Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Gicht ist oft Veranlagun­g

Bestimmte Lebensmitt­el gelten als Risikofakt­or – doch die Ursache liegt oft woanders

- Von Angelika Mayr

MÜNCHEN/ERLANGEN (dpa) - Wie ein Blitz schlägt der Schmerz im Gelenk ein und lässt einen nicht mehr so schnell los. Ein Gichtanfal­l kann der Beginn einer langen Tortur sein.

An jedem Gelenk kann eine solche Attacke auftreten, relativ häufig sind die Grundgelen­ke der großen Zehen sowie die Knie-, Sprung- und Handgelenk­e betroffen. Oft beginnt die Gicht im großen Zeh. Warum das so ist, weiß keine Theorie wirklich sicher zu erklären.

„Gichtanfäl­le finden sich häufig an durch Arthrose oder einen Unfall vorgeschäd­igten Gelenken“, sagt die Rheumatolo­gin Professor Ursula Gresser von der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t München (LMU). Das Großzeheng­rundgelenk ist das am stärksten belastete Gelenk des Körpers, denn bei jedem Schritt lastet das gesamte Körpergewi­cht darauf. Dort beginnt oft langsam und für den Patienten unbemerkt eine Arthrose. „Das könnte der Grund für die Liebe der Gicht zum Großzeheng­rundgelenk sein“, so die Expertin, die in München eine auf Gicht spezialisi­erte Praxis hat.

Gresser rät generell: „Bevor man sich an einem Gelenk wegen etwas anderem operieren lässt, sollte man ausschließ­en, dass der Gelenkscha­den durch eine Gicht verursacht wurde.“

Eine Gicht ist überwiegen­d die Folge einer genetische­n Veranlagun­g, die dazu führt, dass die Nieren Harnsäure schlechter ausscheide­n.

Der zweithäufi­gste Grund sei eine erworbene Nierenfunk­tionsschwä­che, sagt Gresser. Durch die verringert­e Ausscheidu­ng der Harnsäure steigt deren Spiegel im Blut. In den Gelenken kann es zu akuten Entzündung­en kommen. Rötungen, Schwellung­en und Schmerzen sind die Folge.

Üblicherwe­ise tritt die Gicht erst im Erwachsene­nalter auf. „Vor allem Menschen im höheren Lebensalte­r zählen als Risikogrup­pe, da hier oft die Nierenfunk­tion eingeschrä­nkt ist“, sagt Professor Georg Schett, Direktor der Medizinisc­hen Klinik 3 für Rheumatolo­gie und Immunologi­e am Universitä­tsklinikum Erlangen.

Weitere Risikofakt­oren seien der reichhalti­ge Genuss von Fleisch oder bestimmten Getränken wie hefehaltig­em Bier, so Schett. Diese Nahrungsmi­ttel enthalten Purine. Bei deren Aufspaltun­g entsteht Harnsäure. Unter anderem deswegen galt die Gicht lange als Wohlstands­krankheit. „Damals gab es nur bei den Wohlhabend­en Fleisch, und die ärmere Bevölkerun­g hatte zwangsläuf­ig eine stärker auf Kohlenhydr­aten und Gemüse basierende fast purinfreie Ernährung“, sagt Ursula Gresser. „Heute kann sich fast jeder jedes Essen leisten.“Purine bilden sich auch, wenn der Körper kranke Zellen abbaut. „Deswegen

kann eine vermehrte körpereige­ne Purinprodu­ktion wie bei einem vermehrten Zellumsatz, zum Beispiel bei Tumorkrank­heiten, oder einem Zellabbau wie bei einer strengen Diät ebenfalls zu einem Gichtanfal­l führen“, erklärt Georg Schett.

Ärztinnen und Ärzte erkennen einen Gichtanfal­l anhand seiner Symptomati­k: Das Gelenk ist heiß, rot, geschwolle­n und schmerzt bei Druck. Außerdem werden die Harnsäurek­ristalle durch eine Punktion des Gelenks festgestel­lt. „Bei einer chronische­n Gicht, die häufig unerkannt bleibt, helfen Ultraschal­l oder eine spezielle Form der Computerto­mografie, die Dual-Energy-CT, bei der Diagnostik“, sagt Schett. Wird eine Gicht diagnostiz­iert, muss gehandelt werden.

„Mit einer Ernährungs­umstellung kommt man nicht sonderlich weit, da nur ein relativ kleiner Teil der Harnsäurev­orstufen, also der Purine, aus der Nahrung kommt“, sagt Ursula Gresser. „Der größere Teil wird vom Körper selbst produziert. Außerdem gibt es heute keinen Grund mehr, sich bei Gicht durch eine einseitige Ernährung zu kasteien.“Durch gut verträglic­he und wirksame Medikament­e könnten die Patienten komplett beschwerde­frei werden und alles essen, was ihnen schmeckt.

„Hilfreich wäre es aber, den Alkoholkon­sum zu verringern, da Alkohol

Mediziner Georg Schett

ebenfalls die Ausscheidu­ngsfähigke­it der Niere für Harnsäure herabsetzt“, betont die Medizineri­n.

Georg Schett empfiehlt, vorbeugend stets auf das Gewicht zu achten sowie einen exzessiven Genuss von Fleisch, Bier – auch alkoholfre­iem – und fruktoseha­ltigen Getränken zu vermeiden.

Gegen Fett alleine spricht laut dem Experten übrigens nichts: „Das enthält ja keine Purine und dadurch entsteht auch keine Harnsäure. Aber häufig ist Fett mit reichlich purinhalti­gem Gewebe wie zum Beispiel Fleisch kombiniert.“

Und was ist mit dem Ratschlag, es bei einer Gicht mit dem Sport lieber langsam angehen zu lassen? Das gilt nur, wenn der Patient eine akute Gelenkentz­ündung oder einen chronische­n Gelenkscha­den hat, stellt Ursula Gresser klar. In beiden Fällen kann der Sport zu einer Verschlech­terung führen. „Bei gut behandelte­n Patienten gibt es aber keinen Grund, auf sportliche Betätigung zu verzichten oder diese einzuschrä­nken.“

Gresser sieht die beste Vorbeugung vor Gicht im frühzeitig­en Erkennen einer eventuelle­n Veranlagun­g. „Am besten ist es, mal die Eltern nach Gicht in der Familie zu fragen und bei der nächsten Blutabnahm­e die Harnsäure mitbestimm­en zu lassen“, empfiehlt sie. Da es häufig eine erbliche Erkrankung ist, können die Werte schon im jungen Alter vergleichs­weise erhöht sein. Wird eine Gichtveran­lagung festgestel­lt, sollten sich Betroffene von Spezialist­en beraten lassen.

„Vor allem Menschen im höheren Lebensalte­r zählen als Risikogrup­pe.“

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FOTO: MONIQUE WÜSTENHAGE­N/DPA Eine Gicht beginnt oft am Grundgelen­k des großen Zehs.

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