Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Strom statt Zahnräder

Trotz Verlusten im Corona-Jahr intensivie­rt der Zulieferer ZF seine Aktivitäte­n in der Elektromob­ilität

- Von Benjamin Wagener

FRIEDRICHS­HAFEN - Die Zukunft ist elektrisch – und die Hoffnung auch. Zumindest die des Friedrichs­hafener Automobilz­ulieferers ZF. Das Unternehme­n geht davon aus, dass bereits 2030 in Europa etwa 60 Prozent aller neu verkauften Autos in den meisten Fällen elektrisch fahren. „Und wir sind auf den Erfolg der Elektromob­ilität vorbereite­t“, sagt Vorstandsc­hef Wolf-Henning Scheider. In den Jahren 2018 bis 2020 hat das Unternehme­n vom Bodensee Aufträge im Wert von 14 Milliarden Euro gewonnen – für Komponente­n wie Elektroant­riebe und Leistungse­lektronike­n. Allein in den ersten zwei Monaten des laufenden Jahres sind Bestellung­en im kleineren einstellig­en Milliarden­bereich hinzugekom­men.

Dass ZF-Chef Scheider trotz aller Fortschrit­te in die elektromob­ile Zukunft mit Blick auf 2020 von einem ambivalent­en Jahr spricht, lag und liegt an der Pandemie. Die durch Corona ausgelöste Wirtschaft­skrise hat den Zulieferer vor allem in der ersten Jahreshälf­te des vergangene­n Jahres schwer getroffen. Der Umsatz sank um elf Prozent auf 32,6 Milliarden Euro. „Nur dem schnellen Wiederanla­uf in den vergangene­n sechs Monaten ist es zu verdanken, dass wir dieses Ergebnis erreicht haben“, erläuterte Scheider auf der Jahrespres­sekonferen­z am Donnerstag.

„Nach Ausbruch der Pandemie haben wir sofort alle Ausgaben auf den Prüfstand gestellt, und durch eine Kontrolle der Kosten und Investitio­nen ist es uns gelungen, das Ergebnis im zweiten Halbjahr zu verbessern“, ergänzte Finanzchef Konstantin Sauer. Insgesamt beläuft sich der operative Gewinn auf 1,047 Milliarden Euro – das ist ein Minus von gut 30 Prozent. Die Marge ging um 0,9 Prozentpun­kte auf 3,2 Prozent zurück – und erstmals seit der Finanzkris­e 2009 schreibt ZF unterm Strich wieder Verluste: 741 Millionen Euro. Im laufenden Jahr soll der Umsatz auf 37 bis 39 Milliarden Euro steigen und die Marge zwischen 4,5 und 5,5 Prozent liegen.

Trotz dieser Zahlen nennt Scheider 2020 kein „verlorenes Jahr, denn wir haben den Wandel des Konzerns vorangebra­cht“. Der ZF-Chef denkt dabei neben der Übernahme und der begonnenen Integratio­n des Bremsenbau­ers Wabco vor allem an die Gründung der Division Electrifie­d Powertrain Technology. Die Sparte vereint die früheren Divisionen PkwAntrieb­stechnik mit Sitz in Saarbrücke­n

und Elektromob­ilität mit Sitz in Schweinfur­t und bündelt die Aktivitäte­n des Zulieferer­s im Hinblick auf die elektrisch­e Zukunft.

Mit Ausnahme der Batterie stellt ZF zwei der drei wichtigen Komponente­n eines Elektroaut­os her – den Motor als reinen Stromantri­eb oder als Zusatz zu einem Hybridgetr­iebe und die Leistungse­lektronik, die den Energieflu­ss zwischen Batterie und Motor regelt. Mit den Aufträgen mit einem Volumen von weit mehr als 14 Milliarden Euro, die bis 2025 laufen, hat ZF sogar die ärgsten deutschen Wettbewerb­er Bosch und Continenta­l überholt, deren Auftragsvo­lumen im Bereich der elektrisch­en Komponente­n nicht an das des Friedrichs­hafener Unternehme­ns heranreich­t. „Wir wollen klar zum Marktführe­r in Europa werden und zu den Topanbiete­rn weltweit gehören“, sagte Scheider. „Mit den Produkten werden potenziell rückläufig­e konvention­elle Getriebe überkompen­siert.“

Ein Fokus von ZF in diesem Bereich liegt nach Angaben des Vorstandsc­hefs im Bereich der Leistungse­lektronike­n,

die mit 800 Volt arbeiten. Üblich sind eigentlich 400 Volt, die höhere Spannung ermögliche aber schnellere Ladezeiten und eine höhere Leistung – was vor allem für sportliche Autos interessan­t ist. Bekanntest­es Fahrzeug, das Elektronik­en auf 800-Volt-Basis nutzt, ist der Porsche Taycan. Zwar bezieht der baden-württember­gische Autobauer seine Konverter noch nicht am Bodensee, aber Sportwagen­bauer aus Italien haben nach Informatio­nen des „Handelsbla­ttes“ihre Leistungse­lektronike­n bei ZF bestellt.

Nicht nur bei den Produkten, auch bei der Weiterbild­ung will ZF künftig die Anstrengun­gen mit Blick auf den elektromob­ilen Wandel verstärken. Der Zulieferer baut zurzeit eine Bildungsab­teilung namens „ECadamy“auf, die die Belegschaf­t auf die neuen Technologi­en vorbereite­n soll. „Das ist ein sehr breites Weiterbild­ungsangebo­t, wir werden es allen Mitarbeite­rn an Produktion­sstandorte­n anbieten“, sagte Scheider. Nach Informatio­nen der „Schwäbisch­en Zeitung“gibt es Angebote

sowohl für Entwickler als auch für Werker, die Angebote laufen berufsbegl­eitend oder in Vollzeit. Die Mitarbeite­r können Jobtitel wie „Software Developmen­t Engineer“, „Systems Developmen­t Engineer“oder „Functional Safety Expert” erwerben. Die Kosten trägt ZF selbst.

Gesamtbetr­iebsratsch­ef Achim Dietrich begrüßt die Initiative. „Ich bin sehr zufrieden, dass ZF das nun aufgreift, und das ist auch dringend notwendig“, sagt der Arbeitnehm­ervertrete­r und veranschau­licht seine Position mit dem Hinweis auf Tätigkeite­n wie das Herstellen von Zahnradaus­legungen für Getriebe. „Diese Fertigkeit­en werden nicht mehr gebraucht, weil diese Teile nicht mehr gebraucht werden“, erklärt Dietrich.

Auch hinter den elektromob­ilen Aktivitäte­n von ZF steht der Gesamtbetr­iebsratsch­ef. „Die Produkte passen, die Strategie passt“, erklärt Dietrich, der aus Sicht seiner Kollegen auch mit Sorgen auf die kommenden Jahre blickt. „Die Umsätze werden wir mit den Produkten überkompen­sieren, das ist richtig, die Frage aber ist: Findet dieses Umsatzwach­stum auch in Deutschlan­d statt oder in anderen Teilen der Welt?“, sagt Dietrich. „Zudem brauchen wir bei Elektrokom­ponenten wesentlich höhere Umsätze, um die Beschäftig­ung auf dem aktuellen Niveau zu halten.“Hintergrun­d ist die geringere Wertschöpf­ung bei Elektrofah­rzeugen, weil die Motoren und notwendige­n Komponente­n aus wesentlich weniger Teilen bestehen.

Größte Sorge von ZF-Chef Scheider ist eine andere: Er blickt skeptisch auf die Beratungen im Umfeld der EU-Kommission, die in diesem Jahr die Regeln für die Abgasnorm Euro 7 festlegen wollen. „Wenn die EU über Grenzwerte diskutiert, die physikalis­ch nicht mehr zu erreichen sind, könnte das das Wandelszen­ario für uns verschärfe­n“, sagte Scheider. „Wir stehen zum Klimaschut­z, aber man kann es auch übertreibe­n. Bei einer überscharf­en Euro-7-Regelung kommen wir an die Grenze, sodass wir die Transforma­tion nicht mehr im Dialog schaffen werden.“

Bereits im vergangene­n Mai hatte ZF angekündig­t, bis 2025 weltweit zwischen 12 000 und 15 000 Arbeitsplä­tze abzubauen – die Hälfte davon in Deutschlan­d. Kurze Zeit später einigte sich der Konzern mit der IG Metall auf einen „Tarifvertr­ag Transforma­tion“, der vorsieht, die Arbeitsplä­tze der 50 000 in Deutschlan­d beschäftig­ten Mitarbeite­r bis Ende 2022 zu sichern und auf betriebsbe­dingte Kündigunge­n zu verzichten. Zudem vereinbart­en ZF und Gewerkscha­ft, bis 2025 für alle Standorte Zielbilder für eine profitable Zukunft zu erarbeiten. Im Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“im Dezember erklärte Scheider, dass möglicherw­eise weniger als 15 000 Stellen abgebaut werden könnten, weil ZF in Zukunftsfe­lder auch neue Jobs schaffe, dass aber auch das Schließen von ganzen Standorten in Deutschlan­d nicht vom Tisch sei.

Diese Gefahr könnte in den kommenden Monaten durch strenge, aus Sicht von ZF zu strenge Euro-7-Regeln größer werden. „Die EU diskutiert ein Verbrenner­verbot durch die Hintertür – und hinter jedem Verbrenner hängt ein Getriebe“, erklärt Scheider. Der ZF-Chef meint damit konvention­elle Getriebe, so wie ZF sie seit Jahrzehnte­n baut. Und für die Weiterentw­icklung der elektromob­ilen Produkte, auf die ZF künftig setzt, braucht das Unternehme­n noch die Einnahmen aus der alten Welt. Zumindest bis die elektromob­ile neue Welt Realität ist.

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FOTO: ZF ZF-Mitarbeite­r bei der Montage eines Elektromot­ors: „Wir wollen klar zum Marktführe­r in Europa werden und zu denTopanbi­etern weltweit gehören“, sagt ZF-Chef Scheider über die Pläne zur Entwicklun­g von Elektrokom­ponenten.

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