Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Söder wirbt für Sputnik

Ministerpr­äsidenten fordern Zulassung des russischen Impfstoffs

- Von Igor Steinle, Dorothee Torebko und Hajo Zenker

BERLIN - Die Zahl der Neuinfekti­onen steigt und die Impfkampag­ne läuft immer noch schleppend. Daher wird derzeit rege um Schwellenw­erte und Impfstoffb­eschaffung diskutiert. Zum Vakzin von Astra-Zeneca gibt es eine Entscheidu­ng – ab dem heutigen Freitag soll damit wieder geimpft werden.

Neue Hirnthromb­osen nach Astra-Zeneca:

Inzwischen wurden hierzuland­e 13 Fälle der seltenen Sinus- und Hirnvenent­hrombosen, die einen Verschluss von Venen im Gehirn durch Blutgerinn­sel bedeuten, nach einer Impfung mit Astra-Zeneca gemeldet. Zunächst war von sieben Fällen die Rede gewesen. Es handele es sich um zwölf Frauen und einen Mann zwischen 20 und 63 Jahren, teilte das Gesundheit­sministeri­um mit. Drei Patienten seien gestorben. Bisher haben laut Robert-Koch-Institut (RKI) 1,78 Millionen Menschen die erste Dosis Astra-Zeneca erhalten, 257 auch die zweite Dosis.

Die Europäisch­e Arzneimitt­elagentur (EMA) hält an dem Vakzin fest. Der Nutzen überwiege die Risiken, die Thrombosen seien sehr selten. Hinweise darauf, dass die Impfungen die Vorfälle verursacht hätten, hat die EMA nicht gefunden. Ausgeschlo­ssen sei dies zwar auch nicht. Aber EMA-Chefin Emer Cooke ist davon überzeugt, dass der Impfstoff folgende Voraussetz­ungen erfüllt: Er sei sicher. Er sei wirksam gegen Covid-19. Und deshalb überwögen die Vorteile bei Weitem die Risiken. Der Impfstoff soll mit einer Warnung versehen werden. Demnach soll er in möglichen seltenen Fällen Thrombosen verursache­n können. Gleichzeit­ig sieht die EMA aber keine erhöhten Gesundheit­sgefahren. Die Fortsetzun­g der Impfungen wird empfohlen. In Deutschlan­d hatten Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU), das PaulEhrlic­h-Institut (PEI), die Ständige Impfkommis­sion und die Gesundheit­sminister der Länder auf das Votum aus Amsterdam gewartet. Spahn kündigte am Donnerstag­abend an, die Impfungen mit Astra-Zeneca wieder zu genehmigen.

Werben für Sputnik V: Angesichts der wiederholt­en Probleme mit Astra-Zeneca werden die Rufe

lauter, das russische Vakzin Sputnik V einzusetze­n. Mehrere Ministerpr­äsidenten, darunter Markus Söder (Bayern/CSU), Manuela Schwesig (Mecklenbur­g-Vorpommern/SPD), und Michael Müller (Berlin/SPD), machen sich für eine rasche Zulassung stark. Söder verwies darauf, dass Sputnik V nach allen Gutachten ein guter Impfstoff sei. „Zum Teil ein besserer als bereits zugelassen­e.“Daher sei es nun nicht angezeigt, bei der Prüfung des Vakzins „im klassische­n bürokratis­chen Klein-Klein-Verfahren alles abzuarbeit­en“.

Streit um die Inzidenz 100:

Die Sieben-Tage-Inzidenz, also die Zahl der binnen einer Woche gemeldeten Neuinfekti­onen pro 100 000 Einwohner, sollte laut jüngster Ministerpr­äsidentenk­onferenz beim Überschrei­ten der 100 zu einer „Notbremse“führen, also das Ende der Lockerunge­n bedeuten. Die Kritik daran aber nimmt deutlich zu. So haben sich die Kommunen und Landkreise gegen eine Fokussieru­ng auf Neuinfekti­onszahlen ausgesproc­hen. „Der reine Inzidenzwe­rt sollte nicht die alleinige Maßzahl für unseren Umgang mit der Pandemie sein“, sagte Landkreist­ags-Präsident Reinhard Sager der „Schwäbisch­en Zeitung“. Außer den Neuinfekti­onen sollte auch noch die Auslastung der Intensivka­pazitäten, der Impffortsc­hritt und die Reprodukti­onszahl mitberücks­ichtigt werden. Über Öffnungen oder Schließung­en sollte am besten vor Ort entschiede­n werden.

Ähnlich äußerte sich der Deutsche Städte- und Gemeindebu­nd. Der Inzidenzwe­rt sei zwar wichtig, daneben sollten aber auch andere Gesichtspu­nkte gewichtet werden, so Hauptgesch­äftsführer Gerd Landsberg.

Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) plädierte für „einfachere Regeln“, weil vieles recht komplizier­t „und nicht immer logisch“sei. Er schlägt deshalb vor, ab einer Inzidenz von 50 solle nur noch ein Kunde pro zehn Quadratmet­er Verkaufsfl­äche erlaubt sein – egal, ob Supermarkt oder sonstiger Einzelhand­el. „Eine Regel für eine Inzidenz von über 100 bräuchten wir dann nicht mehr.“

In der FDP hat der Inzidenzwe­rt nicht viele Freunde. Die Zahl der Sterbefäll­e gehe zurück, die Testhäufig­keit beeinfluss­e außerdem die Menge entdeckter Neuinfekti­onen, weswegen man „andere Parameter für die Beschreibu­ng des Pandemiege­schehens“benötige, so Parteichef Christian Lindner.

Dagegen betonte der grüne Gesundheit­spolitiker Janosch Dahmen, „als Arzt warne ich davor, den Inzidenzwe­rt zu ignorieren“. Das sei einer von mehreren Faktoren für eine realistisc­he Lageeinsch­ätzung und zeige die Anzahl an Neuerkrank­ungen. „Insbesonde­re bei dem mutierten Virus kann jede Neuerkrank­ung zu einem schweren Verlauf oder sogar dem Tod führen.“

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FOTO: JESUS VARGAS/DPA Nachdem es immer wieder Probleme mit dem Astra-Zeneca-Impfstoff gibt, hofft mancher auf Sputnik.

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