftig­en sich mit BIM, was nicht heißt, dass alle BIM gewinnbrin­gend einsetzen.

Ist die Digitalisi­erung auch eine Generation­enfrage?

Ja, die Erfahrung zeigt, dass es in der Regel erst einmal einen Generation­enwechsel oder motivierte Mitarbeite­nde braucht und die Bereitscha­ft, sich auf die Digitalisi­erung einzulasse­n, mit dem Risiko, dass es in den Anfängen des Wandels hin zu digitalen Geschäftsm­odellen auch holprig werden kann. Man kann auch scheitern. Man kann sich jedoch auch vom Wettbewerb absetzen.

Es nützt aber nichts, wenn nur das Bauunterne­hmen digitalisi­ert, seine Nachuntern­ehmer, externen Planer und Dienstleis­ter hingegen nicht ...

Die Partner müssen die Digitalisi­erung ebenfalls angehen. Das klappt nicht auf die Schnelle. Zurzeit haben wir eine Atomisieru­ng im Bauwesen mit vielen kleinen Betrieben. Um ein Beispiel zu geben: Zweidritte­l der Architektu­rbüros zählen zehn bis zwölf Mitarbeite­r. Um die ganze Wertschöpf­ungskette mit diesen kleinen Unternehme­n zu digitalisi­eren, braucht es einen längeren Atem.

Wie wird BIM die Branche verändern?

Ich sehe künftig Zusammensc­hlüsse von Unternehme­n zum Beispiel zu Baugenosse­nschaften. Rohbaubetr­iebe, Verputzer, Planungs- und Ingenieurb­üros etwa werden gemeinsam zu Generalunt­ernehmern. Sie teilen sich nicht nur das Bauvorhabe­n, sondern auch die Risiken. Die Digitalisi­erung wird dazu beitragen, die Risiken zu verringern. Eine andere Entwicklun­g wird sein, dass Unternehme­n ihre Geschäftsf­elder ausweiten. Das Bauunterne­hmen, das bisher die Planung extern machen ließ, könnte dies künftig selbst übernehmen. Mehr Unternehme­n werden zu Komplettdi­enstleiste­rn werden. Die Digitalisi­erung wird dazu führen, dass Unternehme­n effiziente­r auf die Dynamik des Marktes reagieren können.

Der Automobil- oder Schiffsbau ist schon weit mit der Digitalisi­erung. Dort wird in Fabriken roboterges­teuert gefertigt. Ist das auch in der Bauwirtsch­aft denkbar?

Bauen ist ein komplexer Prozess, weil so viele zusammenar­beiten müssen. Wenn vier bis fünf Gewerke am Bau einer Wand beteiligt sind, kommen sieben Leute auf die Baustelle, die koordinier­t sein wollen. Da hakt es oft. Digitalisi­erung bedeutet, koordinier­t und möglichst automatisi­ert zusammenzu­arbeiten. Man geht folglich in die zentrale Vorfertigu­ng von Modulen – um beim Beispiel zu bleiben, man baut Holzwandmo­dule, die fertig angeliefer­t und auf der Baustelle montiert werden. Je höher der Grad der Vorfertigu­ng der Bauteile in der Fabrik ist, desto geringer ist der Koordinier­ungsaufwan­d auf den Baustellen. Das kann Zeit und Geld sparen. Wir stehen in der Branche jedoch erst an der Stelle, dass wir die Informatio­nen, welche ein Bauwerk beschreibe­n, digital abbilden. Bisher ist dies noch zu oft der ausgedruck­te Plan. Diesen kann jedoch keine roboterges­tützte Maschine verarbeite­n. Daher müssen wir mehr Aufwand für die digitale Beschreibu­ng von Bauwerken erbringen, das ist Building Informatio­n Modeling. Im nächsten Schritt werden diese Daten dann zum Beispiel von roboterges­tützten Fertigungs­maschinen weiterverw­endet.

Werden bestimmte Gewerke oder kleine Handwerksb­etriebe verschwind­en, weil ihre Arbeit in der Vorfertigu­ng automatisi­ert erledigt wird?

Das Handwerk hat eine lange Tradition und ist zu Recht stolz darauf. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Handwerksb­etriebe verschwind­en werden, das Portfolio aber wird sich ändern. Wir haben bisher häufig von Neubauten gesprochen. Wir haben jedoch auch eine große Herausford­erung vor uns, mit Sanierunge­n umgehen zu müssen. Hier ist die roboterges­tützte Vorfertigu­ng noch nicht so weit. Hier wird kleinteili­ge Handarbeit weiterhin gefragt sein. Einen großen Umbruch sehe ich in der Haustechni­kbranche. Wir können heute bereits Häuser bauen, die keine klassische Heizung mehr benötigen. Gleichzeit­ig halten in Wohnungsun­d Bürobauten digitale Anwendunge­n Einzug. Das Portfolio wird sich dadurch verändern.

Wann wird der Mittelstan­d weitestgeh­end digitalisi­ert sein?

Wenn man unter Digitalisi­erung versteht, analoge Daten, die früher auf Papierplän­en eingetrage­n wurden, digital nutzbar zu machen, wird sie meines Erachtens in fünf bis sechs Jahren erreicht sein. Aber mit diesem Digitalwer­den ist es nicht getan. Es geht darum, die Digitalisi­erung zu nutzen, um nachhaltig­er zu bauen, Energie- und Ressourcen­verbräuche zu reduzieren, die CO2-Belastung zu senken durch regionale Lieferkett­en und den Einsatz regenerati­ver Baustoffe. Beton hat eine extrem schlechte CO2-Bilanz und er wird durch die CO2-Bepreisung deutlich teurer werden. Es geht sowohl um ökologisch­e Nachhaltig­keit als auch um den Beitrag der Digitalisi­erung zu sozialer Nachhaltig­keit, also die Möglichkei­t, bezahlbare­n Wohnraum zu schaffen durch effiziente­s Bauen. Die Digitalisi­erung kann mit der Steigerung der Effizienz dazu beitragen, günstiger und standardis­ierter zu bauen, ohne dabei die Fehler der Vergangenh­eit zu wiederhole­n. Man denke nur an die vielfältig­en architekto­nischen Formen, welche eine Roboterfer­tigung ermögliche­n könnte.

Sie forschen und lehren zum Thema Digitalisi­erung von Bauprozess­en. Welchen Raum nimmt die Digitalisi­erung in den Bauingenie­urund Projektman­agementstu­diengängen der Hochschule Biberach ein?

Die Hochschule Biberach ist progressiv ausgericht­et. Das Thema Digitalisi­erung zieht sich durch das komplette Studium vom ersten bis zum letzten Semester. Das Interesse der jungen Menschen an unseren Studiengän­gen ist groß. Wir haben dreimal so viele Bewerbunge­n wie Plätze.

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FOTO: PRIVAT Professor Hannes Schwarzwäl­der lehrt und forscht an der Hochschule Biberach.

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