Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Einer wie Aiwanger fehlt im Südwesten
Die Freien Wähler wollen in den Landtag – Wie sie der AfD Stimmen abnehmen wollen
STUTTGART - 0,1 Prozent der Wähler setzten bei der baden-württembergischen Landtagswahl im Jahr 2016 ihr Kreuz bei den Freien Wählern. Fünf Jahre danach will die Partei nun unbedingt den Sprung in den Landtag schaffen. Dabei setzt sie auch auf Wähler, denen die AfD zu weit nach rechts gerückt ist.
Das erste Ziel haben die Freien Wähler erreicht: In 69 von 70 Wahlkreisen gibt es einen Kandidaten für die anstehende Landtagswahl – 2016 gab es in Summe gerade einmal fünf Kandidaten. Nach eigenen Angaben wurde auch die Mitgliederzahl in den vergangenen Monaten verdoppelt – auf jetzt mehr als 300. Doch das allein reicht nicht, wie die neueste Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa belegt. Demnach konnten sich die Freien Wähler im Vergleich zu 2016 zwar erheblich steigern, kommen aber trotzdem nur auf einem Prozent – und scheitern damit deutlich an der Fünf-Prozent-Hürde.
Bernd Barutta, Spitzenkandidat der Partei in Baden-Württemberg, ist trotzdem zuversichtlich. Statt auf Umfragewerte blickt er auf die Ergebnisse der Europawahl 2019. Damals erreichten die Freien Wähler 3,2 Prozent. „Das sind immerhin mehr Stimmen, als die Linkspartei bekommen hat“, sagt Barutta. „Da kann man also schon von einer Basis reden.“Aktivieren will die Partei diese Basis im Wahlkampf-Endspurt mit der Forderung, die Kommunen zu stärken und mehr direkte Demokratie zuzulassen. Sie setzt sich ein für eine dezentrale Energiepolitik, sie fordert Mindestpreise für landwirtschaftliche Produkte aus dem Land, die Wiedereinführung des neunjährigen Gymnasiums und will den Mittelstand mit einem Konjunkturprogramm unterstützen. In Sachen Pandemiebekämpfung ernten die Regierungsparteien von den Freien Wählern heftige Kritik. „Der größte Fehler war, dass man den Sommer verschlafen hat, sich auf die zweite Welle vorzubereiten“, sagt Barutta. „Das gilt für die Teststrategie, aber vor allem für den Bildungsbereich.
Man hätte im Sommer dafür sorgen müssen, dass Schulen mit Virenfiltern und den nötigen Endgeräten ausgestattet werden. Außerdem hätte ein Schutzkonzept für Lehrer ausgearbeitet werden müssen.“
Nicht zu verwechseln ist die Partei mit dem Landesverband der Freien Wähler, einem Verein, dem mehr als 9000 Gemeinde- und Kreisräte angehören. Der will mit der gleichnamigen Partei nichts zu tun haben. Für Barutta spielt das jedoch keine Rolle. „Wir sind selbstbewusst und fühlen uns nicht als Anhängsel des Verbandes. Wir wollen auch nicht in deren politische Sphäre eindringen“, sagt er. Großes Vorbild ist stattdessen das Nachbarland Bayern. Dort schaffte es
Hubert Aiwanger, ein Agraringenieur aus Niederbayern, mit den Freien Wählern 2008 sensationell in den bayrischen Landtag. Nach der letzten Wahl im Jahr 2018 wurde Aiwanger sogar stellvertretender Ministerpräsident und Wirtschaftsminister im Freistaat. Man habe auch gute Kandidaten, sagt Barutta, „aber klar, ein Hubert Aiwanger würde uns nicht schaden. Der spielt in einer anderen Liga.“
Kleinmachen wollen sich die Baden-Württemberger aber nicht. „Idealziel wäre für uns eine bürgerliche Mehrheit der Abgeordneten von CDU, FDP und Freien Wählern“, sagt Barutta. Die AfD schließe man als Regierungspartner aus. „Weder sprachlich noch inhaltlich sehen wir mit der AfD eine Verbindung.“Barutta könnte sich jedoch vorstellen, der AfD einige Wähler abzunehmen. „Ich glaube, dass vielen Wählern, die bei der letzten Landtagswahl die AfD gewählt haben, die AfD inzwischen zu weit nach rechts abgedriftet ist“, sagt er. „Gleichzeitig tun sich diese Wähler schwer, nach der Abkehr von der CDU oder der SPD wieder zu den alten Parteien zurückzukehren. Diesen Leuten möchten wir ein Angebot machen und ihnen Positionen bieten, die sie bei den klassischen Volksparteien nicht mehr finden. Wir bieten ihnen einen werteorientierte und bürgernahe Politik, die sich nicht in diesem Kosmos der Selbstgefälligkeit in Stuttgart wiederfindet.“