Schwäbische Zeitung (Laupheim)
„Frechheit“: Mattheis contra Scheffold
Disput zwischen Abgeordneter und Landrat – Es geht um eine Corona-Software
ULM - Trödelt der Alb-Donau-Kreis bei der Einführung wichtiger Software, um die Pandemie zu managen?
Auf eine Mahnung der Ulmer Gesundheitspolitikerin Hilde Mattheis hat Alb-Donau-Landrat Heiner Scheffold jetzt verschnupft reagiert. Was wiederum die Bundestagsabgeordnete ärgert. Hintergrund ist die schleppende Einführung der Software Sormas beim hiesigen Gesundheitsamt (beim Landkreis angesiedelt), mit dem unter anderem Kontakte nachverfolgt werden sollen.
Beide Parteien, Mattheis und Scheffold, kritisieren sich in offenen Briefen.
Der Disput ist kein lokaler, sondern schwelt bundesweit. Länderchefs und Kanzlerin hatten vor Kurzem beschlossen, dass alle Gesundheitsämter dieselbe Software zur Pandemiebekämpfung einführen. Sie heißt SORMAS und steht für „Surveillance and Outbreak Response Management System“. Doch wie andere Gesundheitsämter auch, arbeitet das hiesige Gesundheitsamt (zuständig für den Alb-Donau-Kreis und Ulm) noch mit einer anderen Technik. Die Argumente lauten: Das aktuelle System funktioniert einwandfrei; außerdem sei das Risiko eines Systemwechsels inmitten einer kritischen Phase der Pandemie nicht kalkulierbar.
Das hat die Ulmer Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis (SPD), ihres Zeichens Gesundheitsexpertin in Berlin, auf den Plan gerufen. In einem offenen Brief wollte sie am 10. Februar von Landrat Heiner Scheffold wissen, wann denn Sormas nun beim hiesigen Gesundheitsamt eingeführt werde.
Aus Mattheis’ Sicht (und auch aus Sicht von Bundeskanzlerin Angela Merkel und den Ministerpräsidenten) spreche einiges für die neue Software. Um das Virus effektiv – auch über Bundeslandgrenzen hinaus – eingrenzen zu können, sei eine bundeseinheitliche Software „unbedingt“vonnöten. Außerdem könnten Kontaktpersonen und -ketten durch Sormas „besser“gemanagt werden.
„Leider“, so Mattheis, habe der Landkreistag (dem der Alb-DonauKreis angehört) den flächendeckenden Einsatz von Sormas bislang torpediert. Indem sich dieser für die vielen unterschiedlichen Systeme starkgemacht habe, die in den Gesundheitsämtern zwischen Flensburg und Oberstdorf eingesetzt werden.
Zwischen den Zeilen von Mattheis klingen Ärger und Unverständnis durch. Millionen und Milliarden habe der Bund den deutschen Gesundheitsämtern für die Pandemiebekämpfung zur Verfügung gestellt (50 Millionen Euro allein für Software). Und nun ziehen es einige Gesundheitsämter vor, sich lieber weiter durchzuwursteln? Eigentlich sei abgemacht worden, dass die neue Software ab Ende Februar eingesetzt werden kann.
Was sagt der Verantwortliche dazu – was spricht aus Sicht von Landrat Heiner Scheffold gegen eine einheitliche Software-Lösung? Oder ist er gar ein Anhänger der deutschen Kleinstaaterei? Warum ergreift er mit Sormas nicht die Chance und entstaubt das Image des Gesundheitsamtes, in dem bis vor Kurzem noch Faxe als wichtiges Kommunikationsmittel galten.
Scheffold leitet seine Antwort – ebenfalls in einem offenen Brief (vom 18. Februar) – mit einer Spitze gegen Mattheis ein. Zunächst bedankt er sich und stellt dann süffisant fest, dass Mattheis ja schon seit „vielen Jahren“gesundheitspolitisch an einflussreicher Stelle in Berlin tätig sei. Er spielt darauf an, dass die SPD-Politikerin bis 2017 mehrere Jahre gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion war.
Und Scheffold legt nach. Die Pandemie sei schon rund ein Jahr alt – und nun komme Mattheis auf die Idee, sich über die Pandemie-Software im Gesundheitsamt zu erkundigen? Frei nach dem Motto: Wer sich so lange nicht um die Belange der Ämter vor Ort kümmere, der hat auch kein Recht zu motzen.
In der Tat, so Scheffold, seien viele Softwarelösungen zu Beginn der Pandemie aus der Not heraus
„zwangsläufig selbst entwickelt“worden. Nun aber funktionierten sie gut, eine vollständige Vernetzung sei erreicht.
Es sei außerdem nicht so, dass die Landkreise nicht gerne Hilfe aus Berlin annähmen. Im Fall der PandemieSoftware jedoch hätten sich Bund und Länder zu Beginn der Coronakrise nicht auf eine einheitliche Lösung einigen können. Da seien die Gesundheitsämter eben selbst tätig geworden – „in aller Eile und unter höchstem Druck“. Mit Erfolg, so Scheffold. Denn das in Ulm beim Gesundheitsamt eingesetzte Programm besitze mehr Anwendungsmöglichkeiten als Sormas bisher. Die Mitarbeiter kämen mit dem AlternativProgramm gut zurecht und auch der bundeslandübergreifende Austausch von Daten funktioniere.
Scheffold gibt zu bedenken, es sei riskant, inmitten der Pandemie auf ein anderes Pferd zu setzen. Er spricht von „nicht unerheblichen Risiken“– von Lücken in der Datenübertragung, die auftreten könnten, bis hin zu einem temporären „Stillstand“der Software. Dies könne doch nicht im Sinne der Pandemiebekämpfung sein.
Man kann nicht behaupten, die Pandemie habe Heiner Scheffold und Hilde Mattheis näher zusammengebracht. Ihr aktueller Disput ist nicht der erste. Vor wenigen Monaten schon hatte die Ulmer Abgeordnete das Landratsamt dafür kritisiert, dass die Leiterstelle des Gesundheitsamtes noch nicht besetzt sei (mittlerweile wurde eine zunächst befristete Lösung gefunden). Mattheis damals sinngemäß: Dies sei verheerend in einer Pandemie.
Und auch die aktuelle Antwort von Scheffold taugt nicht, um die beiden wieder zu versöhnen. Im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“zeigt sich Mattheis wegen Teilen von Scheffolds Antwort gar empört. Es sei schlicht falsch – „eine Frechheit“– ihr zu unterstellen, sie würde sich erst jetzt um die Belange des Gesundheitsamts kümmern. Seit langer Zeit schon habe sie versucht, über die Kreistagsfraktion der SPD an Infos aus dem Gesundheitsamt zu kommen. Umfangreicher Schriftverkehr würde dies belegen. Außerdem habe sie sich auf Bundesebene immer für den Öffentlichen Gesundheitsdienst eingesetzt, sich für diesen starkgemacht.
Immerhin: Der Zank um Sormas könnte sich bald erledigen; theoretisch. Denn zumindest prüfe das Gesundheitsamt derzeit, so Scheffold, wie die neue Software eingesetzt werden könnte, die technischen Voraussetzungen sollen geschaffen werden. Allerdings: Wegen diverser Unsicherheiten stünde noch nicht fest, wann Sormas dann tatsächlich eingeführt wird. Das Gesundheitsamt setze daher zunächst weiter „auf die bestehende, gut funktionierende Softwarelösung“. An die Adresse Mattheis’ gerichtet heißt es: „Ich bin mir sicher, dass auch Ihnen in der aktuellen Lage der Schutz der Bevölkerung wichtiger ist, als die formale Umsetzung eines Beschlusses. Mit freundlichen Grüßen: Heiner Scheffold.“